Mehr Transparenz auf dem grauen Kapitalmarkt und Anleger, die weiterhin ihre Entscheidungen selbst fällen müssen – Elisabeth Roegele zum neuen Verbraucherschutzpaket.
Verbraucherinnen und Verbraucher stärken, aber nicht aus der Verantwortung entlassen – mit wenigen Worten fasst Elisabeth Roegele das Maßnahmenpaket zusammen, auf das sich die Ministerien von Christine Lambrecht und Olaf Scholz im August geeinigt haben.
Die Chefin der BaFin-Wertpapieraufsicht ist sich sicher: Es wird ein spürbares Plus an Sicherheit auf dem grauen Kapitalmarkt geben. Im Interview mit dem BaFinJournal warnt Roegele Anleger allerdings davor, dass sich Geschäftsmodelle weiterhin anders entwickeln können, als vom Emittenten geplant und vorhergesagt.
Auf einen Blick: In neun Schritten zu mehr Verbraucherschutz
Das Verbraucherschutzpaket der Bundesregierung besteht aus neun Maßnahmen. Die Nummern 1 und 6 sind bereits umgesetzt, die Nummer 9 ansatzweise. Zu anderen Punkten werden Referentenentwürfe erarbeitet werden. Worum geht es?
- Unvollständige Verkaufsprospekte wird es fortan nicht mehr geben. Hintergrund: Anleger können die Prognosen von Emittenten kaum prüfen, wenn ihnen Angaben wie Zinszahlung, Kaufpreis und Rückkaufpreis fehlen. Das Gesetz, das nun Abhilfe schafft, ist Mitte Juli in Kraft getreten.
- Vermögensanlagen in Form von Blindpool-Konstruktionen sollen Privatanlegern nicht mehr öffentlich angeboten werden dürfen. Ausweichmöglichkeit für Anbieter wie Anleger: geschlossene Fonds.
- Vermögensanlagen dürfen künftig nur noch Vermittler vertreiben, die unter Aufsicht stehen, die also zum Beispiel bestimmte Verhaltens- und Transparenzpflichten erfüllen müssen. Der mit Interessenkonflikten beladene Eigenvertrieb ist dann nicht mehr erlaubt.
- Es soll bessere Möglichkeiten geben, die Rechnungslegung von Vermögensanlagenemittenten zu prüfen. Anleger könnten dann besser erkennen, ob ihr Geld für den vorbestimmten Zweck eingesetzt wird.
- Emittenten von Direktinvestments müssen künftig einen geeigneten unabhängigen Dritten – zum Beispiel einen Rechtsanwalt oder einen Wirtschaftsprüfer – damit beauftragen, die Verwendung der eingezahlten Mittel zu kontrollieren. Das Ergebnis dieser Mittelverwendungskontrolle sollen die Emittenten veröffentlichen.
- Die BaFin wird ihre Produktinterventionsbefugnis bei Vermögensanlagen weiter konsequent nutzen. Seit 2015 kann sie die Vermarktung, den Vertrieb und den Verkauf von bestimmten Finanzprodukten beschränken oder sogar verbieten – zum Beispiel dann, wenn diese Produkte erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufwerfen. Von dieser Befugnis macht die BaFin bereits Gebrauch. In vielen Fällen reicht es aber schon, darauf hinzuweisen, dass sie dieses Instrument nutzen kann.
- Verwalter kleiner geschlossener Publikumsfonds müssen sich bislang nur registrieren lassen und weniger strenge Regeln befolgen, was Anlegern nicht immer bewusst ist. Damit soll Schluss sein: Künftig sollen alle Verwalter geschlossener Publikumsfonds der Erlaubnispflicht unterliegen – und damit der Aufsicht der BaFin. Aber Vorsicht: Wer als Verwalter eines aufgelegten geschlossenen Publikumsfonds bereits registriert ist, soll Bestandsschutz genießen können.
- Die Aufsicht über freie Finanzanlagenvermittler soll schrittweise auf die BaFin übertragen werden. Bislang werden sie – je nach Bundesland – von den Gewerbeämtern oder den Industrie- und Handelskammern kontrolliert. Die Bündelung bei der BaFin soll für eine einheitliche und qualitativ hochwertige Finanzaufsicht sorgen.
- Die BaFin soll sich noch mehr als bislang in der Verbraucherbildung engagieren und über Vermögensanlagen aufklären.
Frau Roegele, das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) haben kürzlich ihr großes Verbraucherschutzpaket auf den Weg gebracht. Ist das jetzt das langersehnte Rundum-sorglos-Paket?
Roegele: Nein. Als Rundum-sorglos-Paket ist es nicht gedacht, und das wird es auch nie geben können. Aber der Schutz von Anlegerinnen und Anlegern wird mit diesem Paket wesentlich verbessert. Das Paket wird für mehr Transparenz bei den Vermögensanlagen sorgen, und Anleger werden am Kapitalmarkt selbstbestimmter entscheiden können, wie sie ihr Geld anlegen können. Was aber auch bedeutet, dass Anleger sich informieren und selbst entscheiden müssen.
Wird der graue Kapitalmarkt nun also doch nicht weiß?
Der graue Kapitalmarkt wird für Anleger transparenter. Es wird ein spürbares Plus an Sicherheit geben, aber Geschäftsmodelle, in die private Anleger investiert haben, werden sich weiterhin anders entwickeln können, als vom Emittenten geplant und vorhergesagt. Sie dürfen auch eines nicht vergessen: Wir können kriminelles Handeln mit Regulierung zwar eindämmen, ganz ausschließen können wir es aber nicht.
Was versprechen Sie sich davon, dass künftig nur noch beaufsichtigte Vermittler Vermögensanlagen vertreiben sollen?
Einen sehr viel besseren Anlegerschutz. Dass Anbieter ihre Vermögensanlagen grundsätzlich bald nicht mehr selbst an Privatanleger vertreiben dürfen, ist ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Finanzdienstleistungsinstitute und Finanzanlagenvermittler stehen unter laufender Aufsicht. Sie müssen eine ganze Reihe von Transparenz- und Verhaltenspflichten einhalten. Und sie haben die nötige Sachkunde, um Anleger zu beraten.
Blindpool-Konstruktionen sollen Privatanlegern künftig nicht mehr angeboten werden dürfen. Kippt an der Stelle Verbraucherschutz in Bevormundung?
Nein, hier geht es nicht um Bevormundung. Gerade bei den Vermögensanlagen sehen wir sehr viele Blindpools. Ein privater Anleger sollte aber wissen, worin er sein Geld investiert. Nur dann kann er wirklich abwägen.
Das gesamte Verbraucherschutzpaket hat das Ziel, Anleger in die Lage zu versetzen, mündige Entscheidungen zu treffen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt – und das Gegenteil von Bevormundung. Die Bundesregierung will Verbraucherinnen und Verbraucher stärken, entlässt sie aber nicht aus der Verantwortung. Dieser Weg ist der einzig gangbare. Wer sich nicht mit einem Anlageobjekt befassen und dies einem Manager überlassen will, hat immer noch die Möglichkeit, in Fonds zu investieren.
Die BaFin soll demnächst von Vermögensanlageemittenten schon Auskünfte und Unterlagen verlangen dürfen, bevor sie deren Rechnungslegung in einer Sonderprüfung unter die Lupe nehmen lässt. Wird das eine Welle von Sonderprüfungen auslösen?
Sicher nicht. Out of the blue werden wir auch künftig keine Sonderprüfungen anstoßen. Dazu brauchen wir auch weiterhin Anhaltspunkte. Der Punkt ist der, dass wir in Zukunft durch vorgelagerte Auskunftsersuchen besser abschätzen können, ob unsere Vermutungen sich durch konkrete Anhaltspunkte stützen lassen.
Was bringt es Verbrauchern, dass Emittenten von Direktinvestments in Sachgütern bald einen unabhängigen Dritten damit beauftragen sollen, die Verwendung der Anlegergelder zu prüfen?
Zunächst will ich noch einmal betonen, dass die Mittelverwendung nur bei Direktinvestments in Sachgüter kontrolliert werden soll, nicht bei allen Vermögensanlagen.
Für Anleger würde dadurch klarer, ob ihr Geld wirklich für den vorbestimmten Zweck eingesetzt wird. Wenn ein unabhängiger Dritter das im Blick hätte, wäre das auf jeden Fall ein Gewinn für den Anlegerschutz.
Apropos Produktintervention: BMF und BMJV wollen, dass die BaFin ihre Interventionsmöglichkeiten konsequent ausschöpft. Hat die Aufsicht das scharfe Schwert Produktintervention bislang zu selten gezückt?
Nein, das ist nicht das Thema. Die BaFin hat dieses scharfe Schwert schon mehrmals gezückt. Erst kürzlich haben wir zum Beispiel dafür gesorgt, dass finanzielle Differenzkontrakte (Contracts for Difference – CFD) in Deutschland weiterhin nur eingeschränkt an Kleinanleger vermarktet, vertrieben und verkauft werden dürfen (siehe BaFinJournal August 2019).
Es geht dem BMF und dem BMJV darum, noch einmal deutlich zu machen, wie wichtig das scharfe Schwert Produktintervention ist. Die Produktintervention kann immer nur ultima ratio sein. Aber manchmal reicht es sogar schon aus, darauf hinzuweisen, dass wir eine solche Möglichkeit haben.
Ein weiterer Punkt ist wichtig: Aus meiner Sicht wird noch einmal klargemacht, dass es ein Nebeneinander zweier Instrumente gibt: Es gibt die Prospektbilligung, die wir nach dem gesetzlichen Auftrag durchführen – wir prüfen also Kohärenz, Vollständigkeit und Verständlichkeit. Und es gibt die Produktintervention, die sehr weit gehen kann.
Selbst wenn ein Anbieter sämtliche prospektrechtlichen Vorgaben erfüllt und wir den Prospekt billigen müssen, hindert uns das nicht daran, anschließend doch den Vertrieb des Produktes zu verbieten. Wenn wir erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz haben, können wir intervenieren. Das klingt wie ein Widerspruch, ist aber keiner.
Was kann die BaFin bei der Aufsicht über freie Finanzanlagenvermittler besser als Gewerbeämter oder Industrie- und Handelskammern?
Wir haben sehr viel Erfahrung in der Verhaltensaufsicht, sprich: mit der Aufsicht über die Anforderungen bei der Anlageberatung und -vermittlung. Und wir können für eine einheitliche Aufsichtspraxis sorgen, also dafür, dass freie Finanzanlagenvermittler nach Standards beaufsichtigt werden, die mit denen für Banken vergleichbar sind.
Die Bündelung der Aufsicht unter unserem Dach hat außerdem den Vorteil, dass wir sicherstellen können, dass die Vorstellungen, die der europäische Gesetzgeber zum Beispiel in der MiFID II formuliert hat, flächendeckend umgesetzt werden. Europäisches Recht auszulegen und anzuwenden gehört zu unserem täglichen Geschäft.
Die BaFin soll sich verstärkt in der Verbraucherbildung engagieren. Was halten Sie davon?
Wir engagieren uns heute schon sehr stark auf dem Gebiet der Verbraucheraufklärung – unter anderem in den Bereichen, die in dem Verbraucherschutzpaket genannt werden. Wir freuen uns daher, wenn das auch von der Bundesregierung gesehen wird und wir das noch weiter ausbauen können.
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