Der Handelsvertreter und damit auch der Versicherungsvertreter sind selbstständige Unternehmer, aber sie vermitteln nur Verträge. Daher geschieht jegliche Geschäftstätigkeit des Handelsvertreters letztlich vor allem auch im Interesse des betreffenden Prinzipals bzw. des Versicherungsunternehmens. Der Handelsvertreter darf seinen Arbeitsalltag in der Regel frei bestimmen, dennoch unterliegt er einer strengen sogenannten Bemühenspflicht hinsichtlich des Abschlusses neuer Verträge.
Umfang und Dauer der Auskunftsverpflichtung nach § 86 Abs. 2 HGB
Mit der Tatsache einer Tätigkeit für den sogenannten Prinzipal korrespondiert eine umfassende Auskunftspflicht des Handelsvertreters. Diese ist geregelt in § 86 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs. Der Vertreter hat dem Unternehmer alle erforderlichen Nachrichten zu geben, und ihm insbesondere von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluss sofortige Mitteilung zu machen. So steht es sinngemäß im Gesetz geschrieben. Wie weit aber reicht diese Informations- und Auskunftspflicht des Handelsvertreters, und wie lange kann der Unternehmer diese Informationen einfordern? Damit beschäftigte sich in einem aktuellen Fall das Oberlandesgericht München.
Auskunftsanspruch des Prinzipals trotz eigener Pflichtverletzungen
Hintergrund war ein aufgrund fristloser Kündigung beendetes Vertragsverhältnis zwischen einem Versicherungsvertreter, der hier rechtlich der Prinzipal war, und seinem Untervertreter. Der Untervertreter hatte das Vertragsverhältnis fristlos gekündigt, weil er abrechnungstechnisch trotz erfolgter Abmahnung nicht korrekt behandelt wurde, und weil ihm ein wichtiges Online-Tool zur Erleichterung seiner Tätigkeit unberechtigt gesperrt wurde. Auf die konkreten Umstände dieser Kündigung kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an, zumal sich insoweit das Landgericht in der ersten Instanz und das Oberlandesgericht einig waren.
Auskunftspflichten des Handelsvertreters enden nicht mit der Beendigung des Handelsvertretervertrags
Obwohl das Oberlandesgericht die fristlose Kündigung auf jeden Fall als berechtigt ansah, und den Vertragsverletzungen des Prinzipals erhebliches Gewicht beimaß, sah es den Untervertreter dennoch zur sehr umfassenden Auskunftserteilung verpflichtet. Teilweise wurde bisher die Meinung vertreten, dass die Auskunftspflicht nach § 86 Abs. 2 HGB mit der Beendigung des Vertreterverhältnisses ebenfalls ende. Der Prinzipal habe also Pech gehabt, wenn er bis zur Beendigung des Verhältnisses nicht alle erforderlichen Auskünfte erlangt habe.
Dieser Auffassung hat das Oberlandesgericht München eine klare Absage erteilt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Auskunftspflicht sogar so weit gehe, dass der Handelsvertreter nicht nur auf Anforderung, sondern sogar von sich aus entsprechende Informationen jederzeit und laufend mitzuteilen habe. Es könne nicht sein, dass das Unterlassen oder die Verweigerung entsprechender Auskünfte während der Vertragslaufzeit dazu führe, dass der Vertreter nachher nichts mehr sagen müsse. Wenn dem so wäre, könnte sich ein Handelsvertreter häufig durch Hinauszögern entsprechenden Auskunftspflichten entziehen. Das Oberlandesgericht hat klargestellt, dass Auskünfte, die bisher nicht erteilt wurden, auch nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses noch erteilt werden müssen, solange sie sich auf die Zeit der Vertragsbeziehung beziehen.
Umfang der Auskunftspflichten
Das Oberlandesgericht hat hier auf Antrag des Vertreters dem Untervertreter die Pflicht auferlegt, umfassende Auskünfte über seine Kundenstruktur, über die vermittelten Verträge, über die Kundenbesuche und die sich daraus ergebenden Einschätzungen bezüglich möglicher künftiger Vertragsabschlüsse, über offizielle und inoffizielle Absprachen bezüglich künftiger Verträge, über die Erbringung von Gefälligkeiten gegenüber Kunden, über Werbemethoden und den Erfolg derselben, über besondere persönliche Umstände, die möglicherweise für geringere Erfolgsquoten verantwortlich sein könnten, über Ideen und Anregungen bezüglich weiterer Vermittlungstätigkeiten, und über Mitwirkung und Verursachung von Kündigungen und Stornierungen von bestehenden Verträgen zu erteilen.
Der Handelsvertreter als in die Vertriebsstruktur des Unternehmers eingebundener Agent
Dieser umfassende Katalog von Auskunftspflichten zeigt, dass es im Rahmen von § 86 Abs. 2 HGB keineswegs nur um harte Fakten geht, sondern auch um sehr subjektive Einschätzungen, individuelle Geschäftsmethoden usw. Diese umfassende Verpflichtung zur Auskunftserteilung macht deutlich, dass der Handelsvertreter zwar kein Angestellter, aber dennoch ein voll und ganz in die Vertriebsstruktur seines Prinzipals eingebundener Agent ist.
OLG München, Az. 23 U 3265/15, Urteil vom 30.06.2016
Quelle:http://anwaltskanzlei-niklas.de/
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