Bei den Parlamentswahlen in Südafrika am vergangenen Mittwoch hat die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen mit 40,27 Prozent erstmals seit dem Ende der Apartheid 1994 die absolute Mehrheit verloren. Dies stellt einen historischen Einschnitt in der Politik des Landes dar, da der ANC bisher stets die Regierung alleine stellen konnte. 2019 hatte die Partei von Präsident Cyril Ramaphosa noch 57,5 Prozent der Stimmen erhalten.
Als zweitstärkste Kraft ging die wirtschaftsliberale Demokratische Allianz (DA) mit 21,6 Prozent der Stimmen hervor. Überraschend folgt auf Platz drei mit 14,7 Prozent die neu gegründete Partei Umkhonto we Sizwe (MK) des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma. Die linksradikale Partei Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit (EFF) unter Julius Malema erreichte 9,5 Prozent.
Beobachter führen die deutlichen Verluste des ANC auf die schwache Regierungsbilanz zurück. Südafrika kämpft mit gravierenden Problemen wie hoher Arbeitslosigkeit, täglichen Stromausfällen, weit verbreiteter Armut und Korruption sowie einer hohen Kriminalitätsrate. Laut Weltbank liegt die Armutsquote seit 2008 bei rund 62 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht sogar 45 Prozent.
Auch regional muss der ANC Einbußen hinnehmen. In der wirtschaftsstärksten Provinz Gauteng mit der Hauptstadt Pretoria und der Wirtschaftsmetropole Johannesburg sowie in KwaZulu-Natal, der Heimatprovinz Zumas, verliert die Partei ebenfalls die absolute Mehrheit. Das Westkap mit Kapstadt wird weiterhin von der DA regiert.
Das Wahlergebnis zwingt den ANC nun erstmals zu einer Koalitionsbildung. Dafür bleiben nach der offiziellen Verkündung des Endergebnisses, die für Sonntag erwartet wird, 14 Tage Zeit. Bisher hat der ANC keine Präferenzen für mögliche Partner erkennen lassen.
Die DA unter John Steenhuisen begrüßte zwar das Ergebnis, sieht sich aber noch nicht in Koalitionsgesprächen. Im Vorfeld hatte die Partei auch eine Zusammenarbeit mit dem ANC nicht ausgeschlossen, um eine aus ihrer Sicht „Weltuntergangskoalition“ zwischen ANC und EFF zu verhindern. Die EFF tritt für radikale Reformen wie Landumverteilung und Verstaatlichungen ein.
Auch eine Koalition mit der MK von Ex-Präsident Zuma, der nach mehreren Skandalen 2018 zurücktreten musste, sieht die DA kritisch. Zuma selbst durfte wegen einer Haftstrafe nicht kandidieren, führte aber dennoch den Wahlkampf der MK an.
Das Wahlergebnis wird auch international mit Interesse verfolgt. Südafrika gilt als „Tor zu Afrika“ und unterhält enge Beziehungen zu Russland und China, pflegt aber auch gute Kontakte zu westlichen Staaten. In außenpolitischen Fragen wie dem Gaza-Konflikt positioniert sich das Land klar auf palästinensischer Seite und hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermords verklagt.
Präsident Ramaphosa muss nun unter schwierigen Bedingungen eine tragfähige Koalition schmieden, um die drängenden Probleme des Landes anzugehen. Ob er selbst wieder zum Präsidenten gewählt wird, ist noch offen. Der ANC schloss am Freitag jedoch einen Rücktritt Ramaphosas aus.
Experten sehen in dem Ergebnis eine Zäsur für die südafrikanische Politik. Der über Jahrzehnte dominante ANC muss sich nun auf eine neue Rolle in einem fragmentierteren Parteienspektrum einstellen. Zugleich bietet die Situation auch Chancen für überfällige Reformen, wenn es gelingt, Blockaden durch eine konstruktive Zusammenarbeit der Parteien zu überwinden.
Entscheidend wird sein, ob die künftige Regierung die Kraft findet, die soziale Spaltung zu überwinden, Korruption zu bekämpfen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Gefordert sind dazu vor allem Maßnahmen zur Förderung von Beschäftigung, Infrastruktur und Bildung sowie ein entschlossenes Vorgehen gegen Kriminalität.
Südafrika steht damit an einem Wendepunkt. Wie das Land die Herausforderungen meistert und welchen Kurs die neue Regierung einschlägt, dürfte Signalwirkung weit über seine Grenzen hinaus haben. Als regionaler Hegemon und Schlüsselstaat für den afrikanischen Kontinent insgesamt kommt Südafrika eine besondere Verantwortung zu, der sich keine Regierung in Pretoria entziehen kann.
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