Das Internet Archive, die weltweit größte digitale Bibliothek, die seit 1996 über 860 Milliarden Einzelseiten gespeichert hat, steht unter Druck. Ein massiver Cyberangriff legte das Archiv und seine beliebte „Wayback Machine“ in der vergangenen Woche für mehrere Tage lahm. Seit Montag ist der Zugriff wieder möglich, jedoch nur eingeschränkt. Dieser Angriff hat deutlich gemacht, wie anfällig die digitale Plattform ist, die sich hauptsächlich durch Spenden finanziert.
Der Angriff wurde von den Tätern selbst publik gemacht: In einem Pop-up-Fenster im Webarchiv verkündete die Hackergruppe ihre Tat und stellte die Sicherheit des Archivs infrage. „Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass das Internet Archive auf Stelzen rennt?“ hieß es provokant. Zudem veröffentlichten die Angreifer 31 Millionen Nutzerdaten und legten das Archiv tagelang lahm.
Brewster Kahle, der Gründer des Internet Archives, gab am Montag über den Kurznachrichtendienst X bekannt, dass die „Wayback Machine“ – das Herzstück des Archivs – wieder verfügbar sei, allerdings mit Einschränkungen. Der Vorfall wirft grundlegende Fragen über die langfristige Sicherheit und Stabilität dieser digitalen Schatzkammer auf.
Ein digitales Gedächtnis in Gefahr
Das Internet Archive hat sich als unverzichtbare Plattform für die Aufbewahrung digitaler Inhalte etabliert. Denn das Internet vergisst schnell: Laut einer Studie der BBC sind rund 25 Prozent der veröffentlichten Einzelseiten zwischen 2013 und 2023 nicht mehr verfügbar. Projekte wie das Internet Archive wollen genau diesem „digitalen Vergessen“ entgegenwirken und bieten eine Möglichkeit, Inhalte zu bewahren, die sonst verloren wären. Automatisch werden Websites gespeichert, archiviert und chronologisch eingeordnet, um sie für die Nachwelt zu sichern.
Das Non-Profit-Unternehmen hinter dem Projekt wurde 1996 von Brewster Kahle gegründet, der damals auch für Alexa arbeitete – ein Unternehmen, das die Beliebtheit von Webseiten analysierte. Die erste archivierte Webseite in der „Wayback Machine“ stammt vom 10. Mai 1996. Seitdem wurden Milliarden von Webseiten gespeichert, darunter auch ORF.at, das erstmals 1997 ins Archiv aufgenommen wurde. Bis heute wurde die Seite über 188.000 Mal gespeichert.
Mehr als ein einfaches Archiv
Das Internet Archive ist weit mehr als nur ein Speicherort für Webseiten. Es bietet auch Zugang zu digitalen Buchscans, Musik, Videospielen und Filmen. Diese Vielfalt macht es zu einer der bedeutendsten Quellen für digitale Kultur und Wissen. Insbesondere für Wikipedia ist das Archiv essenziell, um Quellen für gelöschte oder veränderte Webseiten dauerhaft verfügbar zu halten.
Doch trotz seiner Bedeutung steht das Internet Archive auf wackligen Beinen. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich durch Spenden und Partnerschaften, was das Projekt besonders anfällig für finanzielle Engpässe macht. Mark Graham, Direktor der „Wayback Machine“, warnte kürzlich, dass es nur wenige Anreize für Unternehmen gebe, Daten langfristig zu speichern. Das Risiko, dass Institutionen versagen oder Unternehmen pleitegehen, sei hoch, was das Archiv noch wichtiger, aber gleichzeitig auch gefährdeter mache.
Cyberangriffe und juristische Stolpersteine
Der jüngste Cyberangriff ist nicht der erste, der das Internet Archive erschüttert. Bereits in der Vergangenheit gab es ähnliche Vorfälle sowie finanzielle Schwierigkeiten. Hinzu kommen rechtliche Auseinandersetzungen: Da das Archiv der Öffentlichkeit den Zugriff auf gespeichertes Material gewährt, kam es immer wieder zu Urheberrechtsstreitigkeiten. Das Archiv bewegt sich oft in einer rechtlichen Grauzone. Im September wurde ein Einspruch des Archivs im Zusammenhang mit dem Verleih von digitalen Büchern abgewiesen. Zudem steht ein Rechtsstreit mit Musiklabels im Raum, der das Archiv im Falle einer Niederlage bis zu 400 Millionen US-Dollar kosten könnte – eine Summe, die das Überleben des Projekts ernsthaft bedrohen würde.
Auch wenn eine Zusammenarbeit mit Google, das sein eigenes Webarchiv kürzlich eingestellt hat, angekündigt wurde, bleibt unklar, ob diese Partnerschaft das langfristige Bestehen des Archivs sichern kann.
Ein Weckruf für die digitale Welt
Der Angriff könnte als Weckruf verstanden werden. Das Internet Archive ist aus dem digitalen Alltag nicht mehr wegzudenken. Ein Verschwinden des Archivs würde nicht nur die Glaubwürdigkeit von Projekten wie Wikipedia erschüttern, sondern auch einen bedeutenden Teil der Internetgeschichte unwiederbringlich löschen. Gerade in einer Zeit, in der das Internet als selbstverständlich wahrgenommen wird, wäre ein Verlust des Archivs eine gravierende Lücke in der digitalen Geschichtsschreibung.
Für viele stellt sich nun die Frage, wie ein so wichtiges Projekt besser geschützt und nachhaltig gesichert werden kann. Die Zukunft des Internets hängt nicht nur von Innovationen ab, sondern auch davon, wie gut wir seine Geschichte bewahren können – und das Internet Archive spielt dabei eine zentrale Rolle.
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