Die brasilianische Bundespolizei hat empfohlen, den rechten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro wegen des Verdachts auf einen geplanten Staatsstreich vor Gericht zu bringen. Wie die Behörde gestern mitteilte, soll Bolsonaro zusammen mit 36 weiteren Beschuldigten in einer „kriminellen Vereinigung“ aktiv gewesen sein. Ziel der Gruppe sei es gewesen, nach seiner Wahlniederlage im Oktober 2022 gegen den jetzigen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva die Macht zu behalten.
Systematischer Plan zum Staatsstreich
Die Ermittlungen der Bundespolizei, die sich über fast zwei Jahre erstreckten, zeichnen ein düsteres Bild: Die Gruppe soll eine klare Struktur und Arbeitsteilung gehabt haben. Unter anderem wurden Teams gebildet, die gezielt Desinformation verbreiteten und das Wahlsystem diskreditierten. Eine weitere Gruppe soll sich mit der „Anstiftung des Militärs zu einem Staatsstreich“ befasst haben.
Neben Bolsonaro geraten auch hochrangige Mitglieder seiner damaligen Regierung ins Visier der Ermittler. Beschuldigt werden unter anderem der ehemalige General Augusto Heleno, der damals das Kabinett für Institutionelle Sicherheit leitete, der ehemalige Verteidigungsminister Braga Netto sowie der Ex-Chef des brasilianischen Geheimdienstes, Alexandre Ramagem. Allen wird die gewaltsame Abschaffung des demokratischen Rechtsstaates, der Versuch eines Staatsstreichs sowie die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Generalstaatsanwaltschaft am Zug
Auf Grundlage der Ermittlungen muss nun die Generalstaatsanwaltschaft entscheiden, ob sie der Empfehlung der Bundespolizei folgt und Anklage gegen Bolsonaro und die weiteren Verdächtigen erhebt. Sollte es zu einem Prozess kommen, dürfte dies eines der aufsehenerregendsten Verfahren in der jüngeren Geschichte Brasiliens werden. Bolsonaro selbst weist die Vorwürfe entschieden zurück und bezeichnet sie als politisch motiviert.
Die Ereignisse vom 8. Januar 2023
Ein entscheidendes Kapitel in den Ermittlungen ist der gewaltsame Sturm auf die zentralen Institutionen Brasiliens am 8. Januar 2023. Damals drangen hunderte Anhänger Bolsonaros, die den Wahlsieg Lulas nicht anerkennen wollten, in den Kongress, den Regierungspalast und den Obersten Gerichtshof in Brasília ein. Sie verwüsteten die Gebäude und richteten erheblichen Schaden an. Dieser Angriff auf die Demokratie erschütterte das Land und wird von vielen als brasilianisches Pendant zum Sturm auf das US-Kapitol 2021 angesehen.
Weitere Verfahren gegen Bolsonaro
Der mögliche Putschversuch ist jedoch nicht das einzige rechtliche Problem, mit dem sich der ehemalige Präsident konfrontiert sieht. Bolsonaro, der Brasilien von 2019 bis 2022 regierte, ist in eine Vielzahl von weiteren Skandalen verwickelt.
So wird ihm vorgeworfen, Luxusuhren und Schmuck, die er während seiner Amtszeit als Gastgeschenke aus Saudi-Arabien erhielt, illegal verkauft und die Erlöse für persönliche Zwecke verwendet zu haben. Auch in diesen Fällen streitet Bolsonaro jegliches Fehlverhalten ab.
Hinzu kommt ein Skandal aus der Zeit der Coronavirus-Pandemie: Ermittler werfen Bolsonaro vor, Impfpässe für sich, seine Familie und Mitarbeiter gefälscht zu haben. Damit habe er gegen Gesundheitsvorschriften verstoßen, die während der Pandemie in Brasilien galten.
Ein Ex-Präsident vor Gericht?
Die Ermittlungen gegen Jair Bolsonaro werfen ein scharfes Licht auf die politische Spaltung Brasiliens und die anhaltenden Nachwirkungen seiner Amtszeit. Sollte es tatsächlich zu einer Anklage und einem Prozess kommen, könnte dies weitreichende politische und gesellschaftliche Folgen für das Land haben. Die Ereignisse zeigen deutlich, dass Bolsonaros Einfluss noch lange nicht vorbei ist – auch wenn dieser Einfluss inzwischen vor allem in Gerichtssälen spürbar wird.
Währenddessen bleibt die Frage, ob Brasilien mit derartigen Verfahren die Wunden schließen kann, die die politische Polarisierung und die Angriffe auf die Demokratie hinterlassen haben, oder ob sie diese weiter vertiefen. Klar ist jedoch: Ein Staatsstreich in einem der größten Länder der Welt bleibt nicht ohne Konsequenzen – weder für die Beteiligten noch für die Demokratie selbst.
Kommentar hinterlassen