Bayerisches Oberstes LandesgerichtAz.: 101 Kap 1/22 In dem Kapitalanleger-Musterverfahren Dipl.-Kfm. Ebert Kurt, Kelkheimer Straße 21, 65812 Bad Soden am Taunus Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Mattil & Kollegen, Thierschplatz 3, 80538 München, Gz.: 27/23KU/al/au Rechtsanwalt Dr. Vitt Elmar, Am Fuhrenkamp 16, 21376 Salzhausen gegen
Prozessbevollmächtigte zu 1: Prozessbevollmächtigte zu 2 – 4, 11: Prozessbevollmächtigte zu 5: Prozessbevollmächtigte zu 8: Prozessbevollmächtigte zu 9: Prozessbevollmächtigte zu 10: wegen Antrags auf Abtrennung erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht – 1. Zivilsenat – durch die Präsidentin des Bayerischen Obersten Landesgerichts Dr. Schmidt, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Muthig, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Schwegler, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht von Geldern-Crispendorf und den Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Niklaus am 13. Mai 2024 folgenden Beschluss
Gründe:I.Mit Vorlagebeschluss vom 14. März 2022 (Az. 3 OH 2767/22 KapMuG, im Klageregister veröffentlicht am 16. März 2022) hat das Landgericht München I dem Bayerischen Obersten Landesgericht gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG zahlreiche Feststellungsziele zur Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. In dem Vorlageverfahren werden gegen die dortigen beiden Beklagten und hiesigen Musterbeklagten zu 1) und 2) Schadensersatzansprüche wegen Kapitalanlagegeschäften in Aktien der Wirecard AG geltend gemacht. Ihnen wird eine Beteiligung an der Verletzung von Informationspflichten gegenüber dem Kapitalmarkt vorgeworfen. Der Musterbeklagte zu 1) war bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2020 Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG. Die Musterbeklagte zu 2) ist eine Wirtschaftsprüfergesellschaft und war für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 von der Wirecard AG mit der Jahresabschlussprüfung beauftragt. Sie erteilte für die Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte der Wirecard AG der Geschäftsjahre 2014 bis 2018 jeweils einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Dem Musterbeklagten zu 1) wird nach dem im Vorlagebeschluss wiedergegebenen Lebenssachverhalt vorgeworfen, er habe in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG den Kapitalmarkt falsch informiert. Die Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte der Wirecard AG für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 seien unrichtig. Der Musterbeklagte zu 1) habe es unterlassen, die Wirecard AG betreffende Kapitalmarktinformationen unverzüglich zu veröffentlichen, und unwahre Ad-hoc-Mitteilungen veröffentlicht. Der Musterbeklagten zu 2) wird zum Vorwurf gemacht, sie habe falsche Bestätigungsvermerke erstellt und dadurch den Kapitalmarkt unzutreffend informiert sowie Beihilfe zu den angeblichen Informationspflichtverletzungen der Wirecard AG geleistet. Gemäß § 9 Abs. 5 KapMuG sind die Musterbeklagten zu 3) bis 11) zu weiteren Verfahrensbeteiligten geworden. Die Musterbeklagten zu 3), 4), 9) und 11) waren im Rahmen der Jahresabschlussprüfungen 2014 bis 2018 als Wirtschaftsprüfer für die Musterbeklagte zu 2) tätig. Der Musterbeklagte zu 5) war Mitglied des Vorstands der Wirecard AG. Der flüchtige Musterbeklagte zu 6) war bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2020 Mitglied des Vorstands der Wirecard AG. Die ursprüngliche Musterbeklagte zu 7), die MB Beteiligungsgesellschaft mbH, hat Kredite mit privaten Vermögenswerten des Musterbeklagten zu 1) gesichert. Mit Beschluss des Amtsgerichts Limburg a. d. Lahn vom 21. Februar 2024 (Az. 9 IN 20/24) wurden die vorläufige Verwaltung ihres Vermögens angeordnet, Rechtsanwalt Carsten Koch zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 22 InsO). Der Musterbeklagte zu 8) ist Insolvenzverwalter des Vermögens der Wirecard AG. Der Musterbeklagte zu 10) leitete die Niederlassung der Wirecard AG in Dubai. Mit Beschluss vom 13. März 2023 (im Klageregister veröffentlicht am 16. März 2023) hat der Senat den Musterkläger bestimmt und die Musterbeklagten zu 1) bis 7) bekannt gemacht. Mit weiteren Beschlüssen vom 13. April 2023 (im Klageregister veröffentlicht am 20. April 2023), vom 16. Oktober 2023 (im Klageregister veröffentlicht am 19. Oktober 2023) und vom 18. März 2024 (im Klageregister veröffentlicht am 21. März 2024) hat der Senat die Musterbeklagten zu 8) bis 11) bekannt gemacht. Der Musterkläger und einzelne Beigeladene haben beantragt, das Verfahren um weitere zahlreiche Feststellungsziele zu erweitern. Über diese Anträge ist noch nicht entschieden. Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2024 hat der Beigeladene Frings-Rupp unter Verweis auf den Schriftsatz vom 23. November 2022 beantragt, das Verfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) („und gegebenenfalls gegen eine weitere Musterbeklagte EY Global Ltd.“) mit den diese betreffenden Feststellungsanträgen nach § 145 ZPO abzutrennen. Dem Antrag haben sich weitere Beigeladene angeschlossen. Der Musterkläger hat mit Schriftsatz vom 16. Februar 2024 beantragt, das Musterverfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) nach § 145 Abs. 1 ZPO abzutrennen. Mit Schriftsatz datierend vom 23. Februar 2024, eingegangen am 22. Februar 2024, haben der Musterkläger und der Beigeladene Frings-Rupp sowie weitere Beigeladene beantragt, die Verfahren gegen die ursprüngliche Musterbeklagte zu 7) und den Musterbeklagten zu 1) nach § 145 ZPO vom Verfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) abzutrennen. Die Antragsteller vertreten die Auffassung, dass eine Abtrennung des Musterverfahrens gegen einzelne Musterbeklagte zulässig sei. Das Musterverfahren sei nach Musterbeklagten trennbar, auch wenn es inhaltlich Zusammenhänge gebe. Die Abspaltung der Vorlagefragen hinsichtlich der Musterbeklagten zu 2) (Abschnitte B. „Teilnahme“, C. „Schaden und Kausalität“ und D. „Zur Zulässigkeit“ des Vorlagebeschlusses) zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung sei aufgrund der hierdurch möglichen Beschleunigung sachgerecht und geboten. Die Vorlagefragen zu Abschnitt A. des Vorlagebeschlusses („Haupttat“) beträfen die Klagen gegen die Musterbeklagte zu 2) und ihre faktische und rechtliche Grundlage nicht. Die Haftung der Musterbeklagten zu 2) setze nicht auf die Haftung „von Wirecard“ auf. Vielmehr handele es sich um Nebentäter. Zudem erfordere es die gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung der Musterbeklagten zu 2), die eine künftige Vollstreckung erheblich erschwere und behindere, das Verfahren gegen diese Musterbeklagte vorrangig voranzutreiben. Im Hinblick auf eine Abtrennung des Verfahrens gegen die ursprüngliche Musterbeklagte zu 7) „sowie den mutmaßlich ebenfalls überschuldeten Musterbeklagten zu 1)“ argumentieren die Antragsteller, dass im Falle der Insolvenz eines Musterbeklagten eine Trennung des Musterverfahrens zulässig und sogar geboten sei. Mehrere Beigeladene haben sich gegen eine Abtrennung ausgesprochen. Sie sind der Ansicht, dass eine Verfahrenstrennung im Anwendungsbereich des § 7 KapMuG mit der Grundkonzeption des Musterverfahrens unvereinbar sei. Genauso wie die Einleitung von parallelen Musterverfahren ausgeschlossen sei, sei auch die Aufspaltung eines Musterverfahrens in mehrere Verfahren durch Trennung gemäß § 145 ZPO unzulässig. Andere Beigeladene vertreten die Auffassung, dass eine Trennung auf Seiten der Musterbeklagten in einem Spannungsverhältnis zu § 9 Abs. 5 KapMuG stehe. Im Fall eines durch Prozesstrennung entstehenden gesonderten Musterverfahrens gegen einen von mehreren Musterbeklagten bleibe dieser Musterbeklagte gleichwohl gemäß § 9 Abs. 5 KapMuG auch Musterbeklagter im Ausgangs-Musterverfahren. Die übrigen Musterbeklagten wiederum würden nach § 9 Abs. 5 KapMuG zu Musterbeklagten des abgetrennten Musterverfahrens. Die Parteien blieben auch bei einer Prozesstrennung die gleichen. Allenfalls die Feststellungsziele ließen sich mittels Prozesstrennung separieren. Die Musterbeklagten zu 2), 3), 4) und 9) sind der Auffassung, dass eine Trennung des Musterverfahrens grundsätzlich unzulässig sei. Die Trennung eines zuvor einheitlichen Musterverfahrens „mit potenziell uneinheitlichen Entscheidungen“ laufe der Zielsetzung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes entgegen, sämtliche gleichgerichteten Feststellungsziele in einem Musterverfahren zu bündeln und einer einheitlichen Entscheidung sowie einheitlichen Feststellungen zuzuführen. Die grundsätzliche Unzulässigkeit einer Abtrennung folge auch aus der mit § 7 KapMuG einhergehenden Sperrwirkung. Eine Abtrennung sei nur zulässig, wenn der abzutrennende Verfahrensteil ein selbständiges Feststellungsziel betreffe, das sich allein bei der Haftung des abzutrennenden Musterbeklagten auswirke. Insofern käme nur die Abtrennung des Verfahrens gegen die Musterbeklagte zu 2) im Hinblick auf die – streitige – Unzulässigkeit des Verfahrens gegen diese in Betracht. Davon abgesehen liege kein sachlicher Grund für eine Abtrennung vor. Verzögerungen, die sich aus der Natur des Musterverfahrens ergäben, seien hinzunehmen. Unabhängig davon sei eine beschleunigte Erledigung des Verfahrens gegen die Musterbeklagte zu 2) durch Verfahrenstrennung nicht zu erwarten, da zahllose Feststellungsziele – wie diejenigen, die auf die Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse gerichtet seien – Vorfragen für die Entscheidung der Feststellungsziele gegen die Musterbeklagte zu 2) beinhalteten, über welche zunächst entschieden werden müsse. Auf Grund dieses rechtlichen Zusammenhangs sei eine Trennung der Verfahren auch nicht zweckmäßig. Der Musterbeklagte zu 1) hat sich diesen Ausführungen angeschlossen. Der Musterbeklagte zu 8) ist der Auffassung, dass eine Verfahrenstrennung nach § 145 ZPO im Musterverfahren unstatthaft sei. Eine Anwendung des § 145 ZPO sei mit dem Sinn und Zweck und der gesetzlichen Struktur des Musterverfahrens als Instrument der Verfahrensbündelung und kollektiven Rechtsdurchsetzung unvereinbar und würde entgegen § 7 KapMuG zu mehreren parallelen Musterverfahren führen. Zudem seien die Feststellungsziele und die dahinterstehenden anspruchsbegründenden Voraussetzungen einer Haftung der Musterbeklagten zu 2) in mehrfacher Hinsicht so eng miteinander verbunden, dass ein isoliertes Musterverfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) nicht möglich sei. Da dem Vorlagebeschluss die Behauptung einer akzessorischen Haftung der Musterbeklagten zu 2) für die behaupteten Pflichtverletzungen der Wirecard AG und ihrer Organe zugrunde liege, könne über diese Haftung nicht entschieden werden, ohne zuvor Feststellungen über die (behaupteten) Pflichtverletzungen der Musterbeklagten zu 1), 5) bis 7) und 10) zu treffen. Zudem könne im Hinblick auf Handlungen der Musterbeklagten zu 3), 4) und 9), die der Musterbeklagten zu 2) haftungsrechtlich zugerechnet würden, keine isolierte Feststellung über die Haftung der Musterbeklagten zu 2) getroffen werden. Eine Abtrennung wäre verfahrensrechtlich nicht durchführbar. Für eine Abtrennung liege auch im derzeitigen Verfahrensstadium kein sachlicher Grund vor. Schließlich sei wegen des vorläufig eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ursprünglichen Musterbeklagten zu 7) das Musterverfahren insgesamt unterbrochen. II.Die Anträge auf Abtrennung haben keinen Erfolg. Die Abtrennung des Musterverfahrens gegen die Musterbeklagte zu 2), den Musterbeklagten zu 1) oder den nunmehrigen Musterbeklagten zu 7) ist unzulässig. Sie wäre im Übrigen auch nicht sachdienlich. Eine Abtrennung des Musterverfahrens betreffend EY Global Ltd. scheidet aus. Diese ist nicht Musterbeklagte.
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