In Rumänien sind am Donnerstagvormittag die ersten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine eingetroffen. Auch Moldawien und Polen melden erste Ankünfte. Die Nachbarländer der Ukraine hatten sich schon vor Tagen darauf eingestellt, dass viele Menschen auf der Flucht sein könnten. Hilfsorganisationen erwarten einen großen Bedarf
Der nordrumänische Grenzübergang Sighetu Marmatiei meldete die Einreise Dutzender Personen aus der Ukraine, bei denen es sich teils um ukrainische Bürger, teils um Staatsangehörige anderer Länder handelt, die sich bis dato in der Ukraine aufgehalten hatten. Erste Bilder der rumänischen Nachrichtensender zeigen, dass die meisten Flüchtlinge an Bord von Personenkraftwagen anreisen, etliche jedoch auch zu Fuß am Grenzübergangspunkt Sighetu Marmatiei eintreffen.
Der rumänische Innenminister Lucian Bode teilte mit, dass es sich vorerst noch um keinen großen Flüchtlingsstrom handelt und sämtliche nordrumänischen Kommunalbehörden auf die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereitet sind. Bode hatte erst in den vergangenen Tagen bekanntgegeben, dass Rumänien im Notfall bis zu 500.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen kann. Staatspräsident Klaus Johannis sagte am Donnerstag laut der Nachrichtenagentur Reuters, Rumänien sei bereit, die humanitären und wirtschaftlichen Konsequenzen einer langfristigen Krise zu tragen.
Medien: Andrang an ungarischer Grenze
Unterdessen sind auch an den ukrainisch-ungarischen Grenzübergängen die ersten Flüchtlinge eingetroffen. Es herrscht ein großer Andrang von Bürgern aus der Ukraine, berichtete das Onlineportal Telex.hu. Dabei soll es sich zumeist um Angehörige der ungarischen Minderheit aus dem Karpatenbecken handeln.
Unter den Flüchtlingen seien viele junge Männer, die vor einem Einberufungsbefehl flüchten würden. Laut der ungarischen Nachrichtenagentur MTI handelt es sich jedoch um den „üblichen Grenzverkehr“. Der ungarische Verteidigungsminister Tibor Benkö hatte gestern gesagt, Ungarn müsse sich auf die Aufnahme von mehreren zehntausend Flüchtlingen einrichten.
Moldawien meldete Donnerstagmittag, dass bereits mehr als 2.000 Flüchtlinge aus der benachbarten Ukraine im Land eingetroffen sind. Auch an der Grenze zu Polen sind erste Geflüchtete eingetroffen, wie Videos zeigen. Der polnische Innenminister Mariusz Blaszczak sagte, sein Land bereite sich seit Wochen auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine vor. So trafen Krankenhäuser Vorbereitungen zur Aufnahme von Verletzten. Es würden Betten bereitgestellt, teilte das Gesundheitsministerium in Warschau mit.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht Europa für eine mögliche Fluchtbewegung aus der Ukraine gerüstet. „Wir hoffen, dass es so wenige Flüchtlinge wie möglich geben wird, aber wir sind voll und ganz auf sie vorbereitet, und sie sind willkommen“, sagte die deutsche Politikerin am Donnerstag in Brüssel. Es gebe für die EU-Staaten an den Außengrenzen Notfallpläne, um Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen. Auch Binnenflüchtlingen innerhalb der Ukraine werde geholfen, so von der Leyen. Zudem solle die Finanzhilfe für das Land ausgeweitet werden.
In Deutschland verstärkte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die Vorbereitungen für eine Reaktion auf mögliche Flüchtlingsbewegungen und Cyberangriffe. „Wir werden die betroffenen Staaten – vor allem unser Nachbarland Polen – massiv unterstützen, sollte es zu großen Fluchtbewegungen kommen“, sagte Faeser am Donnerstag nach Beratungen mit den Landesinnenministern. Die Sicherheitsbehörden hätten zudem „die Schutzmaßnahmen zur Abwehr etwaiger Cyberattacken hochgefahren“.
Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zeigte sich wegen der Lage tief besorgt. „Die humanitären Folgen für die Zivilbewohner werden verheerend sein“, teilte UNHCR-Chef Filippo Grandi in Genf mit, ohne den Einmarsch Russlands zu erwähnen. „Das UNHCR arbeitet mit den Behörden, den Vereinten Nationen und anderen Partnern in der Ukraine zusammen und ist bereit, humanitäre Hilfe zu leisten, wo immer dies notwendig und möglich ist.“ Das UNHCR rief Nachbarländer auf, die Grenzen für Menschen, die Sicherheit und Schutz suchen, offen zu halten. Das UNHCR stehe in der Ukraine und Nachbarländern bereit zu helfen.
Tschechien und Slowakei bereiten sich vor
Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala verurteilte die russische Eskalation im Ukraine-Konflikt aufs Schärfste und berief den nationalen Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung ein. Bei dieser dürfte es um die Sorge vor einer möglichen Flüchtlingswelle aus der weniger als 400 Kilometer entfernten Ukraine gehen.
Auch Eduard Heger, der Ministerpräsident der direkt an die Ukraine grenzenden Slowakei, sprach von einer „unentschuldbaren, barbarischen Tat“ und einer „groben Verletzung des internationalen Rechts“. Die Slowakei müsse sich auf Flüchtlinge aus dem Nachbarland vorbereiten, so Heger. Vorerst sei die Lage an der Grenze zur Ukraine aber ruhig. Laut der Nachrichtenwebsite dennik N schickt das Land bis zu 1.500 Soldaten an die Grenze zur Ukraine. Sie sollten bei der Aufnahme von Flüchtlingen helfen.
In Internetforen kursierten am Donnerstag Videos, die einen bereits begonnenen Andrang von Flüchtlingen aus der Ukraine auf die slowakische Grenze belegen sollten. Die slowakische Grenzpolizei und das Innenministerium in Bratislava erklärten hingegen, die Situation an den Grenzübergängen sei bisher ruhig.
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