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Australien wählt – doch für die indigene Bevölkerung herrscht Stille

OpenClipart-Vectors (CC0), Pixabay
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Bei der anstehenden Parlamentswahl in Australien scheinen indigene Themen vollständig von der politischen Bildfläche verschwunden zu sein. Ein scharfer Kontrast zum letzten Urnengang, bei dem die Debatte um die „Voice to Parliament“-Abstimmung das Land polarisierte.

In Yarrabah, einer abgelegenen indigenen Gemeinde in Far North Queensland, gibt es kaum Anzeichen dafür, dass ein nationaler Wahltag bevorsteht. Keine Wahlplakate, keine Politikerbesuche – nur das Bimmeln eines Eiswagens durchbricht die Stille auf den staubigen Straßen des Ortes.

„Es ist merkwürdig“, sagt Suzanne Andrews, Leiterin der lokalen Gesundheitsdienste. „Wir hören und sehen nichts von den Parteien. Es ist, als ob wir gar nicht existieren.“

Andrews’ Frustration ist stellvertretend für viele indigene Australier. Bei der TV-Debatte der Parteiführer – Premierminister Anthony Albanese und Oppositionsführer Peter Dutton – wurde kein einziges zentrales Anliegen der First Nations angesprochen. Stattdessen äußerte Dutton kürzlich, dass die traditionelle „Welcome to Country“-Zeremonie überstrapaziert sei – ein seltener Moment, in dem indigene Kultur im Wahlkampf überhaupt erwähnt wurde, allerdings in kulturkritischem Ton.

Vom Referendum zur Sprachlosigkeit

2023 hatte die Bevölkerung Australiens in einem Referendum die Einführung einer beratenden Stimme für indigene Völker im Parlament („Voice to Parliament“) mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Für viele war dies ein Rückschlag. Einige – wie Suzanne Andrews – hatten gehofft, die intensive Debatte um das Referendum würde langfristig zu mehr politischer Aufmerksamkeit führen. Stattdessen ist das Gegenteil eingetreten.

„Seitdem herrscht Funkstille“, sagt Warren Mundine, ein prominenter Gegner der Voice-Kampagne. Auch er stellt fest: „Diese Wahl ist die erste, an die ich mich erinnere, in der indigene Politik überhaupt kein Thema mehr ist.“

Laut der unabhängigen Senatorin Lidia Thorpe aus Victoria, die ebenfalls gegen das Referendum war, weil sie stattdessen einen verbindlichen Vertrag mit der Regierung fordert, ist die neue Zurückhaltung der Politik ein Resultat der gescheiterten Abstimmung. „Früher wurden wir wenigstens am Rande erwähnt – heute gar nicht mehr“, kritisiert sie.

Statistiken zeigen anhaltende Benachteiligung

Laut dem Regierungsprogramm Closing the Gap sind indigene Australier weiterhin in allen Lebensbereichen deutlich benachteiligt – bei Gesundheit, Bildung, Lebenserwartung und Inhaftierungsraten. Die jüngste Bilanz zeigt: Nur vier der 18 Ziele des Programms werden erreicht, während vier sich sogar verschlechtert haben – darunter eine um 12 % gestiegene Inhaftierungsrate.

Doch trotz dieser alarmierenden Zahlen scheuen sich führende Politiker davor, die Themen im Wahlkampf aufzugreifen. Professor Rodney Smith von der Universität Sydney erklärt dies mit der Angst vor Wählerverlusten. Nach dem millionenschweren Referendum, das in vielen Arbeiterregionen durchfiel, sei jede Initiative in diese Richtung „politisch riskant“.

Verletzungen, Rückzug, Rassismus

Der emotionale Schaden der gescheiterten Voice-Initiative ist tiefgreifend. Eine Studie der University of Technology Sydney dokumentierte Hunderte rassistischer Vorfälle im Zusammenhang mit dem Referendum – viele davon mit direktem Bezug zur Abstimmung. Die Debatte sei vergiftet gewesen, so viele Beteiligte.

Suzanne Andrews berichtet unter Tränen, dass ihre beiden Töchter nach dem Referendum an der Universität in Brisbane massiven rassistischen Anfeindungen ausgesetzt waren. „Das tut weh. Sie wollten etwas aus ihrem Leben machen – und wurden dafür angegriffen.“

Auch der bekannte indigene Psychologe Clinton Schultz bestätigt: „Die gesellschaftliche Polarisierung rund um die Voice-Debatte hat bei vielen Menschen tiefe Wunden hinterlassen. Viele haben sich seitdem aus politischen Diskussionen zurückgezogen.“

Fazit: Die große Leerstelle

Was bleibt, ist eine schmerzhafte Leere. Während andere politische Themen – Inflation, Migration, Sicherheit – die Kampagnen dominieren, werden die Belange der First Nations totgeschwiegen. Für viele in Yarrabah und anderswo ist das ein bitterer Rückschritt.

„Unsere Vorfahren wurden übersehen – wir wollen sichtbar sein“, sagt eine Bewohnerin. Doch diese Sichtbarkeit scheint derzeit politisch unerwünscht.

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