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„Bayern überholt Berlin – ein Wendepunkt für die deutsche Start-up-Szene?“

birgl (CC0), Pixabay
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Ein Interview mit Alfred Wieder, einem der erfahrensten Start-up-Unterstützer Deutschlands

Herr Wieder, laut einer aktuellen Analyse von EY hat Bayern 2024 Berlin als führende Start-up-Region Deutschlands überholt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Alfred Wieder: Das ist natürlich ein bemerkenswerter Wendepunkt. Berlin galt jahrelang als die unumstrittene Start-up-Hauptstadt Deutschlands, aber Bayern – insbesondere München – hat in den letzten Jahren enorm aufgeholt. Das zeigt, dass der Standort Bayern die richtigen Weichen gestellt hat, vor allem im Bereich technologieorientierter Gründungen. Der Fokus auf Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz hat dem Freistaat sicherlich einen entscheidenden Vorteil verschafft.

München wird also zunehmend als Gründerzentrum wahrgenommen. Was macht die bayerische Start-up-Szene so erfolgreich?

Alfred Wieder: Bayern, insbesondere München, profitiert von mehreren Faktoren. Da ist einerseits die Nähe zu großen Unternehmen und Weltkonzernen, die als potenzielle Kunden oder Investoren fungieren. Andererseits gibt es hier eine starke Universitätslandschaft, die als Talentschmiede für junge Gründer dient. Was ich aber besonders hervorheben möchte, ist die Spezialisierung auf zukunftsweisende Technologien. Ein Beispiel ist die Münchner Firma Helsing, die im Bereich KI für die Rüstungsindustrie tätig ist und alleine 450 Millionen Euro an Wagniskapital einsammeln konnte. Bayern hat erkannt, dass Innovation und Spezialisierung der Schlüssel zum Erfolg sind.

Berlin bleibt jedoch bei der Anzahl der Finanzierungsrunden führend. Sind die beiden Regionen überhaupt miteinander vergleichbar?

Alfred Wieder: Berlin hat einen anderen Ansatz. Dort gibt es eine breite, diversifizierte Start-up-Landschaft, während Bayern sich stärker auf technologieorientierte Unternehmen fokussiert. Berlin hat mit 256 Finanzierungsrunden noch immer die Nase vorn, verglichen mit 164 in Bayern. Das zeigt, dass in der Hauptstadt eine größere Menge an Gründungen stattfindet, aber eben nicht alle mit dem Fokus auf Hochtechnologie. Es ist weniger eine Frage, ob Berlin oder Bayern „besser“ ist – die beiden Standorte ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen Stärken hervorragend.

Die EY-Analyse zeigt, dass Wagniskapitalgeber 2024 insgesamt 7,4 Milliarden Euro in deutsche Start-ups investierten – ein Plus von 17 Prozent. Welche Gründe sehen Sie für diesen Aufschwung?

Alfred Wieder: Der wichtigste Faktor ist sicher die Entspannung bei den Zinsen. Die vergangenen Jahre waren durch eine hohe Zinslast geprägt, was vor allem risikoreiche Investments wie Wagniskapital belastet hat. Jetzt haben sich die Bedingungen verbessert, und das wirkt sich positiv auf die Finanzierungssituation der Start-ups aus. Hinzu kommt, dass die Investoren wieder mehr Vertrauen in die Stabilität des Marktes haben. Die deutsche Gründerszene hat bewiesen, dass sie auch in Krisenzeiten widerstandsfähig ist, was das Vertrauen der Kapitalgeber gestärkt hat.

Trotzdem bleibt Deutschland im internationalen Vergleich hinter Ländern wie den USA zurück. Warum tun sich deutsche Start-ups so schwer, genügend Wagniskapital anzuziehen?

Alfred Wieder: Das ist eine gute Frage, und ich denke, es hat mehrere Gründe. Zum einen fehlt es in Deutschland nach wie vor an einer echten Wagniskapital-Kultur. In den USA zum Beispiel gibt es eine lange Tradition, in junge Unternehmen zu investieren, auch wenn das Risiko hoch ist. Hierzulande sind Investoren oft zurückhaltender und scheuen größere Risiken. Außerdem gibt es strukturelle Hürden, wie beispielsweise steuerliche Rahmenbedingungen, die Investitionen erschweren.

Der Startup-Verband hat recht, wenn er fordert, dass die Wagniskapital-Investitionen in Deutschland verdoppelt werden müssen. Wir brauchen eine stärkere Förderung durch den Staat, aber auch mehr Anreize für private Investoren, um die Finanzierungslücke zu schließen.

Wie sehen Sie die Zukunft der deutschen Start-up-Szene? Ist der Aufschwung nachhaltig?

Alfred Wieder: Ich bin optimistisch. Die Zahlen zeigen, dass sich der Gründermarkt stabilisiert hat und wieder wächst. Besonders spannend finde ich, dass 2024 elf Prozent mehr Unternehmen gegründet wurden als im Vorjahr. Das zeigt, dass es viele neue Ideen und Innovationen gibt, die bereit sind, den Markt zu erobern.

Wenn wir es schaffen, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern – zum Beispiel durch den Ausbau von Wagniskapital oder einer besseren Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft –, dann hat Deutschland das Potenzial, ein global führender Start-up-Standort zu werden. Bayern hat gezeigt, wie es gehen kann. Jetzt müssen andere Regionen nachziehen.

Vielen Dank, Herr Wieder, für das Gespräch!

Alfred Wieder: Sehr gerne!

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