Frage: Herr Reime, 2024 scheint ein besonders schwieriges Jahr für Crowd-Investments gewesen zu sein. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Jens Reime: Ganz klar: Das Jahr war ein perfekter Sturm. Die gestiegenen Kreditzinsen, die wirtschaftliche Unsicherheit durch den Ukraine-Krieg und die allgemeine Konsumflaute haben vor allem junge Unternehmen in die Knie gezwungen. Viele dieser Start-ups leben quasi von der Hand in den Mund, also von einer Finanzierungsrunde zur nächsten. Wenn das frische Geld ausbleibt, bleibt oft nur der Gang zum Insolvenzgericht. Und die Anleger, die über Crowd-Plattformen investiert haben, sitzen am Ende oft mit leeren Händen da.
Frage: Sie sprechen von leeren Händen. Wie hoch ist der Schaden für Anlegerinnen und Anleger wirklich?
Jens Reime: Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Laut einer Analyse der Stiftung Warentest haben allein in den zwölf Monaten von Oktober 2023 bis September 2024 70 Unternehmen Insolvenz angemeldet, die zuvor über Crowd-Plattformen Kapital eingesammelt haben. Damit reden wir über Dutzende Millionen Euro, die faktisch verbrannt wurden. Und das ist nur ein Teil des Problems: Viele Projekte zahlen gar nicht wie geplant. Rund 418 Investments hinken bei Zins- oder Rückzahlungen hinterher. Bei einigen Plattformen wie Rockets oder Dagobertinvest betrifft das fast ein Drittel der Projekte. Es ist erschreckend, wie wenig Anleger oft darüber wissen, welches Risiko sie tatsächlich eingehen.
Frage: Was macht Crowd-Investing denn so riskant?
Jens Reime: Ein großer Risikofaktor sind sogenannte Nachrangdarlehen. Das klingt erstmal harmlos, bedeutet aber, dass die Anleger im Falle einer Krise oder Insolvenz ganz hinten in der Gläubiger-Reihenfolge stehen. Anders gesagt: Banken, Lieferanten und andere Gläubiger werden zuerst bedient, und wenn dann noch etwas übrig bleibt – was selten der Fall ist –, bekommen die Anleger etwas zurück. Und das Beste: Unternehmen können die Zahlungen sogar stoppen, bevor sie überhaupt insolvent gehen, wenn sie Liquiditätsprobleme bekommen. Für Anleger heißt das: Das Geld ist praktisch weg, bevor die Alarmglocken überhaupt läuten.
Frage: Sind Nachrangdarlehen die einzige Gefahr?
Jens Reime: Leider nein. Manche Plattformen bieten mittlerweile Alternativen wie Wertpapiere oder Anleihen an. Doch auch hier lauert das Risiko, denn einige dieser Wertpapiere haben ebenfalls einen Nachrang. Es wird also nur eine andere Verpackung gewählt, während das Risiko für die Anleger bleibt. Viele verstehen diese Feinheiten gar nicht, weil sie mit Begriffen wie „Nachrang“ nichts anfangen können. Aber das ändert nichts daran, dass sie am Ende oft auf den Verlusten sitzenbleiben.
Frage: Was sollten Anleger tun, bevor sie sich für ein Crowd-Investment entscheiden?
Jens Reime: Das Wichtigste ist, die Risiken zu verstehen. Crowd-Investing wird oft als Möglichkeit verkauft, schon mit kleinen Beträgen in die nächste große Idee zu investieren. Aber die Realität ist: Sie spekulieren auf höchstem Risiko. Viele dieser Unternehmen scheitern, und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Ihr Geld verlieren, ist deutlich höher als die Chance auf eine ordentliche Rendite. Ich sage meinen Mandanten immer: Überlegen Sie sich, ob Sie mit dem Verlust des gesamten Betrags leben können. Wenn die Antwort „Nein“ ist, sollten Sie die Finger davon lassen.
Frage: Gibt es bestimmte Arten von Projekten, bei denen Anleger vorsichtiger sein sollten?
Jens Reime: Besonders kritisch sind Projekte, die hohe Renditen versprechen. Wenn ein Unternehmen im Crowd-Bereich mit 8, 10 oder sogar 12 Prozent Rendite wirbt, sollten bei jedem Anleger die Alarmglocken schrillen. Denn hohe Rendite bedeutet fast immer hohes Risiko. Viele Start-ups sind auf Wachstum fokussiert, nicht auf stabile Einnahmen – was sie extrem anfällig macht. Außerdem sollte man bei Plattformen vorsichtig sein, die kaum Informationen zu den Projekten oder den Unternehmen liefern. Transparenz ist hier das A und O.
Frage: Was halten Sie von den aktuellen Entwicklungen im Crowd-Investing? Gibt es positive Trends?
Jens Reime: Es gibt Plattformen, die versuchen, die Risiken für Anleger zu minimieren. Einige verzichten inzwischen auf Nachrangdarlehen und setzen stattdessen auf regulierte Wertpapierangebote. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber selbst regulierte Wertpapiere sind kein Garant für Sicherheit. Anleger müssen verstehen, dass Crowd-Investing immer ein Hochrisikogeschäft bleibt.
Frage: Abschließend, Herr Reime: Was ist Ihre persönliche Einschätzung zur Zukunft des Crowd-Investings?
Jens Reime: Ich denke, Crowd-Investing wird bleiben, weil die Idee für viele Anleger attraktiv klingt – einfach, digital und mit kleinen Beträgen möglich. Aber ich hoffe, dass es mehr Aufklärung und Regulierung geben wird, um die Anleger besser zu schützen. Momentan ist der Bereich immer noch ein Eldorado für hochriskante Projekte. Und leider bleibt der Schaden am Ende meist bei den Anlegern hängen, während die Plattformen und Unternehmen oft schon lange weitergezogen sind. Anleger sollten sich also genau überlegen, ob sie wirklich Teil dieses Spiels sein wollen.
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