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Bayerisches Oberlandes Gericht: Sonstige Entscheidungen 101 Kap 1/22 Wirecard AG

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Bayerisches Oberstes Landesgericht

Az.: 101 Kap 1/​22

In dem Kapitalanleger-Musterverfahren

Dipl.-Kfm. Ebert Kurt, Kelkheimer Straße 21, 65812 Bad Soden am Taunus
– Musterkläger –

Prozessbevollmächtigte:
Dr. Späth & Partner Rechtsanwälte PartG mbB, Kurfürstendamm 102, 10711 Berlin, Gz.: li-101/​24

Rechtsanwälte Mattil & Kollegen, Thierschplatz 3, 80538 München, Gz.: 27/​23KU/​al/​au

Rechtsanwalt Dr. Vitt Elmar, Am Fuhrenkamp 16, 21376 Salzhausen

gegen

1)

Dr. Braun Markus, Gloriettegasse 20, A-1130 Wien, Österreich
– Musterbeklagter –

2)

EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, vertreten durch die TS Verwaltungs-GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, diese gesetzlich vertreten durch d. Geschäftsführer, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagte –

3)

Dahmen Martin, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

4)

Budde Andreas, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

5)

von Knoop Alexander, Fraßhaußer Straße 1, 83623 Dietramszell Steingau
– Musterbeklagter –

6)

Marsalek Jan, derzeit unbekannten Aufenthalts, vormals: Tal 43, 80331 München
– Musterbeklagter –

7)

Koch Carsten, als vorläufiger Insolvenzverwalter des Vermögens der MB Beteiligungsgesellschaft mbH, Frankfurter Straße 13, 35781 Weilburg
– Musterbeklagter, derzeit infolge Unterbrechung nicht am Verfahren beteiligt –

8)

Dr. Jaffé Michael, als Insolvenzverwalter des Vermögens der Wirecard AG, Franz-Joseph-Straße 8, 80801 München
– Musterbeklagter –

9)

Broschulat Ralf, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

10)

Bellenhaus Oliver, Stadelheimer Straße 12, 81245 München
– Musterbeklagter –

11)

Loetscher Andreas, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

Prozessbevollmächtigte zu 1:
Rechtsanwälte Kalweit & Kraußlach, Faustgäßchen 4, 99084 Erfurt, Gz.: 127/​24

Prozessbevollmächtigte zu 2 – 4, 11:
LUTZ | ABEL Rechtsanwalts PartG mbB, Brienner Straße 29, 80333 München, Gz.: 00003E20 MZ/​cobu; weiteres Gz.: 742023 NP/​juni

Prozessbevollmächtigte zu 5:
bock legal Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Reuterweg 51 – 53, 60323 Frankfurt, Gz.: 315/​23

Prozessbevollmächtigte zu 8:
SZA SCHILLING, ZUTT & ANSCHÜTZ Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Otto-Beck- Straße 11, 68165 Mannheim, Gz.: 677/​23

Prozessbevollmächtigte zu 9:
Heiss & Leppla Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Pettenkoferstraße 37, 80336 München, Gz.: 452/​22LEeg

Prozessbevollmächtigte zu 10:
MELCHERS Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Im Breitspiel 21, 69126 Heidelberg, Gz.: 2277/​23

wegen Antrags auf Abtrennung

erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht – 1. Zivilsenat – durch die Präsidentin des Bayerischen Obersten Landesgerichts Dr. Schmidt, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Muthig, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Schwegler, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht von Geldern-Crispendorf und den Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Niklaus am 13. Mai 2024 folgenden

Beschluss

1.

Die Anträge, das Verfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) nach § 145 Abs. 1 ZPO abzutrennen, werden zurückgewiesen.

2.

Die Anträge, die Verfahren gegen den Musterbeklagten zu 7) und den Musterbeklagten zu 1) nach § 145 Abs. 1 ZPO abzutrennen, werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Mit Vorlagebeschluss vom 14. März 2022 (Az. 3 OH 2767/​22 KapMuG, im Klageregister veröffentlicht am 16. März 2022) hat das Landgericht München I dem Bayerischen Obersten Landesgericht gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG zahlreiche Feststellungsziele zur Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt.

In dem Vorlageverfahren werden gegen die dortigen beiden Beklagten und hiesigen Musterbeklagten zu 1) und 2) Schadensersatzansprüche wegen Kapitalanlagegeschäften in Aktien der Wirecard AG geltend gemacht. Ihnen wird eine Beteiligung an der Verletzung von Informationspflichten gegenüber dem Kapitalmarkt vorgeworfen. Der Musterbeklagte zu 1) war bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2020 Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG. Die Musterbeklagte zu 2) ist eine Wirtschaftsprüfergesellschaft und war für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 von der Wirecard AG mit der Jahresabschlussprüfung beauftragt. Sie erteilte für die Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte der Wirecard AG der Geschäftsjahre 2014 bis 2018 jeweils einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk.

Dem Musterbeklagten zu 1) wird nach dem im Vorlagebeschluss wiedergegebenen Lebenssachverhalt vorgeworfen, er habe in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG den Kapitalmarkt falsch informiert. Die Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte der Wirecard AG für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 seien unrichtig. Der Musterbeklagte zu 1) habe es unterlassen, die Wirecard AG betreffende Kapitalmarktinformationen unverzüglich zu veröffentlichen, und unwahre Ad-hoc-Mitteilungen veröffentlicht.

Der Musterbeklagten zu 2) wird zum Vorwurf gemacht, sie habe falsche Bestätigungsvermerke erstellt und dadurch den Kapitalmarkt unzutreffend informiert sowie Beihilfe zu den angeblichen Informationspflichtverletzungen der Wirecard AG geleistet.

Gemäß § 9 Abs. 5 KapMuG sind die Musterbeklagten zu 3) bis 11) zu weiteren Verfahrensbeteiligten geworden.

Die Musterbeklagten zu 3), 4), 9) und 11) waren im Rahmen der Jahresabschlussprüfungen 2014 bis 2018 als Wirtschaftsprüfer für die Musterbeklagte zu 2) tätig.

Der Musterbeklagte zu 5) war Mitglied des Vorstands der Wirecard AG.

Der flüchtige Musterbeklagte zu 6) war bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2020 Mitglied des Vorstands der Wirecard AG.

Die ursprüngliche Musterbeklagte zu 7), die MB Beteiligungsgesellschaft mbH, hat Kredite mit privaten Vermögenswerten des Musterbeklagten zu 1) gesichert. Mit Beschluss des Amtsgerichts Limburg a. d. Lahn vom 21. Februar 2024 (Az. 9 IN 20/​24) wurden die vorläufige Verwaltung ihres Vermögens angeordnet, Rechtsanwalt Carsten Koch zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 22 InsO).

Der Musterbeklagte zu 8) ist Insolvenzverwalter des Vermögens der Wirecard AG.

Der Musterbeklagte zu 10) leitete die Niederlassung der Wirecard AG in Dubai.

Mit Beschluss vom 13. März 2023 (im Klageregister veröffentlicht am 16. März 2023) hat der Senat den Musterkläger bestimmt und die Musterbeklagten zu 1) bis 7) bekannt gemacht. Mit weiteren Beschlüssen vom 13. April 2023 (im Klageregister veröffentlicht am 20. April 2023), vom 16. Oktober 2023 (im Klageregister veröffentlicht am 19. Oktober 2023) und vom 18. März 2024 (im Klageregister veröffentlicht am 21. März 2024) hat der Senat die Musterbeklagten zu 8) bis 11) bekannt gemacht.

Der Musterkläger und einzelne Beigeladene haben beantragt, das Verfahren um weitere zahlreiche Feststellungsziele zu erweitern. Über diese Anträge ist noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2024 hat der Beigeladene Frings-Rupp unter Verweis auf den Schriftsatz vom 23. November 2022 beantragt, das Verfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) („und gegebenenfalls gegen eine weitere Musterbeklagte EY Global Ltd.“) mit den diese betreffenden Feststellungsanträgen nach § 145 ZPO abzutrennen. Dem Antrag haben sich weitere Beigeladene angeschlossen.

Der Musterkläger hat mit Schriftsatz vom 16. Februar 2024 beantragt, das Musterverfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) nach § 145 Abs. 1 ZPO abzutrennen.

Mit Schriftsatz datierend vom 23. Februar 2024, eingegangen am 22. Februar 2024, haben der Musterkläger und der Beigeladene Frings-Rupp sowie weitere Beigeladene beantragt, die Verfahren gegen die ursprüngliche Musterbeklagte zu 7) und den Musterbeklagten zu 1) nach § 145 ZPO vom Verfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) abzutrennen.

Die Antragsteller vertreten die Auffassung, dass eine Abtrennung des Musterverfahrens gegen einzelne Musterbeklagte zulässig sei. Das Musterverfahren sei nach Musterbeklagten trennbar, auch wenn es inhaltlich Zusammenhänge gebe. Die Abspaltung der Vorlagefragen hinsichtlich der Musterbeklagten zu 2) (Abschnitte B. „Teilnahme“, C. „Schaden und Kausalität“ und D. „Zur Zulässigkeit“ des Vorlagebeschlusses) zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung sei aufgrund der hierdurch möglichen Beschleunigung sachgerecht und geboten. Die Vorlagefragen zu Abschnitt A. des Vorlagebeschlusses („Haupttat“) beträfen die Klagen gegen die Musterbeklagte zu 2) und ihre faktische und rechtliche Grundlage nicht. Die Haftung der Musterbeklagten zu 2) setze nicht auf die Haftung „von Wirecard“ auf. Vielmehr handele es sich um Nebentäter. Zudem erfordere es die gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung der Musterbeklagten zu 2), die eine künftige Vollstreckung erheblich erschwere und behindere, das Verfahren gegen diese Musterbeklagte vorrangig voranzutreiben. Im Hinblick auf eine Abtrennung des Verfahrens gegen die ursprüngliche Musterbeklagte zu 7) „sowie den mutmaßlich ebenfalls überschuldeten Musterbeklagten zu 1)“ argumentieren die Antragsteller, dass im Falle der Insolvenz eines Musterbeklagten eine Trennung des Musterverfahrens zulässig und sogar geboten sei.

Mehrere Beigeladene haben sich gegen eine Abtrennung ausgesprochen. Sie sind der Ansicht, dass eine Verfahrenstrennung im Anwendungsbereich des § 7 KapMuG mit der Grundkonzeption des Musterverfahrens unvereinbar sei. Genauso wie die Einleitung von parallelen Musterverfahren ausgeschlossen sei, sei auch die Aufspaltung eines Musterverfahrens in mehrere Verfahren durch Trennung gemäß § 145 ZPO unzulässig. Andere Beigeladene vertreten die Auffassung, dass eine Trennung auf Seiten der Musterbeklagten in einem Spannungsverhältnis zu § 9 Abs. 5 KapMuG stehe. Im Fall eines durch Prozesstrennung entstehenden gesonderten Musterverfahrens gegen einen von mehreren Musterbeklagten bleibe dieser Musterbeklagte gleichwohl gemäß § 9 Abs. 5 KapMuG auch Musterbeklagter im Ausgangs-Musterverfahren. Die übrigen Musterbeklagten wiederum würden nach § 9 Abs. 5 KapMuG zu Musterbeklagten des abgetrennten Musterverfahrens. Die Parteien blieben auch bei einer Prozesstrennung die gleichen. Allenfalls die Feststellungsziele ließen sich mittels Prozesstrennung separieren.

Die Musterbeklagten zu 2), 3), 4) und 9) sind der Auffassung, dass eine Trennung des Musterverfahrens grundsätzlich unzulässig sei. Die Trennung eines zuvor einheitlichen Musterverfahrens „mit potenziell uneinheitlichen Entscheidungen“ laufe der Zielsetzung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes entgegen, sämtliche gleichgerichteten Feststellungsziele in einem Musterverfahren zu bündeln und einer einheitlichen Entscheidung sowie einheitlichen Feststellungen zuzuführen. Die grundsätzliche Unzulässigkeit einer Abtrennung folge auch aus der mit § 7 KapMuG einhergehenden Sperrwirkung. Eine Abtrennung sei nur zulässig, wenn der abzutrennende Verfahrensteil ein selbständiges Feststellungsziel betreffe, das sich allein bei der Haftung des abzutrennenden Musterbeklagten auswirke. Insofern käme nur die Abtrennung des Verfahrens gegen die Musterbeklagte zu 2) im Hinblick auf die – streitige – Unzulässigkeit des Verfahrens gegen diese in Betracht. Davon abgesehen liege kein sachlicher Grund für eine Abtrennung vor. Verzögerungen, die sich aus der Natur des Musterverfahrens ergäben, seien hinzunehmen. Unabhängig davon sei eine beschleunigte Erledigung des Verfahrens gegen die Musterbeklagte zu 2) durch Verfahrenstrennung nicht zu erwarten, da zahllose Feststellungsziele – wie diejenigen, die auf die Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse gerichtet seien – Vorfragen für die Entscheidung der Feststellungsziele gegen die Musterbeklagte zu 2) beinhalteten, über welche zunächst entschieden werden müsse. Auf Grund dieses rechtlichen Zusammenhangs sei eine Trennung der Verfahren auch nicht zweckmäßig.

Der Musterbeklagte zu 1) hat sich diesen Ausführungen angeschlossen.

Der Musterbeklagte zu 8) ist der Auffassung, dass eine Verfahrenstrennung nach § 145 ZPO im Musterverfahren unstatthaft sei. Eine Anwendung des § 145 ZPO sei mit dem Sinn und Zweck und der gesetzlichen Struktur des Musterverfahrens als Instrument der Verfahrensbündelung und kollektiven Rechtsdurchsetzung unvereinbar und würde entgegen § 7 KapMuG zu mehreren parallelen Musterverfahren führen. Zudem seien die Feststellungsziele und die dahinterstehenden anspruchsbegründenden Voraussetzungen einer Haftung der Musterbeklagten zu 2) in mehrfacher Hinsicht so eng miteinander verbunden, dass ein isoliertes Musterverfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) nicht möglich sei. Da dem Vorlagebeschluss die Behauptung einer akzessorischen Haftung der Musterbeklagten zu 2) für die behaupteten Pflichtverletzungen der Wirecard AG und ihrer Organe zugrunde liege, könne über diese Haftung nicht entschieden werden, ohne zuvor Feststellungen über die (behaupteten) Pflichtverletzungen der Musterbeklagten zu 1), 5) bis 7) und 10) zu treffen. Zudem könne im Hinblick auf Handlungen der Musterbeklagten zu 3), 4) und 9), die der Musterbeklagten zu 2) haftungsrechtlich zugerechnet würden, keine isolierte Feststellung über die Haftung der Musterbeklagten zu 2) getroffen werden. Eine Abtrennung wäre verfahrensrechtlich nicht durchführbar. Für eine Abtrennung liege auch im derzeitigen Verfahrensstadium kein sachlicher Grund vor. Schließlich sei wegen des vorläufig eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ursprünglichen Musterbeklagten zu 7) das Musterverfahren insgesamt unterbrochen.

II.

Die Anträge auf Abtrennung haben keinen Erfolg. Die Abtrennung des Musterverfahrens gegen die Musterbeklagte zu 2), den Musterbeklagten zu 1) oder den nunmehrigen Musterbeklagten zu 7) ist unzulässig. Sie wäre im Übrigen auch nicht sachdienlich. Eine Abtrennung des Musterverfahrens betreffend EY Global Ltd. scheidet aus. Diese ist nicht Musterbeklagte.

1.

Die beantragte Abtrennung des Musterverfahrens ist jeweils unzulässig.

a) Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht anordnen, dass mehrere in einer Klage erhobene Ansprüche in getrennten Prozessen verhandelt werden, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Das Gericht entscheidet auf Antrag, der als Anregung zur Ausübung richterlichen Ermessens zu verstehen ist, oder von Amts wegen nach pflichtgebundenem Ermessen (Vollkommer in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 145 Rn. 5 f.; Wendtland in BeckOK ZPO, 52. Edition Stand: 1. März 2024, § 145 Rn. 10).

§ 145 Abs. 1 Satz 1 ZPO setzt zunächst eine Mehrheit von Streitgegenständen infolge objektiver oder subjektiver Klagehäufung voraus (Vollkommer in Zöller, ZPO, § 145 Rn. 3). Ferner muss ein sachlicher Grund zur Trennung vorliegen (Vollkommer in Zöller, ZPO, § 145 Rn. 4 m. w. N.). Schließlich darf keine notwendige Verbindung zwischen den erhobenen Ansprüchen bestehen (Vollkommer in Zöller, ZPO, § 145 Rn. 5; Stadler in Musielak/​Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 145 Rn. 3). Die Möglichkeit einander widersprechender Entscheidungen hindert dagegen eine Prozesstrennung nicht (vgl. Smid/​Hartmann in Wieczorek/​Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2022, § 145 ZPO Rn. 11 m. w. N.).

b) § 145 Abs. 1 ZPO gilt – zumindest in entsprechender Anwendung – auch im Kapitalanleger-Musterverfahren.

aa) § 145 Abs. 1 ZPO steht zwar nicht im Abschnitt der im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 253 bis § 494a ZPO), die nach der ausdrücklichen Anordnung in § 11 Abs. 1 KapMuG auf das Musterverfahren entsprechend anzuwenden sind, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Gemäß § 3 Abs. 1 EGZPO findet die Zivilprozessordnung aber auf alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören. Dies gilt auch für das Musterverfahren (vgl. Kruis in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 11 KapMuG Rn. 20; BT-Drs. 15/​5091 S. 22 zur Anwendbarkeit des § 249 ZPO i. V. m. § 3 EGZPO hinsichtlich der Wirkung einer Unterbrechung).

Eine speziellere Vorschrift, die der entsprechenden Anwendung von § 145 Abs. 1 ZPO auf das Musterverfahren entgegenstünde, enthält das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz nicht. Die Anwendung von § 145 Abs. 1 ZPO ist im Musterverfahren auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen.

bb) Ob und inwieweit § 145 Abs. 1 ZPO im Kapitalanleger-Musterverfahren anwendbar ist, ist in der Literatur allerdings umstritten.

(1) Eine Ansicht lehnt die Anwendung der Regelung zur Verfahrenstrennung im Musterverfahren grundsätzlich ab, da diese mit der Grundkonzeption des Musterverfahrens unvereinbar sei. Nach Einleitung eines Musterverfahrens aufgrund gleichgerichteter, also den gleichen zugrundeliegenden Sachverhalt betreffender Feststellungziele sei die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens zu gleichgerichteten Feststellungszielen gemäß § 7 KapMuG ausgeschlossen. Deshalb stehe § 7 KapMuG einer Verfahrenstrennung entgegen (Kruis in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 11 KapMuG Rn. 36; ebenso Kotschy in Vorwerk/​Wolf, KapMuG, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 22; Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. 2014, § 11 Rn. 81). Anderes soll nur gelten, sofern der abzutrennende Verfahrensteil ein selbständiges Feststellungsziel betrifft, das sich nur bei der Haftung des abzutrennenden Musterbeklagten auswirkt (Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, § 11 Rn. 82), oder – generell – falls einen von mehreren Musterbeklagten isoliert ein Ereignis trifft, das nach den allgemeinen Regeln der §§ 239 ff. ZPO zu einer Unterbrechung und Aussetzung führt und nicht alsbald behoben werden kann (Kotschy in Vorwerk/​Wolf, KapMuG, § 11 Rn. 22).

(2) Nach anderer Auffassung ist eine Verfahrenstrennung auch im Musterverfahren denkbar, wobei das für das Musterverfahren zuständige Gericht bei der Entscheidung insbesondere darauf zu achten habe, dass nicht Musterverfahren mit gegenseitiger Sperrwirkung im Sinne des § 7 Satz 1 KapMuG entstehen (Asmus in Asmus/​Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, 2022, § 11 KapMuG Rn. 88 f.).

cc) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Die Anwendung des § 145 Abs. 1 ZPO ist im Musterverfahren nicht von vorneherein ausgeschlossen. Eine Verfahrenstrennung nach dieser Vorschrift ist jedoch nur möglich, soweit sie weder einzelnen Regelungen des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes noch der Konzeption des Musterverfahrens an sich widerspricht. Insbesondere darf durch eine Abtrennung die Regelung des § 7 KapMuG nicht umgangen werden. Zudem ist der Streitgegenstand im Musterverfahren anders als im Klageverfahren zu bestimmen.

(1) Ist bereits ein Vorlagebeschluss ergangen, ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens unzulässig, sofern die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von den Feststellungszielen des Musterverfahrens abhängt, § 7 Satz 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 KapMuG. § 7 Satz 1 KapMuG sperrt die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens auch für Anspruchsvoraussetzungen, die nicht Gegenstand der Feststellungsziele des bereits eingeleiteten Musterverfahrens sind. Zwar kann ein Ausgangsverfahren nur im Hinblick auf die Feststellungsziele des bereits eingeleiteten Musterverfahrens und nicht im Hinblick auf weitere Feststellungsziele, die für im Verfahren erhobene Ansprüche (§ 1 Abs. 1 KapMuG) entscheidungserheblich wären, gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt werden. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Entscheidung über die Feststellungsziele des bereits eingeleiteten Musterverfahrens im Falle der Aussetzung bindende Wirkung hätte (BGH, Beschl. v. 16. Juni 2020, II ZB 10/​19, WM 2020, 1418 Rn. 28).

Die Bindungswirkung des § 7 KapMuG greift allerdings nicht bereits dann, wenn den Feststellungszielen des Musterverfahrens und den im streitigen Verfahren erhobenen Ansprüchen der gleiche Lebenssachverhalt zu Grunde liegt. Entscheidend ist vielmehr die Vorgreiflichkeit (vgl. BGH, Beschl. v. 16. Juni 2020, II ZB 10/​19, WM 2020, 1418 Rn. 25). Die Bindungswirkung des Musterentscheids ist zudem auf diejenigen Ansprüche nach § 1 Abs. 1 KapMuG beschränkt, die Gegenstand der Feststellungsziele sind. Für Schadensersatzansprüche, die auf die Unrichtigkeit einer anderen Kapitalmarktinformation gestützt werden, entfalten die Feststellungen des Musterentscheids keine Wirkung (BGH, WM 2020, 1418 Rn. 27; Beschl. v. 22. November 2016, XI ZB 9/​13, BGHZ 213, 65 Rn. 53).

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Anwendung des § 145 Abs. 1 ZPO im Musterverfahren entgegen der in der Literatur teilweise vertretenen Auffassung nicht generell ausgeschlossen. Denn trotz der gesetzgeberischen Ziele, durch die Bündelung gleichgerichteter Ansprüche das Kostenrisiko für den Einzelnen und die Gefahr divergierender Entscheidungen zu senken sowie die Gerichte durch die einheitliche Klärung bestimmter Tatsachen- und Rechtsfragen für eine Vielzahl von gleichgelagerten Rechtsstreitigkeiten zu entlasten (BT-Drs. 15/​5091 S. 16 f.; BT-Drs. 17/​8799 S. 13), werden verschiedene Musterverfahren zu einem gleichen Lebenssachverhalt durch das Gesetz nicht ausgeschlossen (vgl. BGH, WM 2020, 1418 Rn. 20). Entscheidendes Abgrenzungskriterium für die Frage, ob konkurrierende Musterverfahren rechtlich zulässig sind, ist die Bindungswirkung der Entscheidung über die Feststellungsziele des jeweiligen Musterverfahrens. Maßgeblich ist danach – wie für die Frage der Abhängigkeit nach § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 KapMuG -, ob mit der Entscheidung über die Feststellungsziele des bereits eingeleiteten Musterverfahrens eine Bindung des Prozessgerichts nach § 22 Abs. 1 Satz 1 KapMuG eintreten kann (BGH, WM 2020, 1418 Rn. 20 m. w. N.).

(3) Eine Aufspaltung des Musterverfahrens nach Musterbeklagten – ohne gleichzeitige Abtrennung einzelner Feststellungsziele – ist allerdings unzulässig. Eine Abtrennung kommt von vornherein nur hinsichtlich einzelner Feststellungsziele in Betracht. Denn im Kapitalanleger-Musterverfahren hat die Prüfung der Trennbarkeit anhand der verfahrensgegenständlichen Feststellungsziele zu erfolgen.

Im Zivilprozess wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt (st. Rspr.; BGH, Urt. v. 5. Juli 2016, XI ZR 254/​15, BGHZ 211, 189 Rn. 24; BGH, Urt. v. 22. Oktober 2013, XI ZR 42/​12, BGHZ 198, 294, Rn. 15; BGH, Urt. v. 19. Dezember 1991, BGHZ 117, 1 [juris Rn. 14]; jeweils m. w. N.). Abweichend hiervon bildet im Kapitalanleger-Musterverfahren jedes Feststellungsziel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ein gesondertes Rechtsschutzbegehren und einen eigenen Streitgegenstand des Musterverfahrens (BGH, Beschl. v. 21. Juli 2020, II ZB 19/​19, WM 2020, 1774 Rn. 19; BGH, WM 2020, 1418 Rn. 21; BGH, Beschl. v. 19. September 2017, XI ZB 17/​15, BGHZ 216, 37 Rn. 32).

c) Die Anträge auf Abtrennung des Verfahrens gegen die Musterbeklagte zu 2) sind entsprechend den Ausführungen im Schriftsatz vom 23. November 2022 dahingehend auszulegen, dass in einem gesonderten Musterverfahren gegen die Musterbeklagte zu 2) die Feststellungsziele der Abschnitte B., C. und D. des Vorlagebeschlusses geklärt werden sollen. Die Abtrennung dieser Feststellungsziele ist jedoch wegen Verstoßes gegen § 7 KapMuG unzulässig. Sie würde der gesetzlichen Konzeption einer Bündelung aller Feststellungsziele in einem einheitlichen Musterverfahren zuwiderlaufen und eine Umgehung des § 7 KapMuG darstellen.

aa) Das Gericht, dem ein Vorlagebeschluss gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 KapMuG vorgelegt wird, hat die Reichweite der Sperrwirkung dieses Beschlusses zu beachten; eine Abtrennung scheidet aus, wenn die Einleitung eines konkurrierenden Musterverfahrens nach § 7 Satz 1 KapMuG unzulässig ist. Die Frage, ob die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens nach § 7 Satz 1 KapMuG zulässig ist, hat das für das Musterverfahren zuständige Gericht nicht anhand der Verfahren zu beurteilen, in denen gleichgerichtete Musterverfahrensanträge gestellt oder die nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt wurden, sondern anhand des Vorlagebeschlusses, der nach § 6 Abs. 3 KapMuG die Feststellungsziele und eine knappe Darstellung des den Musterverfahrensanträgen zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts enthält (vgl. BGH, WM 2020, 1418 Rn. 17). Die Frage der Abtrennbarkeit einzelner Feststellungsziele ist mithin ebenfalls anhand des Vorlagebeschlusses zu beurteilen.

bb) Eine Abtrennung wäre danach im Streitfall nur möglich, sofern eine Entscheidung über die Feststellungsziele des Abschnitts A. des Vorlagebeschlusses, die nicht Gegenstand des abzutrennenden Musterverfahrens werden sollen, für die Entscheidung der gegen die Musterbeklagte zu 2) geführten und nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Rechtsstreitigkeiten keine Bindungswirkung entfalten würde.

Das ist jedoch nicht der Fall.

(1) Ausweislich des im Vorlagebeschluss dargestellten Lebenssachverhalts wird die Musterbeklagte zu 2) in dem diesem Beschluss zugrundeliegenden Ausgangsrechtsstreit (auch) wegen Beihilfe zu kapitalmarktrechtlichen Pflichtverletzungen der Wirecard AG in Anspruch genommen. Die geltend gemachte Haftungsgrundlage ist anhand des Vorlagebeschlusses zu bestimmen (vgl. BGH, Beschl. v. 13. September 2022, XI ZB 13/​21, WM 2023, 1370 Rn. 34). Abschnitt B. der Feststellungsziele trägt die Überschrift „Zur Frage von Teilnahme“. Gemäß den Feststellungszielen B. I. 1. und B. II. 1. soll festgestellt werden, dass die Musterbeklagte zu 2) die „Verletzung der in den §§ 37b, 37c WpHG a.F.“ bzw. „der in den §§ 37v WpHG geregelten Publizitätspflichten durch die Wirecard AG“ objektiv gefördert habe. Fehl geht daher mit Blick auf den Vorlagebeschluss die Auffassung der Beigeladenen Alpha Portfolio AG, die Haftung der Musterbeklagten zu 2) sei von der Haftung der Wirecard AG unabhängig. Beihilfe ist nur zu einer bestimmten Haupttat möglich. Die tatbestandliche Verwirklichung der Haupttat ist notwendige Voraussetzung einer Verantwortlichkeit wegen Beihilfe. Insofern sind sämtliche Feststellungsziele des Abschnitts A., die kapitalmarktrechtliche Pflichtverletzungen der Wirecard AG betreffen, für die Entscheidung sämtlicher gegen die Musterbeklagte zu 2) geführten, ausgesetzten Rechtsstreitigkeiten vorgreiflich. Die Entscheidung über die dort genannten Feststellungsziele entfaltet Bindungswirkung auch für die Verfahren gegen die Musterbeklagte zu 2). Gleiches gilt für diejenigen Feststellungsziele des Abschnitts A., die das Handeln des Musterbeklagten zu 1) betreffen, da der Wirecard AG als juristischer Person das Handeln ihrer Organe gemäß § 31 BGB zugerechnet wird und auf diesem rechtlichen Gesichtspunkt die das Handeln des Musterbeklagten zu 1) betreffenden Feststellungsziele des Abschnitts A. beruhen. Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist ferner weder für das Musterverfahren noch für die ausgesetzten Ausgangsrechtsstreite „rechtskräftig festgestellt“, dass „die Zahlen bei Wirecard falsch“ waren. Unabhängig davon, dass der Vortrag in dieser Pauschalität unsubstantiiert ist, geht aus den im Vorlagebeschluss enthaltenen Feststellungszielen A. I. 1. bis 5. und dem Lebenssachverhalt hervor, dass die Richtigkeit verschiedener Angaben in den Geschäftsberichten zwischen den Parteien – worauf es wegen der Relativität der Prozessrechtsverhältnisse ankommt – streitig und deren Unrichtigkeit auch nicht erwiesen ist. Die in den Feststellungszielen A. I. 1. bis 5. enthaltenen Tatsachenbehauptungen wurden im Musterverfahren durch die Musterbeklagte zu 2) auch nicht unstreitig gestellt.

(2) Hinsichtlich des Feststellungsziels C. ist darüber hinaus zu beachten, dass dieses nicht allein den gegen die Musterbeklagte zu 2) geltend gemachten Ansprüchen zuzuordnen ist. Eine Entscheidung über dieses Feststellungsziel entfaltet vielmehr Bindungswirkung sowohl für die Ausgangsverfahren gegen den Musterbeklagten zu 1) als auch für die Ausgangsverfahren gegen die Musterbeklagte zu 2). Denn Fragen zur haftungsbegründenden Kausalität stellen sich sowohl im Rahmen der Haftung des Musterbeklagten zu 1) als auch im Rahmen der Haftung der Musterbeklagten zu 2). Aus dem Lebenssachverhalt des Vorlagebeschlusses geht hervor, dass gegenüber dem Musterbeklagten zu 1) und der Musterbeklagten zu 2) ein Kursdifferenzschaden geltend gemacht wird (vgl. LG München I, Beschl. v. 14. März 2022, 3 OH 2767/​22, S. 9 f.).

d) Aus den dargestellten Gründen ist auch umgekehrt eine Abtrennung des Verfahrens gegen den Musterbeklagten zu 1) mit den diesen betreffenden Feststellungszielen unzulässig.

e) Eine Abtrennung des Verfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) kommt aus den vorstehend ausgeführten Gründen bereits deshalb nicht in Betracht, weil Feststellungsziele, welche allein die MB Beteiligungsgesellschaft mbH betreffen, im Vorlagebeschluss nicht enthalten sind. Die Verfahren gegen die MB Beteiligungsgesellschaft mbH wurden aufgrund der Vorgreiflichkeit der Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses ausgesetzt. Eine Abtrennung des Verfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) mit jedenfalls einem Teil dieser Feststellungsziele würde zu einem zweiten, parallel laufenden Musterverfahren mit teils identischen Feststellungszielen führen, was gemäß § 7 KapMuG gerade nicht zulässig ist.

Auch die mit dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) verbundene Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters für das Vermögen der MB Beteiligungsgesellschaft, die – wie der Senat in einem deklaratorischen Beschluss vom heutigen Tag ausgeführt hat – zu einer Unterbrechung des Musterverfahrens gegen den nunmehrigen Musterbeklagten zu 7) geführt hat, vermag die Zulässigkeit der Abtrennung nicht zu begründen.

Im Falle einer Unterbrechung des Musterverfahrens gegen einzelne Musterbeklagte ergehen Feststellungen zu den Feststellungszielen nur in den nicht von der Unterbrechung betroffenen Prozessrechtsverhältnissen. Die getroffenen Feststellungen entfalten für das unterbrochene Prozessrechtsverhältnis keine Bindungswirkung (Relativität der Prozessrechtsverhältnisse). Im Übrigen sind Handlungen des Gerichts während der Unterbrechung des Verfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) in diesem Prozessrechtsverhältnis unwirksam (§ 3 EGZPO i. V. m. § 249 Abs. 2 ZPO). § 249 Abs. 2 ZPO regelt zwar nur die Unwirksamkeit der von einer Partei in Bezug auf die Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber; entsprechendes gilt aber für gerichtliche Handlungen, die nach außen vorgenommen werden (allg. M.; vgl. BGH, Beschl. v. 19. März 2024, X ARZ 119/​23, juris Rn. 24; BGH, Beschl. v. 11. Januar 2023, XII ZB 538/​21, MDR 2023, 518 Rn. 11; BGH, Beschl. v. 31. März 2004, XII ZR 167/​00, MDR 2004, 1077 [juris Rn. 4]; BGH, Urt. v. 21. Juni 1995, VIII ZR 224/​94, MDR 1995, 1163 [juris Rn. 5]; jeweils m. w. N.; Gerken in Wieczorek/​Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2022, § 249 Rn. 20 m. w. N.; Stackmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 249 Rn. 19 m. w. N.).

Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Unterbrechung des Musterverfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) vor einer (Teil-)Entscheidung des Gerichts über die Feststellungsziele entweder durch Aufhebung des der MB Beteiligungsgesellschaft mbH auferlegten allgemeinen Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und anschließende Aufnahme zumindest eines der Ausgangsverfahren nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften gemäß § 3 EGZPO in Verbindung mit § 250 ZPO endet (vgl. hierzu den deklaratorischen Beschluss des Senats vom heutigen Tag zur Unterbrechung des Musterverfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7]). In diesem Fall unterfielen die Prozessgerichte und die Beteiligten der Ausgangsverfahren der Bindungswirkung gemäß § 22 KapMuG. Eine zuvor erfolgte Abtrennung des Musterverfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) wäre wegen Verstoßes gegen § 7 KapMuG unzulässig; die Verfahren müssten wieder verbunden werden. Die Verfahrenstrennung hätte letztlich zur Folge, ein weiteres unterbrochenes Musterverfahren zu schaffen, obwohl dies aus prozessualen Gründen nicht erforderlich ist.

f) Eine Abtrennung des Verfahrens im Hinblick auf (einzelne) Feststellungsziele der Erweiterungsanträge ist bereits deshalb unzulässig, weil diese nicht Gegenstand des Musterverfahrens sind. Die beantragten Feststellungsziele würden erst durch einen Erweiterungsbeschluss gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KapMuG zum Gegenstand des Musterverfahrens (vgl. BGHZ 216, 37 Rn. 32 m. w. N.).

2.

Eine Abtrennung des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellungsziele der Abschnitte B., C. und D. (gegenüber der Musterbeklagten zu 2]) oder umgekehrt im Hinblick auf die Feststellungsziele des Abschnitts A. (gegenüber dem Musterbeklagten zu 1]) wäre im Übrigen nicht sachdienlich. Gleiches gilt für eine Abtrennung des Verfahrens gegen den nunmehrigen Musterbeklagten zu 7).

a) Zwar ist das Interesse an der beschleunigten Erledigung abtrennbarer Teile eines Rechtsstreits grundsätzlich als sachlicher Grund für eine Prozesstrennung nach § 145 Abs. 1 ZPO anzuerkennen (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, § 145 Rn. 4 m. w. N.). Da die Feststellungsziele des Abschnitts A. aber anspruchsbegründende Voraussetzungen sowohl für eine Haftung des Musterbeklagten zu 1) als auch für eine Haftung der Musterbeklagten zu 2) darstellen, und, wie bereits ausgeführt, in den Feststellungszielen des Abschnitts B. Feststellungen aus den Feststellungszielen zu A. inzident enthalten sind, wären diese Feststellungsziele in beiden Musterverfahren zu prüfen. Dies wäre in höchstem Maße prozessunökonomisch und würde dem gesetzgeberischen Ziel, die Gefahr divergierender Entscheidungen zu gleichgerichteten Sachverhalten zu senken, zuwiderlaufen.

b) Eine Abtrennung des Verfahrens gegen den nunmehrigen Musterbeklagten zu 7) ist nicht sachdienlich, da das Verfahren im Übrigen fortgesetzt werden kann. Die Unterbrechung des Musterverfahrens betrifft nur die Prozessrechtsverhältnisse zwischen dem Musterbeklagten zu 7) und den Beigeladenen, die in ihrem jeweiligen Ausgangsverfahren Klage gegen die MB Beteiligungsgesellschaft mbH erhoben haben (vgl. Senatsbeschluss vom heutigen Tag). Auch der Grundsatz der Kosteneinheit (vgl. Jaspersen in BeckOK ZPO, § 92 Rn. 9, 22; Schulz in Münchener Kommentar zur ZPO, § 91 Rn. 7, § 92 Rn. 6; Herget in Zöller, ZPO, § 92 Rn. 6) gebietet keine Abtrennung. Bei einem Klageverfahren gegen mehrere (einfache) Streitgenossen kann eine Prozesstrennung nach § 145 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die zu treffende Kostenentscheidung sachdienlich sein, wenn in der Person einzelner Streitgenossen ein Unterbrechungstatbestand eintritt. Anders als im Klageverfahren ist eine Kostenentscheidung im erstinstanzlichen Musterverfahren aber nicht zu treffen (§ 16 Abs. 2 KapMuG).

3.

Eine Abtrennung im Hinblick auf EY Global Ltd. scheidet aus, da diese nicht Partei des Musterverfahrens ist.

Dr. Schmidt

Präsidentin
des Bayerischen Obersten Landesgerichts

Dr. Muthig

Richterin
am Bayerischen Obersten Landesgericht

Dr. Schwegler

Richterin
am Bayerischen Obersten Landesgericht

von Geldern-Crispendorf

Richterin
am Bayerischen Obersten Landesgericht

Niklaus

Richter
am Bayerischen Obersten Landesgericht

++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Bayerisches Oberstes Landesgericht

Az.: 101 Kap 1/​22

In dem Kapitalanleger-Musterverfahren

Dipl.-Kfm. Ebert Kurt, Kelkheimer Straße 21, 65812 Bad Soden am Taunus
– Musterkläger –

Prozessbevollmächtigte:
Dr. Späth & Partner Rechtsanwälte PartG mbB, Kurfürstendamm 102, 10711 Berlin, Gz.: li-101/​24

Rechtsanwälte Mattil & Kollegen, Thierschplatz 3, 80538 München, Gz.: 27/​23KU/​al/​au

Rechtsanwalt Dr. Vitt Elmar, Am Fuhrenkamp 16, 21376 Salzhausen

gegen

1)

Dr. Braun Markus, Gloriettegasse 20, A-1130 Wien, Österreich
– Musterbeklagter –

2)

EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, vertreten durch die TS Verwaltungs-GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, diese gesetzlich vertreten durch d. Geschäftsführer, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagte –

3)

Dahmen Martin, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

4)

Budde Andreas, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

5)

von Knoop Alexander, Fraßhaußer Straße 1, 83623 Dietramszell Steingau
– Musterbeklagter –

6)

Marsalek Jan, derzeit unbekannten Aufenthalts, vormals: Tal 43, 80331 München
– Musterbeklagter –

7)

Koch Carsten, als vorläufiger Insolvenzverwalter des Vermögens der MB Beteiligungsgesellschaft mbH, Frankfurter Straße 13, 35781 Weilburg
– Musterbeklagter, derzeit infolge Unterbrechung nicht am Verfahren beteiligt –

8)

Dr. Jaffé Michael, als Insolvenzverwalter des Vermögens der Wirecard AG, Franz-Joseph-Straße 8, 80801 München
– Musterbeklagter –

9)

Broschulat Ralf, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

10)

Bellenhaus Oliver, Stadelheimer Straße 12, 81245 München
– Musterbeklagter –

11)

Loetscher Andreas, c/​o EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Flughafenstraße 61, 70629 Stuttgart
– Musterbeklagter –

Prozessbevollmächtigte zu 1:
Rechtsanwälte Kalweit & Kraußlach, Faustgäßchen 4, 99084 Erfurt, Gz.: 127/​24

Prozessbevollmächtigte zu 2 – 4, 11:
Rechtsanwälte LUTZ | ABEL Rechtsanwalts PartG mbB, Brienner Straße 29, 80333 München, Gz.: 00003E20 MZ/​cobu; weiteres Gz.: 742023 NP/​juni

Prozessbevollmächtigte zu 5:
bock legal Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Reuterweg 51 – 53, 60323 Frankfurt, Gz.: 315/​23

Prozessbevollmächtigte zu 8:
SZA SCHILLING, ZUTT & ANSCHÜTZ Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Otto-Beck- Straße 11, 68165 Mannheim, Gz.: 677/​23

Prozessbevollmächtigte zu 9:
Heiss & Leppla Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Pettenkoferstraße 37, 80336 München, Gz.: 452/​22LEeg

Prozessbevollmächtigte zu 10:
MELCHERS Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Im Breitspiel 21, 69126 Heidelberg, Gz.: 2277/​23

wegen Unterbrechung

erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht – 1. Zivilsenat – durch die Präsidentin des Bayerischen Obersten Landesgerichts Dr. Schmidt, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Muthig, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Schwegler, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht von Geldern-Crispendorf und den Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Niklaus am 13. Mai 2024 folgenden

Beschluss

Das Kapitalanleger-Musterverfahren ist unterbrochen, soweit es sich gegen den Musterbeklagten zu 7) richtet.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Limburg a. d. Lahn hat mit Beschluss vom 21. Februar 2024 (Az.: 9 IN 20/​24) auf den Eigenantrag der MB Beteiligungsgesellschaft mbH, der früheren Musterbeklagten zu 7), gemäß §§ 21, 22 InsO die vorläufige Verwaltung von deren Vermögen angeordnet und Rechtsanwalt Carsten Koch, Frankfurter Straße 13, 35781 Weilburg, zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Außerdem hat es gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt.

II.

Infolge des Übergangs der Verfügungsbefugnis über das Vermögen der MB Beteiligungsgesellschaft mbH auf den vorläufigen Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO ist letzterer als Rechtsnachfolger der bisherigen Musterbeklagten zu 7) Musterbeklagter geworden.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Musterbeklagten wird der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger des insolventen Musterbeklagten Verfahrensbeteiligter kraft Amtes (vgl. BGH, Beschl. v. 23. November 2021, XI ZB 23/​20, ZIP 2022, 75 Rn. 14; allgemein: BGH, Beschl. v. 28. März 2007, VII ZB 25/​05, BGHZ 172, 15 [juris Rn. 7]; so bereits für den Konkursverwalter: BGH, Urt. v. 16. Januar 1997, IX ZR 220/​96, NJW 1997, 1445 [juris Rn. 9]). Entsprechendes gilt für den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den infolge eines dem Insolvenzschuldner auferlegten allgemeinen Verfügungsverbots gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen; verfahrensrechtlich ist er bereits mit dessen Erwerb – nicht erst seit der Aufnahme des Rechtsstreits – als Rechtsnachfolger des Schuldners Partei (vgl. BGH, NJW 1997, 1445 [juris Rn. 9]).

III.

Mit dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der MB Beteiligungsgesellschaft mbH auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ist das Kapitalanleger-Musterverfahren gegen diesen Musterbeklagten unterbrochen worden (§ 3 Abs. 1 EGZPO i. V. m. § 240 Satz 2 ZPO). Diese kraft Gesetzes eingetretene Wirkung (allg. M., vgl. Greger in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 240 Rn. 3) stellt der Senat durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter Ziffer 1).

Eine Unterbrechung des Kapitalanleger-Musterverfahrens insgesamt findet dagegen nicht statt, ohne dass es hierzu einer Abtrennung des gegen den Musterbeklagten zu 7) geführten Musterverfahrens bedürfte (vgl. Ziffern 2 u. 3).

1.

Das Kapitalanleger-Musterverfahren gegen den Musterbeklagten zu 7) ist gemäß § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen. In den gegen den Musterbeklagten zu 7) geführten, jeweils nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Ausgangsrechtsstreitigkeiten werden Schadensersatzansprüche geltend gemacht, welche im Falle der Insolvenzeröffnung die Insolvenzmasse der MB Beteiligungsgesellschaft mbH betreffen. Die Unterbrechung erstreckt sich auf das Musterverfahren, soweit es gegen den Musterbeklagten zu 7) geführt wird, weil in diesem Verfahren das Vorliegen oder Nichtvorliegen anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen mit grundsätzlich bindender Wirkung für alle nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Verfahren festgestellt werden kann (§ 22 Abs. 1 bis 3, § 2 Abs. 1 KapMuG).

a) § 240 ZPO gehört zwar nicht zu den im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 253 bis § 494a ZPO), die nach der ausdrücklichen Anordnung in § 11 Abs. 1 KapMuG auf das Musterverfahren entsprechend anzuwenden sind. Gemäß § 3 Abs. 1 EGZPO findet die Zivilprozessordnung aber auf alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören. Das gilt auch für das Kapitalanleger-Musterverfahren (vgl. Kruis in Wieczorek/​Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2022, § 11 KapMuG Rn. 11; BT-Drs. 15/​5091, S. 22).

Eine speziellere Vorschrift, die der entsprechenden Anwendung von § 240 ZPO auf das Musterverfahren entgegenstünde, enthält das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz nicht. Vielmehr setzt die Regelung in § 13 Abs. 1 KapMuG voraus, dass jedenfalls die Insolvenz des Musterklägers eine Unterbrechung des Musterverfahrens nach § 240 ZPO zur Folge hat. Denn in diesem Fall hat das für das Musterverfahren zuständige Gericht nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 KapMuG einen neuen Musterkläger zu bestimmen. In den Gesetzesmaterialien wird die Erforderlichkeit der Bestimmung eines neuen Musterklägers damit begründet, dass im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Musterklägers das Musterverfahren in dessen Person unterbrochen sei, was zu möglichen Verfahrensverzögerungen führe, die im Interesse einer zügigen Durchführung des Musterverfahrens unerwünscht seien (vgl. BR-Drs. 2/​05 S. 61 zu § 11 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs).

Für den Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Musterbeklagten enthält das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz dagegen keine besonderen Vorschriften. In der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur wird das diesbezügliche Schweigen des Gesetzes dahin interpretiert, dass der Gesetzgeber keine Veranlassung zu einer besonderen Regelung gesehen habe, weil es gewöhnlich mehrere Musterbeklagte gebe; wenn in der Person eines Musterbeklagten einer der in § 13 Abs. 1 Fall 2 oder § 13 Abs. 2 KapMuG aufgeführten Umstände eintrete, sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers über § 11 KapMuG die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden (vgl. BGH, ZIP 2022, 75 Rn. 9; Kruis in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 13 KapMuG Rn. 16; Kotschy in Vorwerk/​Wolf, KapMuG, 2. Aufl. 2020, § 13 Rn. 10; Rathmann in Asmus/​Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, 2022, § 13 KapMuG Rn. 14).

In der Kommentarliteratur ist unstreitig, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines von mehreren Musterbeklagten bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 240 ZPO die Unterbrechung des Musterverfahrens jedenfalls gegen diesen Musterbeklagten zur Folge hat (vgl. Kruis in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 13 KapMuG Rn. 18; Kotschy in Vorwerk/​Wolf, KapMuG, § 13 Rn. 10; Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl. 2014, § 13 Rn. 27; Rathmann in Asmus/​Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 13 KapMuG Rn. 14). Das Musterverfahren ist als Passivprozess der Insolvenzmasse anzusehen; denn die im Rahmen dieses Verfahrens zu treffenden Feststellungen wirken auf die ausgesetzten Ausgangsverfahren und die darin geltend gemachten Schadensersatz- bzw. Erfüllungsansprüche im Sinne von § 1 Abs. 1 KapMuG, welche die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) betreffen, ein (vgl. Vollkommer, a. a. O.).

b) Die nunmehr gegen den Musterbeklagten zu 7) geführten, jeweils gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Ausgangsprozesse vor dem Landgericht München I mit den Aktenzeichen 28 O 12176/​21, 27 O 4233/​22, 22 O 4234/​22 und 22 O 11755/​22 betreffen, falls es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der MB Beteiligungsgesellschaft mbH kommen sollte, jeweils deren Insolvenzmasse. In allen Fällen machen die Kläger gegen den Musterbeklagten zu 7) Schadensersatzansprüche geltend, weil die MB Beteiligungsgesellschaft mbH, handelnd durch den Musterbeklagten zu 1) als ihren damaligen Geschäftsführer, rechtswidrig dazu beigetragen habe, dessen Vermögenswerte einer Zwangsvollstreckung durch dessen Gläubiger zu entziehen.

c) Die Unterbrechung des Musterverfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) dauert fort, bis entweder das der MB Beteiligungsgesellschaft mbH auferlegte allgemeine Verfügungsverbot (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) aufgehoben oder das Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet und zumindest eines der Ausgangsverfahren, durch deren Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG die MB Beteiligungsgesellschaft mbH ihre vormalige Stellung als Verfahrensbeteiligte erlangt hatte (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG), nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften wieder aufgenommen wird (vgl. hierzu Rathmann in Asmus/​Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 13 KapMuG Rn. 14).

Die Aufnahme erfolgt durch Zustellung eines bei dem Gericht des Ausgangsverfahrens (§ 180 Abs. 2 InsO) einzureichenden Schriftsatzes an den Insolvenzverwalter, nachdem ein Kläger, der die MB Beteiligungsgesellschaft mbH in Anspruch genommen hat, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens seine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet und der Insolvenzverwalter diese bestritten hat (§ 179 Abs. 1 InsO i. V. m. § 250 ZPO). Mit der Aufnahme zumindest eines Ausgangsrechtsstreits gegen den Insolvenzverwalter erfolgt nach dem Rechtsgedanken des § 8 Abs. 1 KapMuG zugleich die Aufnahme des Musterverfahrens gegen diesen als Rechtsnachfolger der ursprünglichen Musterbeklagten zu 7).

2.

Die Unterbrechung des Kapitalanleger-Musterverfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) führt nicht zur Unterbrechung dieses Verfahrens gegen die Musterbeklagten zu 1) bis 6) und 8) bis 11).

Die Frage ist allerdings umstritten. Eine höchstrichterliche Entscheidung, die sich explizit mit der Frage befasst, welche Auswirkungen ein Unterbrechungstatbestand, der nur einen von mehreren Musterbeklagten betrifft, auf das erstinstanzliche Musterverfahren insgesamt hat, ist – soweit ersichtlich – noch nicht ergangen.

a) Nach einer Ansicht soll die Unterbrechung des Verfahrens in der Person eines Musterbeklagten zur Folge haben, dass das Musterverfahren insgesamt nicht fortgeführt werden kann. Begründet wird dies damit, dass mehrere Musterbeklagte in Bezug auf diejenigen Feststellungsziele, von denen sie in gleicher Weise betroffen seien, als notwendige Streitgenossen anzusehen seien; denn in diesem Fall könne nur eine einheitliche Sachentscheidung ergehen, wie sich bereits an der in § 22 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angeordneten Bindungswirkung zeige. Der Gesetzgeber habe es versäumt, für den Fall, dass ein Unterbrechungstatbestand nur in Bezug auf einen von mehreren Musterbeklagten vorliege, eine abgestufte Bindung des von der Unterbrechung betroffenen Musterbeklagten vorzusehen. Sei ein Musterbeklagter aber an die Feststellungen des Musterentscheids gebunden und könnten die Feststellungen allen Musterbeklagten gegenüber nur einheitlich erfolgen, müsse jeder Musterbeklagte am gesamten Musterverfahren uneingeschränkt mitwirken können. Das Musterverfahren könne deshalb erst fortgesetzt werden, wenn der Grund für die Unterbrechung entfallen sei (vgl. Kruis in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 13 KapMuG Rn. 18, § 9 KapMuG Rn. 39).

Einer anderen Auffassung zufolge soll die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines von mehreren Musterbeklagten zwar zunächst zur Unterbrechung des Musterverfahrens insgesamt führen (Vollkommer in Kölner Kommentar zum KapMuG, § 13 Rn. 31). Sollte es aber nicht zu einer zeitnahen Aufnahme durch den Insolvenzverwalter kommen, habe der insolvente Musterbeklagte auszuscheiden; das Musterverfahren sei mit den verbleibenden Musterbeklagten fortzusetzen. Hierzu habe das für das Musterverfahren zuständige Gericht in entsprechender Anwendung von § 8 Abs. 2 KapMuG den oder die verbliebenen Musterbeklagten zu neuen Musterbeklagten zu ernennen. Da vom Ausgang des unterbrochenen Musterverfahrens alle übrigen Ausgangsverfahren mit den übrigen Musterbeklagten abhingen, könne nicht abgewartet werden, bis das Verfahren gegen den insolventen Musterbeklagten fortgesetzt werden könne (vgl. Vollkommer, a. a. O. Rn. 32; zustimmend Rathmann in Asmus/​Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 13 KapMuG Rn. 17). Sollten die Ausgangsverfahren gegen den Insolvenzverwalter des insolventen Musterbeklagten später aufgenommen und nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt werden, trete der Insolvenzverwalter als weiterer Musterbeklagter dem Verfahren bei (Vollkommer, a. a. O. Rn. 34).

Nach einer weiteren Ansicht führt ein Unterbrechungstatbestand, der nur einen einzelnen Musterbeklagten betrifft, insbesondere die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines von mehreren Musterbeklagten, nicht zur Unterbrechung des Musterverfahrens insgesamt (Kotschy in Vorwerk/​Wolf, KapMuG, § 13 Rn. 10; Gängel/​Huth/​Gansel in Gängel/​Gansel, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, 4. Aufl. 2013, § 13 Rn. 9). Denn mehrere Musterbeklagte seien im Rahmen der musterverfahrensfähigen Ersatz- und Erfüllungsansprüche nach § 1 Abs. 1 KapMuG lediglich einfache und nicht notwendige Streitgenossen im Sinne von § 62 ZPO. Das Verfahren gegen den insolventen Musterbeklagten könne nach § 145 ZPO abgetrennt werden.

b) Der Bundesgerichtshof hat sich – soweit ersichtlich – zu der Frage, ob ein erstinstanzliches Musterverfahren durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines von mehreren Musterbeklagten insgesamt unterbrochen wird, noch nicht explizit geäußert. Entschieden wurde lediglich, wie zu verfahren ist, wenn über das Vermögen eines Musterbeklagten, der gemäß § 21 Abs. 3 KapMuG zum Musterrechtsbeschwerdeführer bestimmt worden war, das Insolvenzverfahren eröffnet wird. In diesem Fall bestimmt das Rechtsbeschwerdegericht in entsprechender Anwendung von § 21 Abs. 4, § 13 Abs. 1 Fall 2, § 9 Abs. 2 KapMuG nach billigem Ermessen einen neuen Musterrechtsbeschwerdeführer (BGH, Beschl. v. 23. November 2023, XI ZB 23/​20, ZIP 2022, 75 Leitsatz, Rn. 2 ff.).

Der vorgenannten Entscheidung lässt sich entnehmen, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des zum Musterrechtsbeschwerdeführer bestimmten Musterbeklagten der Fortführung des Musterrechtsbeschwerdeverfahrens nicht entgegensteht. Der Insolvenzverwalter, der mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Rechtsnachfolger des insolventen Musterbeklagten Verfahrensbeteiligter kraft Amtes geworden ist, ist weiter am Rechtsbeschwerdeverfahren zu beteiligen, ohne dass es hierzu einer Verfahrenshandlung des Insolvenzverwalters bedürfe, allerdings nur noch als weiterer Rechtsbeschwerdeführer (BGH, a. a. O. Rn. 14, 15).

Diese Ausführungen lassen sich allerdings nicht auf das erstinstanzliche Musterverfahren übertragen. Denn im Musterrechtsbeschwerdeverfahren bleiben zwar die Parteirollen des erstinstanzlichen Musterverfahrens erhalten, die Regelung des § 21 KapMuG konzentriert die Rollen des Rechtsmittelführers und des Rechtsmittelgegners aber auf jeweils einen Beteiligten. Aufgrund des Konzentrationsprinzips ist eine Streitgenossenschaft sowohl auf der Aktiv- wie auf der Passivseite grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Rimmelspacher in Kölner Kommentar zum KapMuG, § 20 Rn. 49, 50). Legen mehrere Musterbeklagte Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid ein, wird derjenige Musterbeklagte, welcher als erster das Rechtsmittel eingelegt hat, vom Rechtsbeschwerdegericht zum Musterrechtsbeschwerdeführer bestimmt (§ 21 Abs. 3 Satz 1 KapMuG). Die weiteren Rechtsbeschwerden der anderen Musterbeklagten sind nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB in eine Beitrittserklärung zum Rechtsbeschwerdeverfahren im Sinne von § 20 Abs. 3 Satz 1 KapMuG umzudeuten (Reuschle in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 21 KapMuG Rn. 19; Rimmelspacher, a. a. O. § 21 Rn. 36). Durch einen solchen Beitritt erlangt der Beitretende gemäß § 20 Abs. 4 Satz 2 KapMuG für das Musterrechtsbeschwerdeverfahren die an die Figur der Nebenintervention angelehnte Rechtsstellung eines Beigeladenen im Sinne von § 14 KapMuG (vgl. Reuschle in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 20 KapMuG Rn. 28; Rimmelspacher in Kölner Kommentar zum KapMuG, § 20 Rn. 74). Da der weitere Musterrechtsbeschwerdeführer somit kein eigenes Rechtsmittel führt, kann ein in seiner Person eintretender Unterbrechungstatbestand nicht zur Unterbrechung des Musterrechtsbeschwerdeverfahrens führen.

c) Der Senat schließt sich der Ansicht an, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines von mehreren Musterbeklagten nicht zur Unterbrechung des Musterverfahrens insgesamt führt.

aa) Zwischen mehreren Musterbeklagten besteht im Regelfall nur eine einfache Streitgenossenschaft, soweit zwischen ihnen nicht unabhängig von der Einleitung eines Kapitalanleger-Musterverfahrens nach allgemeinen Grundsätzen eine notwendige Streitgenossenschaft im Sinne von § 62 ZPO anzunehmen ist. Wird über das Vermögen eines einfachen Streitgenossen das Insolvenzverfahren eröffnet, tritt die Unterbrechung nur in Bezug auf diesen ein, so dass gegen den anderen Streitgenossen trotz der Gefahr widersprechender Entscheidungen grundsätzlich ein Teilurteil (§ 301 ZPO) ergehen kann (BGH, Beschl. v. 31. Januar 2023, II ZR 169/​22, WM 2023, 535 Rn. 21 m. w. N.).

§ 62 ZPO enthält eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 61 ZPO, dass Handlungen eines Streitgenossen den übrigen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen (Althammer in Zöller, ZPO, § 62 Rn. 2). Eine notwendige Streitgenossenschaft, bei der das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann, kann aus prozessualen oder materiell-rechtlichen Gründen bestehen. Aus prozessualen Gründen ist die Streitgenossenschaft eine notwendige, wenn die Rechtskraft der gegenüber nur einem Streitgenossen ergangenen Entscheidung sich auch auf den anderen Streitgenossen erstrecken würde (Althammer in Zöller, ZPO, § 62 Rn. 2 m. w. N.). Das ist nicht der Fall, wenn gegenüber mehreren Streitgenossen lediglich über eine einheitliche Vorfrage zu befinden ist, so bei Klagen gegen mehrere Gesamtschuldner (BGH, Urt. v. 1. März 2010, II ZR 213/​08, WM 2010, 796 Rn. 22 m. w. N.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 31. Januar 2023, II ZR 169/​22, WM 2023, 535 Rn. 22; Althammer in Zöller, ZPO, § 62 Rn. 10 m. w. N.). Aus materiell-rechtlichen Gründen besteht eine notwendige Streitgenossenschaft in den Fällen, in denen die Klage nur Erfolg haben kann, wenn sie durch oder gegen mehrere Parteien erhoben wird, eine Klage durch oder gegen nur eine Partei also mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig wäre (Althammer in Zöller, ZPO, § 62 Rn. 11 m. w. N.).

Die Stimmen in der Literatur, die von einer regelmäßig notwendigen Streitgenossenschaft der Musterbeklagten im Musterverfahren ausgehen, verkennen deren Voraussetzungen. Sie stellen maßgeblich darauf ab, dass über die Feststellungsziele im Musterverfahren nur eine einheitliche Entscheidung ergehen kann, und nehmen infolgedessen eine notwendige Streitgenossenschaft immer an, wenn ein Feststellungsziel mehrere Musterbeklagte betrifft. Der Umstand, dass über ein Feststellungsziel in mehreren Prozessrechtsverhältnissen zu entscheiden und die Entscheidung mithin grundsätzlich einheitlich zu treffen ist, reicht aber für sich genommen nicht aus, um eine notwendige Streitgenossenschaft – sei es aus prozessualen oder materiell-rechtlichen Gründen – der von diesem Feststellungsziel betroffenen Musterbeklagten zu begründen.

Das Musterverfahren bildet einen Abschnitt der von den Prozessgerichten ausgesetzten Ausgangsverfahren (BGH, Beschl. v. 22. November 2016, XI ZB 9/​13, BGHZ 213, 65 Rn. 52 m. w. N.). Für Folgeprozesse, denen lediglich parallele Fallgestaltungen zugrunde liegen, kommt den Feststellungen des Musterentscheids keine Bindungswirkung zu (BGH, a. a. O.). Die Natur der Streitgenossenschaft zwischen mehreren Musterbeklagten ist deshalb allein anhand der Rechtsverhältnisse des jeweiligen Ausgangsverfahrens zu bestimmen. Denn gemäß § 9 Abs. 5 KapMuG erlangen die Musterbeklagten ihre Stellung im Musterverfahren ausschließlich durch ihre Beklagteneigenschaft in den nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Verfahren. Das Musterverfahren kann daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern stets nur als Teil der ausgesetzten Verfahren. Besteht in den Ausgangsverfahren zwischen den in Anspruch genommenen Beklagten keine notwendige Streitgenossenschaft, können sie auch im Musterverfahren als Musterbeklagte nur einfache Streitgenossen sein.

Die MB Beteiligungsgesellschaft mbH war in sämtlichen gegen sie geführten und nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Rechtsstreitigkeiten die einzige Beklagte. Die jeweiligen Kläger begehren Schadensersatz, weil die MB Beteiligungsgesellschaft mbH – vertreten durch den Musterbeklagten zu 1) als ihren damaligen Geschäftsführer – Letzterem dazu Beihilfe geleistet habe, dessen Gläubigern Vermögensgegenstände zu entziehen und dadurch die Vollstreckung von Schadensersatzansprüchen gegen den Musterbeklagten zu 1), deren tatbestandliche Voraussetzungen den Gegenstand von Feststellungszielen des vorliegenden Musterverfahrens bilden, zu vereiteln.

Nach allgemeinen Grundsätzen sind die MB Beteiligungsgesellschaft mbH, deren Rechtsnachfolger der nunmehrige Musterbeklagte zu 7) ist, und der Musterbeklagte zu 1) somit weder aus prozessualen noch aus materiell-rechtlichen Gründen notwendige Streitgenossen. Der Schadensersatzanspruch gegen den Musterbeklagten zu 1), bezüglich dessen die MB Beteiligungsgesellschaft mbH nach Darstellung der Kläger Beihilfe zur Vollstreckungsvereitelung geleistet haben soll, bildet lediglich eine Vorfrage des gegen den Musterbeklagten zu 7) geltend gemachten Anspruchs. Der Umstand, dass dieselbe Sach- oder Rechtsfrage für verschiedene Schuldverhältnisse von Bedeutung ist, begründet für sich genommen keine notwendige Streitgenossenschaft zwischen den Gläubigern oder Schuldnern dieser Schuldverhältnisse.

bb) Mit der ratio des Kapitalanleger-Musterverfahrens wäre es unvereinbar, dass dieses insgesamt unterbrochen wird, wenn über das Vermögen eines oder einzelner von mehreren Musterbeklagten das Insolvenzverfahren eröffnet wird, ohne dass – unabhängig von der Einleitung des Musterverfahrens – die Voraussetzungen einer notwendigen Streitgenossenschaft zwischen dem von dem Unterbrechungstatbestand betroffenen und den übrigen Musterbeklagten vorliegen. Der Gesetzgeber hat die Gefahr einer Unterbrechung des Musterverfahrens nach § 240 ZPO infolge Insolvenzeröffnung – wenn auch nur in Bezug auf den Musterkläger – gesehen und zur Vermeidung der damit verbundenen Verfahrensverzögerungen in § 13 Abs. 1 Fall 2 KapMuG angeordnet, dass das für das Musterverfahren zuständige Gericht einen neuen Musterkläger zu bestimmen hat, wenn über das Vermögen des bisherigen Musterklägers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die Gesetzesbegründung betont in diesem Zusammenhang das Interesse an einer zügigen Durchführung des Musterverfahrens, weshalb zur Vermeidung unerwünschter Verfahrensverzögerungen in einem solchen Fall unverzüglich ein neuer Musterkläger zu bestimmen sei (vgl. BR-Drs. 2/​05 S. 61 f.; BGH, ZIP 2022, 75 Rn. 4).

cc) Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 KapMuG angeordnete Bindungswirkung des Musterentscheids in allen nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzten Verfahren steht einer Fortsetzung des Musterverfahrens gegen die nicht von einem Unterbrechungstatbestand betroffenen Musterbeklagten nicht entgegen. Das gilt insbesondere für den Unterbrechungstatbestand der Insolvenzeröffnung.

Zum einen ist der Insolvenzverwalter, wie oben unter Ziffer II dargelegt, verfahrensrechtlich bereits mit Erwerb der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners – nicht erst mit der Aufnahme des Rechtsstreits – als Rechtsnachfolger des Schuldners Partei kraft Amtes. Aus diesem Grunde kann er etwa ein Rechtsmittel einlegen, um ein gegen § 240 ZPO verstoßendes Urteil aus der Welt zu schaffen, ohne die Unterbrechung durch Aufnahme des Verfahrens zu beenden (vgl. BGH, NJW 1997, 1445 [juris Rn. 10] m. w. N.).

Zum anderen enthält § 22 Abs. 3 KapMuG eine Regelung zur Einschränkung der Bindungswirkung des Musterentscheids für die Beigeladenen, deren Rechtsgedanke einer entsprechenden Anwendung auf Musterbeklagte, die wegen eines in ihrer Person vorliegenden Unterbrechungstatbestands zeitweise an der Mitwirkung am Musterverfahren verhindert waren, zugänglich sein dürfte. Gemäß § 22 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG können die Beigeladenen nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens in ihrem jeweiligen Rechtsstreit unter anderem einwenden, dass sie durch die Lage des Musterverfahrens zur Zeit der Aussetzung des von ihnen geführten Rechtsstreits verhindert gewesen seien, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen. Dieser Einwand dürfte auch einem Musterbeklagten zuzubilligen sein, gegen den ein zeitweilig unterbrochenes Musterverfahren vor Erlass des Musterentscheids wieder aufgenommen worden ist, soweit er infolge der Unterbrechung daran gehindert war, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen.

3.

Eine Abtrennung des unterbrochenen Kapitalanleger-Musterverfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) von Amts wegen ist weder erforderlich noch möglich, weil sich keines der verfahrensgegenständlichen Feststellungsziele nur auf die MB Beteiligungsgesellschaft mbH bezieht. Handlungen ihrer Organe, welche dieser Gesellschaft zuzurechnen wären, werden in den Feststellungszielen nicht thematisiert.

Die Abtrennung des gegen den Musterbeklagten zu 7) unterbrochenen Musterverfahrens gemäß § 3 EGZPO in Verbindung mit § 145 ZPO hätte deshalb zur Folge, dass zwei Musterverfahren mit identischen Feststellungszielen vorlägen, was mit dem Sinn und Zweck des Kapitalanleger-Musterverfahrens unvereinbar wäre. Gemäß § 7 Satz 1 KapMuG ist mit dem Erlass eines Vorlagebeschlusses nach § 6 Abs. 1 KapMuG die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens für die gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG auszusetzenden Verfahren unzulässig. Die Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses soll identische Vorlagebeschlüsse verhindern und damit der Gefahr widersprechender Musterentscheidungen vorbeugen (vgl. Reuschle in Wieczorek/​Schütze, ZPO, § 7 KapMuG Rn. 1; Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, § 7 Rn. 1 f.).

Unabhängig davon ist für eine Abtrennung des Musterverfahrens gegen den Musterbeklagten zu 7) – jedenfalls im gegenwärtigen Verfahrensstadium – auch kein Bedürfnis ersichtlich. Es ist damit zu rechnen, dass mindestens einer der Beigeladenen, welche die MB Beteiligungsgesellschaft mbH in Anspruch genommen haben, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen die Aufnahme der Ausgangsverfahren gegen den Insolvenzverwalter betreiben wird.

Bei einem Klageverfahren gegen mehrere (einfache) Streitgenossen ist es vor allem das Interesse an einer vollständigen Kostenentscheidung, das eine Prozesstrennung nach § 145 ZPO sachdienlich erscheinen lassen kann, wenn in der Person einzelner Streitgenossen ein Unterbrechungstatbestand eintritt. Eine Kostenentscheidung ergeht im erstinstanzlichen Musterverfahren aber nicht (§ 16 Abs. 2 KapMuG).

Dr. Schmidt Dr. Muthig Dr. Schwegler
Präsidentin
des Bayerischen Obersten Landesgerichts
Richterin
am Bayerischen Obersten Landesgericht
Richterin
am Bayerischen Obersten Landesgericht
von Geldern-Crispendorf Niklaus
Richterin
am Bayerischen Obersten Landesgericht
Richter
am Bayerischen Obersten Landesgericht

 

 

 

 

 

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