Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit
und Verbraucherschutz
Bekanntmachung
einer Empfehlung und wissenschaftlicher Begründung der Strahlenschutzkommission
Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln
bei der diagnostischen Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen
Nachfolgend wird die Empfehlung und wissenschaftliche Begründung der Strahlenschutzkommission (SSK), verabschiedet in der 321. Sitzung der Kommission am 22./23. September 2022, bekannt gegeben.
S II 2 – 1702/004-2022.0003
Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit
und Verbraucherschutz
Im Auftrag
Engelhardt
Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln
bei der diagnostischen Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen
Empfehlung der Strahlenschutzkommission und wissenschaftliche Begründung
Verabschiedet in der 321. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 22./23. September 2022
Inhalt
1 Einleitung
2 Empfehlungen
3 Fachliche Grundlagen
4 Mögliche Fehlerquellen bei der Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln
5 Begründung zur Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei häufig durchgeführten CT-Untersuchungsarten
5.1 CT-Untersuchung des Hirnschädels (CCT)
5.2 CT- und DVT-Untersuchungen der Nasennebenhöhlen (NNH) und des Gesichtsschädels
5.3 CT-Untersuchung des Thorax und der Brustwirbelsäule
5.4 CT-Untersuchung des Beckens/Abdomens und der Lendenwirbelsäule
5.5 CT- und DVT-Untersuchungen der Extremitäten
6 Begründung zur Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei häufiger durchgeführten Projektionsaufnahmen
6.1 Röntgenaufnahme des Kopfes
6.2 Röntgenaufnahmen der Schulter oder der Clavicula
6.3 Röntgenaufnahme des Thorax
6.4 Röntgenaufnahme der Brust- oder Lendenwirbelsäule
6.5 Röntgenaufnahmen des Beckens oder des Hüftgelenks
6.6 Röntgenaufnahme des Abdomens
6.7 Röntgenaufnahme der Extremitäten
6.8 Mammografie
6.9 Röntgenaufnahmen in der Zahnmedizin
7 Literatur
8 Abkürzungsverzeichnis (häufig verwendete Begriffe)
1 Einleitung
Der mit Abstand größte Teil der zivilisatorischen Strahlenexposition der deutschen Bevölkerung wird durch Untersuchungen mittels diagnostisch angewandter Röntgenstrahlung verursacht (> 92 %, BfS 2019). Der Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln kann bei ausgewählten Untersuchungen eine sinnvolle Komponente beim Schutz von Patientinnen und Patienten darstellen.
Art und Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln (contact shielding) sind international allerdings umstritten:
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Eine nicht sachgemäße Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln kann die Patientenexposition erhöhen.
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Der Anteil möglicher Dosisreduktion durch die Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln ist im Verhältnis zu wesentlich wichtigeren Punkten wie exakte Positionierung und Einstellung der Aufnahme sowie Einblendung auf das Objekt in der konventionellen Röntgendiagnostik eher gering.
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Ein unnötiger Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln oder deren falsche Anwendung kann die Akzeptanz sowohl bei dem an der Anwendung beteiligten medizinischen Personal als auch bei den Patientinnen und Patienten verringern.
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Hygieneprobleme, erhöhter Arbeitsaufwand und ökonomische Gründe können der Nutzung entgegensprechen.
In der Folge wurden von internationalen Fachgesellschaften und Behörden/Gremien entsprechend Empfehlungen zum Einsatz der Strahlenschutzmittel in letzter Zeit modifiziert (BIR 2020, Hiles et al. 2021, KSR 2021, The Nordic Radiation Protection co-operation 2015).
Daher hat das Bundesumweltministerium mit Schreiben vom 26. Januar 2022 die Strahlenschutzkommission (SSK) um Beratung gebeten, die bestehende Empfehlung der SSK zum Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln aus dem Jahr 2018 zu überarbeiten und dabei aktuelle Erkenntnisse über Konsequenzen aus dem Einsatz von Schutzmitteln einfließen zu lassen. Dabei sollte der Maßstab für den sinnvollen Einsatz sein, ob es unter Berücksichtigung des Standes der Technik mit angemessenem Aufwand möglich ist, die Strahlenexposition außerhalb des diagnostisch relevanten Bereichs signifikant zu reduzieren. Insbesondere sollten in der Empfehlung die Besonderheiten der verschiedenen Untersuchungstechniken unter Einsatz von Röntgenstrahlung (wie z. B. Computertomografie (CT), zahnmedizinische Röntgenverfahren, radiologische Interventionen) einbezogen werden, ebenso die Untersuchung verschiedener Körperteile sowie die besonderen Schutzerfordernisse bestimmter Patientengruppen, z. B. Patientinnen und Patienten mit erhöhter Strahlensensibilität, Kinder oder Schwangere.
Bei der Bewertung der Patienten-Strahlenschutzmittel sollen auch der jeweilige Aufwand beim Anlegen, Hygienekonzepte sowie die Patientencompliance (z. B. beim Anlegen einer Hodenkapsel) bei der Verwendung berücksichtigt werden, ebenso die Möglichkeit des Einsatzes – so ist es z. B. bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern aufgrund des kurzen Halses nicht möglich, einen Schilddrüsenrundumschutz anzulegen.
2 Empfehlungen
Eine Anpassung an das Konsensuspapier der EU (Hiles et al. 2021) wird als sinnvoll angesehen, allerdings wird ein genereller Verzicht auf Patienten-Strahlenschutzmittel nicht empfohlen. Zudem wird ein Konzept mit drei Empfehlungskategorien eingeführt, welches dem Anwendenden die Entscheidung hinsichtlich der Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln erleichtert. Die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln wird demnach für die verschiedenen Untersuchungen gemäß der folgenden drei Symbole klassifiziert:
Die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln wird hier empfohlen. Dies bedeutet, dass eine Begründung für jede Untersuchung individuell gegeben werden sollte, wenn keine Patienten-Strahlenschutzmittel verwendet werden. | |
Patienten-Strahlenschutzmittel können hier eingesetzt werden, wenn unter Abwägung aller Aspekte (Strahlenschutz, Strahlenempfindlichkeit, technische Gegebenheiten) keine praktischen Gründe dagegensprechen. | |
Der Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln wird hier nicht empfohlen. Sie können jedoch, die richtige Anwendung vorausgesetzt, nach individueller Abwägung eingesetzt werden. |
Die Strahlenschutzkommission empfiehlt
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Patienten-Strahlenschutzmittel gemäß Tabelle 1 nach der oben genannten Kategorisierung anzuwenden und Abweichungen von den Empfehlungen zu dokumentieren,
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für oberflächennahe Organe wie Augenlinse oder Schilddrüse, sofern vorhanden, eine sektorielle Röhrenstromabsenkung1 in der CT zu verwenden,
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bei der Fluoroskopie keine Patienten-Strahlenschutzmittel im oder nahe am möglichen Strahlengang anzuwenden,
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die Anwendung der Patienten-Strahlenschutzmittel in Arbeitsanweisungen in Abstimmung mit einem Medizinphysik-Experten (MPE) festzulegen,
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bei Kindern, Jugendlichen und Schwangeren hinsichtlich der Entscheidung zum Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln das mit einer Strahlenexposition verbundene höhere Risiko zu berücksichtigen,
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bei Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln in der CT, die Empfehlungen der jeweiligen Hersteller oder des zuständigen MPE unbedingt zu beachten, da es bei fehlerhafter Anwendung zu einer Überexposition bzw. zu einer Minderung der Bildqualität kommen kann,
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zur Minimierung des Fehlerpotenzials eine ausreichende und regelmäßige Fortbildung des Personals im Hinblick auf die fortschreitende Geräteentwicklung und deren Einfluss auf die Dosisreduktion im Allgemeinen und die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln im Besonderen zu gewährleisten,
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Patienten-Strahlenschutzmittel auf Wunsch der Patientin oder des Patienten einzusetzen, falls dies klinisch praktikabel und nicht mit Nachteilen für die Untersuchung verbunden ist.
Tabelle 1: Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei verschiedenen Untersuchungsarten und die erzielbare Reduktion von Organ-Äquivalentdosen.2
Untersuchungsart | Patienten- Strahlenschutzmittel |
Empfehlung | Bemerkung | Mögliche Dosisreduktion (Organ-Äquivalentdosis) |
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Computertomografie | ||||
CT Hirnschädel (CCTa) |
Schutz der Augenlinse | Priorisierung:
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Augenlinse:
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Schilddrüsenschutz bei jüngeren Patientinnen und Patienten bis ca. 40 Jahren | Protektor oder sektorielle Röhrenstrom-Absenkung; Schilddrüse liegt nah am Scanfeld |
Schilddrüse: bis 1 mSv (Abuzaid et al. 2017, Liebmann et al. 2014) |
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Schilddrüsenschutz bei älteren Patientinnen und Patienten ab ca. 40 Jahren | Protektor oder sektorielle Röhrenstrom-Absenkung; Schilddrüse liegt nah am Scanfeld |
Schilddrüse: bis 1 mSv (Abuzaid et al. 2017, Liebmann et al. 2014) |
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Brustschutz bei Frauen | Brust liegt nicht im Strahlenfeld, signifikante, aber nicht relevante Dosiseinsparung möglich; kann verwendet werden (siehe Kapitel 2) |
Brust: bis 0,19 mSv (Liebmann et al. 2014) |
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CT, NNHb | Schilddrüsenschutz | Schilddrüse könnte im Strahlengang liegen; kann angewandt werden, wenn nicht im Scanbereich und es nicht technisch bedingt zu Dosisüberhöhung kommt | Schilddrüse: bis 1 mSv (Pauwels et al. 2019) |
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Augenlinsenschutz | bei hinreichendem Abstand zur Augenlinse möglich; sektorielle Röhrenstrom-Absenkung oder Protektoren | Augenlinse: bis 3 mSv (abgeschätzt nach DRW) |
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DVTc, NNH und Zahnmedizin | Schilddrüsenschutz | Dorsaler Strahlengang; hohes Fehlerpotenzial bei geringer möglicher Einsparung | Schilddrüse: bis 0,1 mSv (Schulze et al. 2017a) |
|
Augenlinsenschutz | Dorsaler Strahlengang; hohes Fehlerpotenzial bei geringer möglicher Einsparung | |||
CT Gesichtsschädel |
Schilddrüsenschutz | hohes Fehlerpotenzial bei geringer möglicher Einsparung; liegt häufig im Strahlengang des Topogramms und auch des Scanbereichs | Schilddrüse: bis 1 mSv (Pauwels et al. 2019) |
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Augenlinsenschutz | Cave: zusätzliche Artefakte durch Protektoren; sektorielle Röhrenstrom-Absenkung erzielt geringe Dosisreduktion |
Augenlinse: bis 8 mSv (abgeschätzt nach DRW) |
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CT Thorax | Schilddrüsenschutz | Fehlerpotenzial höher als potenzieller Nutzen; der untere Schilddrüsenpol liegt meist im Scanbereich | Schilddrüse: bis 2,5 mSv (Buchgeister et al. 2012) |
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Bleiabdeckung um das Abdomen | Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll | Uterus: bis 0,02 mSv (Danova et al. 2010, Iball und Brettle 2011, Samara et al. 2022) |
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CT Abdomen/ Becken/ Lendenwirbelsäule |
Mann: umschließender Hodenschutz | Nur wenn außerhalb des Scanbereichs | Gonaden: bis 1 mSv (Dauer et al. 2007, Hohl et al. 2005) |
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Frau: Ovarialschutz | Nicht sinnvoll aufgrund zentraler Lage der Ovarien, die aus allen Strahlrichtungen exponiert werden. | |||
CT/DVT Extremitäten | Kein Schutz notwendig |
Aufgrund niedriger Dosis und großer Entfernung zu strahlenempfindlichen Organen nicht sinnvoll, da geringes Einsparpotenzial | ||
Projektionsradiografie | ||||
Kopf | Kein Schutz notwendig |
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll |
effektive Dosis: bis 0,002 mSv (Samara et al. 2022) |
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Schulter | Kein Schutz notwendig |
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll |
keine verlässlichen Daten verfügbar |
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Thorax a. p./p. a.d und seitlich | Kein Schutz notwendig |
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll |
Gonadendosis: bis 0,000035 mSv (Samara et al. 2022) |
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Brust- und Lendenwirbelsäule | Kein Schutz notwendig |
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll, insbesondere nicht bei enger Einblendung | Brust: ca. 0,3 mSv (Mekis et al. 2013) bei Liegendaufnahmen |
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Becken und Hüftgelenk | Mann: Hodenschutz | bei Verwendung darf das Zielvolumen nicht überlagert werden und es dürfen keine Interferenzen mit einer Belichtungs-automatik auftreten | Testes: bis 0,8 mSv (im Direktstrahl, sonst ca. 0,08 mSv) |
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Frau: Ovarialschutz | möglicher diagnostischer Informationsverlust und häufige fehlerhafte Positionierung des Ovarialschutzes | Ovarien: bis 0,150 mSv (Clancy et al. 2010, Doolan et al. 2004, Frantzen et al. 2012, ICRP 2013, Liu et al. 2008) |
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Abdomen | Mann: Hodenschutz | Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll |
Testes: bis 0,08 mSv (Njeh et al. 1997, Roth et al. 2001) |
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Frau: Ovarialschutz | Positionierung des Ovarialschutzes sehr fehleranfällig |
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Extremitäten | Kein Schutz notwendig |
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll |
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Mammografie | Kein Schutz notwendig |
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll |
Schilddrüse: ca. 0,001 mSv (Sechopoulos et al. 2008, Sechopoulos und Hendrick 2012) |
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Zahnmedizin | Kein Schutz notwendig |
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll | Schilddrüse: Bis 0,01 mSv bei Orthopantomogramm (Rottke et al. 2013a, Rottke et al. 2013b), Intraoralaufnahmen deutlich niediger |
a | craniale Computertomografie (CCT) |
b | Nasennebenhöhlen (NNH) |
c | Digitale Volumentomografie (DVT) |
d | anterior posterior (a. p.)/posterior anterior (p. a.) |
3 Fachliche Grundlagen
Im Strahlenschutz wird gefordert, dass die durch eine Röntgenuntersuchung bedingte Strahlenexposition so weit einzuschränken ist, wie dies mit den Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft vereint werden kann. Körperbereiche, die bei der vorgesehenen Anwendung von Röntgenstrahlung nicht von der Nutzstrahlung erfasst werden müssen, sind vor einer Strahlenexposition so weit wie sinnvoll zu schützen. Ein angepasster Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln kann diesen Prozess unterstützen, ist in vielen Fällen aber nur als ergänzend zu anderen Verfahren anzusehen, wie z. B. einer strengen Einblendung bei Aufnahmen oder fluoroskopischen Verfahren oder der Begrenzung der Scanlänge bei computertomografischen Untersuchungen. Werden Patienten-Strahlenschutzmittel im Direktstrahl eingesetzt, so ist es in besonderem Maß erforderlich, vor dem Einsatz die Auswirkungen der Schutzmittel auf eine Belichtungsautomatik abzuschätzen, sofern diese eingesetzt wird.
Neben einer guten Lagerung, die auch die Wahl der Patienten-Strahlenschutzmittel beeinflussen kann, sowie einer gegebenenfalls erforderlichen Immobilisierung und der Einstellung optimierter Aufnahmeparameter, ist eine korrekte objekt- und fragestellungsbezogene Einblendung in der Projektionsradiografie von überragender Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Kinder oder Jugendliche, da der prozentuale Feldgrößenzuwachs sich umgekehrt proportional zum Ausgangsformat verhält, und damit vor allem für Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder. Die Einblendung muss auf dem Bild erkennbar sein und darf nicht durch digitale Kollimation3 überdeckt werden. Bei männlichen Patienten kann nach erfolgtem Descensus testis ein umschließender Hodenschutz angewandt werden, sofern es aufgrund der zu erwartenden Dosisreduktion sinnvoll erscheint und es nicht zu störenden Artefakten, einer Dosiserhöhung oder Überdeckung der Belichtungsmesskammer führt.
Bei Neugeborenen, Säuglingen, Klein- und Schulkindern kann aufgrund der höheren Strahlensensibilität und wenn keine Gefahr besteht, dass eine Beeinflussung der Belichtungsautomatik oder negative Einflüsse auf die Bildqualität auftreten können, in Abstimmung mit den Sorgeberechtigten zugunsten des Einsatzes von Patienten-Strahlenschutzmitteln von der Empfehlungskategorie abgewichen werden. Dies gilt unter Berücksichtigung der oben genannten Punkte vor allem, je unreifer das Kind und/oder je häufiger die Untersuchung durchgeführt werden muss (z. B. Röntgenthorax- und Abdomenaufnahmen bei extrem Frühgeborenen). Individuell können Expertinnen und Experten der Kinderradiologie konsultiert werden. Die Häufigkeit der Untersuchungen ist auch bei anderen Patientengruppen zu berücksichtigen.
Bei Patientinnen soll – wenn immer möglich – bei Aufnahmen des Thoraxbereiches und des Abdomens in Linksseitenlage wegen der Strahlenempfindlichkeit der ventral lokalisierten Mammae und Schilddrüse der dorsoventrale Strahlengang (p. a.) gewählt werden.
Bei Schwangeren ist das für das ungeborene Kind mit einer Strahlenexposition verbundene Risiko zu berücksichtigen, z. B. durch die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei der CT-Untersuchung des Thorax, da hier die Uterusdosis der Schwangeren als Körperdosis des ungeborenen Kindes angenommen wird.
Bei der Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln ist die Patientenposition (z. B. stehend oder liegend) und damit verbunden die Praktikabilität beim Anlegen der Schutzmittel zu berücksichtigen.
Einige Computertomografen verwenden ein oder zwei Übersichtsaufnahmen (je nach Hersteller des CT-Systems unterschiedlich bezeichnet, z. B. Scout, Topogramm, Scanogramm), um die Schwächung durch den Patienten zu ermitteln und darüber eine Dosismodulation vorzunehmen und um den Bereich für die Untersuchung auszuwählen. Bei einer Übersichtsaufnahme mit Patienten-Strahlenschutzmittel im relevanten Bereich kann dies bei einigen Geräten zu höheren Expositionen führen. Dies ist vor allem in der pädiatrischen Radiologie kritisch zu betrachten. Hieraus resultierende Nachteile müssen gegenüber dem Nutzen durch das Anlegen des Patienten-Strahlenschutzmittels abgewogen werden. Gegebenenfalls ist eine Abdeckung erst nach der Übersichtsaufnahme vorzunehmen (Beispiel: Abdeckung der Augenlinse bei CCT).
Bei radiologischen Interventionen ist die Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln selten möglich, da sich diese zum einen aufgrund möglicher Angulationen im Strahlengang befinden können und die automatische Dosisleistungsregelung eine Dosiserhöhung bei den Patientinnen und Patienten verursachen kann. Zum anderen befinden sich oberflächennahe Risikoorgane wie Augen, Schilddrüse und Brust aufgrund der üblicherweise verwendeten p. a.-Projektion ohnehin im geschwächten Nutzstrahl, so dass eine Abschirmung nur eine geringfügige zusätzliche Dosisreduktion bewirkt.
Für die Anforderungen an Patienten-Strahlenschutzmittel finden sich Hinweise in den Normen. So müssen qualifizierte Patienten-Strahlenschutzmittel den Anforderungen nach DIN EN 61331-1:2016-09 (Bestimmung von Schwächungseigenschaften von Materialien) und DIN EN 61331-3:2016-09 (Schutzkleidung, Augenschutz und Abschirmungen für Patienten) genügen. In den vorgenannten Normen wird der Einsatz von bleireduzierter oder bleifreier Schutzkleidung berücksichtigt. Patienten-Strahlenschutzmittel werden mit Bleigleichwerten4 zwischen 0,25 mm und 1,0 mm hergestellt. Bei Gonadenschürzen, anzusehen als Abdeckung außerhalb des Nutzstrahlfeldes, ist ein Bleigleichwert von mindestens 0,5 mm gefordert, bei Hodenkapseln, anzusehen als Abdeckung im Nutzstrahlfeld, ein Bleigleichwert von mindestens 1 mm.
Neben der Schutzwirkung der Patienten-Strahlenschutzmittel ist zu berücksichtigen, wie sich deren Anwendung auf den Workflow auswirkt, und welche hygienischen Anforderungen dabei zu beachten sind.
Anwendung und Lokalisation von Patienten-Strahlenschutzmitteln sollten mit einem Medizinphysik-Experten abgestimmt werden.
Diese Empfehlung erstreckt sich nur auf die Anwendung von Röntgenstrahlen in der radiologischen Diagnostik und Intervention. Zur Dosisreduktion bei der Anwendung von Röntgenstrahlung im Rahmen der bildgestützten Strahlentherapie wird auf die Empfehlung der SSK zu strahlenhygienischen Anforderungen an bildgeführte Strahlentherapie (image guided radiotherapy, IGRT) (SSK 2010) verwiesen.
4 Mögliche Fehlerquellen bei der Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln
Die SSK identifiziert folgende Fehlerquellen bei der Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln:
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Falsch angelegte Patienten-Strahlenschutzmittel können ihre Schutzwirkung verfehlen und/oder die darzustellenden Organregionen verdecken.
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Aufgrund variierender anatomischer Gegebenheiten (z. B. Ovarien) kann die Abschirmung durch die Patienten-Strahlenschutzmittel unzureichend sein.
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Interferenz des Materials der Patienten-Strahlenschutzmittel mit der automatischen Dosisregelung (Dosismodulation im CT oder Messkammern in Radiografie und Fluoroskopie) kann unerwünscht zu einer Erhöhung der Patientendosis führen.
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Artefakte durch die verwendeten Patienten-Strahlenschutzmittel können die Bildqualität vermindern und eine Wiederholung der Aufnahme erforderlich machen.
In mehreren Empfehlungen (Hiles et al. 2021, KSR 2021, The Nordic Radiation Protection co-operation 2015, BIR 2020) wurde in den letzten Jahren die Schlussfolgerung gezogen, dass die Dosiseinsparungen durch die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln niedrig sind im Vergleich zu den zusätzlichen Expositionen, die bei einer unsachgemäßen Verwendung auftreten. Darüber hinaus seien Probleme bei der Verwendung der Hilfsmittel hinsichtlich Hygiene, Kosten und Arbeitsablauf zu beachten. Prinzipiell stimmt die SSK dieser Einschätzung zu, sieht jedoch bei Beachtung und Identifikation dieser Fehlerquellen für einzelne, insbesondere CT-Untersuchungen dennoch eine Indikation zum Einsatz von Strahlenschutzmitteln.
5 Begründung zur Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei häufig durchgeführten CT-Untersuchungsarten
5.1 CT-Untersuchung des Hirnschädels (CCT)
Die CT des Hirnschädels ist in den meisten Kliniken und Praxen die am häufigsten durchgeführte Schnittbilddiagnostik und geht, verglichen mit CT-Untersuchungen anderer Körperabschnitte, mit den höchsten lokalen Dosen einher. Durch die Verwendung von Multizeilen-Spiral-CT-Scannern mit breiten Detektorarrays liegt die Augenlinse durch Overbeaming und bei Verwendung des Spiralmodus durch Overranging häufig im Bereich des direkten Strahlenganges. Ohne Schutzmaßnahmen und bei Positionierung der Augenlinse im Scanbereich tritt eine Dosis der Augenlinse von oftmals mehr als 50 mSv auf. Gemäß der Neubewertung der Strahlenempfindlichkeit der Augenlinsen in Hinblick auf Kataraktbildung ist dies eine hohe Dosis, so dass Maßnahmen getroffen werden sollten, diese zu reduzieren. So sollten durch Gantrykippung (falls möglich) oder durch leichte Hochlagerung mit einem eingeschobenen Schaumstoffkeil und Beugung des Kopfes (Anteklination) die Augenlinsen außerhalb des primären Strahlenganges positioniert werden (SSK 2011). Insbesondere bei kleinen Objekten (z. B. Kinderschädel) ist ein Spiral-CT mit enger Kollimation oder ein sequenzielles CT zu verwenden (sollte vor Ort mit dem MPE besprochen werden).
Generell kann ein Augenlinsenschutz verwendet werden. Falls hierdurch Artefakte auftreten, schränkt die Abschirmung die diagnostische Aussagekraft nicht ein, vorausgesetzt, ihr Abstand zum Hirnschädel ist hinreichend (Raissaki et al. 2010). Alternativ kann auch eine Röhrenstrommodulation eingesetzt werden, bei der keine direkte oder nur sehr wenig Strahlung auf die Augenlinse fällt. Der Augenlinsenschutz reduziert die Augenlinsendosis um ca. 50 %. Eine Röhrenstrommodulation mit sektorieller Röhrenstromabsenkung des oberen Winkelbereichs erreicht eine Verringerung der Augenlinsendosis in gleicher Größenordnung (Bulla et al. 2012, Keil et al. 2008, May et al. 2012, Kim et al. 2017). Der Augenlinsenschutz muss gegebenenfalls erst nach der Übersichtsaufnahme angelegt werden.
Das Anlegen eines Schilddrüsenschutzes senkt die Dosis der Schilddrüse (ca. 1 mSv) um 45 %, ohne dass negative Auswirkungen auf die Bildgebung anzunehmen sind. Dieses Schutzmittel ist daher bei Patientinnen und Patienten unter 40 Jahren sinnvoll (Brenner und Hall 2007, HPA 2011, Iglesias et al. 2017). Die Verwendung eines Brustschutzes reduziert bei Frauen die Dosis der Brust (ca. 0,3 mSv) um bis zu 75 % (Liebmann et al. 2014, Ngaile et al. 2008). Die Verwendung eines Brustschutzes ist bei Frauen in Abhängigkeit ihres Alters sowie bei Kindern als sinnvoll anzusehen.
5.2 CT- und DVT-Untersuchungen der Nasennebenhöhlen (NNH) und des Gesichtsschädels
Der Scanbereich von NNH-Untersuchungen bis zu den Zähnen des Oberkiefers kann deutlich kürzer sein als der einer Untersuchung des Gesichtsschädels einschließlich Unterkiefer. Zusätzlich ist der CTDIvol5 bei NNH-Untersuchungen ca. dreimal geringer als beim Gesichtsschädel (siehe Diagnostische Referenzwerte (DRW) des Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), (Schegerer et al. 2019)).
Bei den meisten Untersuchungen wird die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln als nicht erforderlich angesehen.
Bei Verwendung von CT-Systemen kann ein Augenlinsenschutz angewendet werden, solange die diagnostische Bildqualität hierdurch nicht eingeschränkt wird. Alternativ kann eine Röhrenstrommodulation eingesetzt werden, bei der keine direkte Strahlung auf die Augenlinse trifft. Die Reduktion durch den Augenlinsenschutz liegt bei ca. 50 % (Keil et al. 2008). Auch durch sektorielle Röhrenstromabsenkung des oberen Winkelbereichs bei der Aufnahme kann die Dosis um bis zu 50 % gesenkt werden (Bulla et al. 2012). Bei Verwendung eines Augenlinsenschutzes ist auf einen ausreichend großen Zwischenraum zwischen dem schwächenden Protektor und dem Gesichtsschädel zu achten. Anderenfalls sind relevante Artefakte in der Abbildung des Gesichtsschädels zu erwarten. Sollten die Aufnahmen zur OP-Planung vorgesehen sein, ist zu prüfen, ob die Aufnahmen mit Protektor von einem Navigationssystem akzeptiert werden.
Bei Digitalen Volumentomografie(DVT)-Systemen sollte eine 180°-Rotation über den Hinterkopf verwendet werden, sodass die Augenlinsen nicht dem ungeschwächten Nutzstrahl ausgesetzt sind (Güldner et al. 2013).
Die Anwendung eines Schilddrüsenschutzes kann bei der CT-Untersuchung der NNH sinnvoll sein, da hier durch den Abstand zwischen Schilddrüse und Strahlenfeld eine Beeinflussung der automatischen Dosisregelung auszuschließen ist.
Ein Schilddrüsenschutz bei DVT-Untersuchungen kann die Schilddrüsendosis von 1,6 mSv auf 0,9 mSv senken (Goren et al. 2013, Liebmann et al. 2014). Bei CT-Untersuchungen des Gesichtsschädels sowie entsprechenden DVT-Untersuchungen können aber Patienten-Strahlenschutzmittel im Halsbereich im Direktstrahl exponiert werden und somit über die automatische Dosisregulation zu einer Erhöhung des Röhrenstroms führen, mit negativen Auswirkungen für sowohl die Strahlendosis als auch die Bildqualität. Es wird aus diesem Grund empfohlen, bei Untersuchungen des Gesichtsschädels keinen Strahlenschutz im Halsbereich zu verwenden.
5.3 CT-Untersuchung des Thorax und der Brustwirbelsäule
Bei der CT-Untersuchung des Thorax besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die angrenzenden Bereiche Schilddrüse und Oberbauchorgane zu schützen.
Es zeigt sich jedoch seit etlichen Jahren, dass bei computertomografischen Untersuchungen, die unter Verwendung einer Dosismodulation durchgeführt werden, die vom CT modulierten Expositionsparameter durch Strahlenschutzmaterialien beeinträchtigt werden können, die sich in der Nähe des Untersuchungsbereichs befinden. Zudem kann durch Patienten-Strahlenschutzmittel nur eine geringe Dosisreduktion (23 µSv) erzielt werden. Aufgrund dessen, und auch in Anbetracht von Arbeitsaufwand, Kosten und hygienischen Bedenken, sollte bei der Thorax-CT auf Patienten-Strahlenschutzmittel verzichtet werden (Danova et al. 2010, Iball und Brettle 2011).
Durch einen Schilddrüsenschutz kann die Organdosis um 31 % von 8,4 mSv auf 5,8 mSv reduziert werden (Buchgeister et al. 2012). Nachdem Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, dass bei Verwendung eines Schilddrüsenschutzes dieser in vielen Fällen in den oberen Lungenbereich hineinragt, wird allgemein empfohlen, von einem Schilddrüsenschutz abzusehen.
5.4 CT-Untersuchung des Beckens/Abdomens und der Lendenwirbelsäule
Ein umschließender Schutz der männlichen Gonaden bzw. eine Hodenkapsel reduziert die Strahlenexposition der Gonaden um bis zu 1 mSv, sofern sie außerhalb des Strahlengangs gelegen sind (Dauer et al. 2007, Hohl et al. 2005). Aufgrund auftretender Artefakte und einer möglichen Dosiserhöhung sollten Patienten-Strahlenschutzmittel nicht im Strahlengang liegen, insbesondere bei der Beurteilung des Beckens (Dauer et al. 2007). Bei eingeschalteter Röhrenstrommodulation würde dies zudem zu einer Erhöhung der Gonadendosis führen. Ist die Exposition der Gonaden zur Beurteilung des Beckens unvermeidlich, sollte die Röhrenstrommodulation verwendet werden, bei der die Strahlenexposition um bis zu 40 % reduziert wird (May et al. 2012).
Die Verwendung eines umschließenden Hodenschutzes beim Mann kann sinnvoll sein, solange sich die Hoden nicht im Abbildungsbereich befinden. Bei Jungen kann abhängig vom individuellen Entwicklungsstand ein umschließender Hodenschutz außerhalb des Strahlengangs angewendet werden.
5.5 CT- und DVT-Untersuchungen der Extremitäten
Zu CT- und DVT-Untersuchungen der Extremitäten sind keine Studien zur Reduktion der Strahlenexposition durch Patienten-Strahlenschutzmittel zu finden. Aufgrund der niedrigen verwendeten Dosis und der großen Entfernung zum Körperstamm, in dem sich die meisten strahlenempfindlichen Organe befinden, erscheint die Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln nicht sinnvoll, da nur ein sehr geringes Einsparpotenzial vorliegt.
6 Begründung zur Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei häufiger durchgeführten Projektionsaufnahmen
Neben einer korrekten Lagerung und gegebenenfalls erforderlichen Immobilisierung ist eine korrekte objekt- und fragestellungsbezogene Einblendung in der Projektionsradiografie die erste und eine der effektivsten Maßnahmen zur Minderung der Strahlendosis. Dies ist besonders bei Kindern zu beachten, da der prozentuale Feldgrößenzuwachs mit kleinerem Ausgangsformat korreliert, also insbesondere in der neonatalen Radiologie (Seidenbusch und Schneider 2015). Die Einblendung muss auf dem Bild erkennbar sein. Eine zusätzliche Bleiabdeckung (z. B. Gonadenschutzmittel, Bleigummimatten oder Strahlenschutzkleidung) der an den Rand des Strahlenfeldes angrenzenden Abschnitte des Körperstamms kann bei Kindern und jüngeren Patientinnen und Patienten sinnvoll sein.
6.1 Röntgenaufnahme des Kopfes
Für diese Untersuchung gibt es wenige Indikationen (SSK 2019). Falls sie tatsächlich erforderlich ist, sind Patienten-Strahlenschutzmittel nicht notwendig (effektive Dosiseinsparung: < 0,002 mSv (Samara et al. 2022)).
6.2 Röntgenaufnahmen der Schulter oder der Clavicula
Zu Untersuchungen der Schulter oder der Clavicula sind keine Studien zur Reduktion der Strahlenexposition durch Patienten-Strahlenschutzmittel zu finden. Eine grobe Abschätzung unter Verwendung ähnlicher Untersuchungsbereiche wie Thorax und Brustwirbelsäule zeigt, dass die durch Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln eingesparte Dosis vernachlässigbar ist.
6.3 Röntgenaufnahme des Thorax
Studien zeigen, dass bei der p. a.-Aufnahme die Gonadendosis bei ca. 0,0002 mSv liegt, also sehr niedrig ist. Bei Erwachsenen kann bei Standard-Thoraxaufnahmen p. a. am Vertikalstativ durch eine Gonadenschürze auf der dem Detektor zugewandten Seite die Hodendosis um 75 % (ca. 0,0002 mSv), die Ovariendosis um 10 % (0,00002 mSv) vermindert werden. Die Gonadenschürze auf der der Röhre zugewandten Seite würde die Hodendosis nur um 12 % und die Dosis der Ovarien nur um 5 % reduzieren (Roth et al. 2001, Samara et al. 2022). Auf Grund der geringen Dosis außerhalb des Zielvolumens ist die Verwendung eines Patienten-Strahlenschutzmittels nicht notwendig.
Wenn in der neonatalen Radiografie Patienten-Strahlenschutzmittel verwendet werden, soll die Bleigummiabdeckung auf dem Inkubator aufgelegt werden. Gegen die Anwendung im Inkubator sprechen hygienische Bedenken (nosokomiale Infektionen) und die Kompression des Abdomens mit Beeinträchtigung der Atmung.
Da bis zum Schulkindalter der Thorax meist a. p. geröntgt wird (Seidenbusch und Schneider 2015), können eventuell verwendete Patienten-Strahlenschutzmittel (Bleischurz, Gonadenschutz) ventral angebracht werden.
6.4 Röntgenaufnahme der Brust- oder Lendenwirbelsäule
Bei Aufnahmen der Brust- oder Lendenwirbelsäule liegt die Dosis des Uterus bei < 0,5 mSv, die der Hoden bei < 0,04 mSv. Durch Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln an der unteren Strahlenfeldgrenze können die Dosen nur wenig reduziert werden (Clancy et al. 2010, Liu et al. 2008). Bei weit aufgeblendeten Aufnahmen reduziert eine Abdeckung der Brust die Dosis der Brust von ca. 0,4 mSv auf ca. 0,08 mSv (Mekis et al. 2013) bei Liegendaufnahmen. Eine korrekte Einblendung hat hingegen eine deutlich bessere Schutzwirkung.
6.5 Röntgenaufnahmen des Beckens oder des Hüftgelenks
Eine Patientenabdeckung der Gonaden im direkten Strahlengang reduziert die Gonadendosis des Mannes (0,8 mSv) um ca. 95 %, und die der Frau (0,2 mSv) um über 50 %. Außerhalb des Nutzstrahls beträgt die Gonadendosis weniger als 0,1 mSv, kann jedoch beim Mann mit einem Hodenschutz reduziert werden (Clancy et al. 2010, Liu et al. 2008).
Der Ovarienschutz wird häufig falsch positioniert, was zu Fehl- und Wiederholungsaufnahmen führen kann (Warlow et al. 2014). Deshalb sollte darauf verzichtet werden.
Ein Hodenschutz kann die bei dieser Untersuchung auftretende geringe bis mittlere Dosis der Hoden beim Mann reduzieren und kann verwendet werden, wenn keine Gründe dagegensprechen, wie z. B. die Lage der Hoden im Aufnahmebereich oder die Abdeckung relevanter Bildanteile.
6.6 Röntgenaufnahme des Abdomens
Die Reduzierung der Gonadendosis durch Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln ist vergleichbar mit der bei der Beckenaufnahme. Die Hoden liegen hier nicht im Direktstrahl (< 0,1 mSv). Die Ovarien liegen im diagnostisch relevanten Bereich, sodass sie nicht abgedeckt werden können. Eine Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln ist daher nicht zu empfehlen.
6.7 Röntgenaufnahme der Extremitäten
Zu Untersuchungen der Extremitäten sind keine Studien zur Reduktion der Strahlenexposition durch Patienten-Strahlenschutzmittel zu finden. Eine grobe Abschätzung zeigt, dass die durch Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln eingesparte Gonadendosis vernachlässigbar ist. Durch Optimierung der Positionierung des Patienten und der Einblendung sind Risikoorgane so weit wie möglich zu schützen.
6.8 Mammografie
Studien zeigen, dass keine signifikante Zunahme von Schilddrüsenkrebs mit der Anzahl von Mammografien besteht (Sechopoulos und Hendrick 2012). Die Schilddrüsendosis wird mit durchschnittlich 0,002 mSv angegeben (Sechopoulos et al. 2008). Der Einsatz eines Schilddrüsenschutzes ist somit nicht notwendig. Die Organdosis für das Auge wird mit durchschnittlich 0,002 mSv, die der kontralateralen Brust mit ca. 0,02 mSv und die Organdosis des Uterus mit < 0,00003 mSv angegeben. Patienten-Strahlenschutzmittel sind somit bei der Mammografie nicht notwendig (Sechopoulos et al. 2008).
6.9 Röntgenaufnahmen in der Zahnmedizin
Die in der Zahnmedizin verwendeten Strahlenenergien und Feldgrößen erzeugen nur Streustrahlenfelder mit geringen Dosen. Patienten-Strahlenschutzmittel werden deshalb nicht benötigt.
Selbst bei Untersuchungen mit Panorama-Aufnahmen und dentalen DVT zeigten sich keine signifikanten Dosiseinsparungen durch das Tragen einer Patientenschürze (Rottke et al. 2013a, Rottke et al. 2013b, Schulze et al. 2017b) und in einer Studie (Qu et al. 2012) Einsparungen von 0,015 mSv bei der Organ-Äquivalentdosis der Schilddrüse aufgrund der dorsalen 180°-Rotation. Ein Schilddrüsenschutz kann bei spezieller Begründung und extraoralen Aufnahmen (z. B. Fernröntgen-Seitbild) verwendet werden.
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8 Abkürzungsverzeichnis (häufig verwendete Begriffe)
a. p. | Anterior-posterior |
CCT | Craniale Computertomografie |
CT | Computertomografie |
DRW | Diagnostische Referenzwerte |
DVT | Digitale Volumentomografie |
MPE | Medizinphysik-Experte |
NNH | Nasennebenhöhlen |
p. a. | Posterior-anterior |
- 1
- Bei der Rotation der Röntgenröhre um die Patientin oder den Patienten wird der die Röntgenstrahlung erzeugende Strom und damit die Strahlung in der Röntgenröhre immer dann abgesenkt, wenn die Röhre in einem bestimmten Winkelbereich der Rotation ist. Bei einer Röhrenstrommodulation wird der Strom entsprechend der erwarteten Schwächung durch den Patienten variiert, um eine ähnliche Dosis am Bildempfänger zu erreichen.
- 2
- Da die Dosisreduktion stark vom Untersuchungsgerät, der Untersuchungstechnik und der Situation abhängt, sollte vor Ort die Anwendung der Patienten-Strahlenschutzmittel mit einem Medizinphysik-Experten abgeklärt werden.
- 3
- Bei der digitalen Kollimation werden schwarze Felder über das digitale Röntgenbild gelegt, um hellere Bereiche, die das Auge bei der Befundung der Bilder stören würden, abzudecken.
- 4
- Der Bleigleichwert beschreibt die Schutzwirkung eines Materials im Vergleich zur Schutzwirkung des Bleis.
- 5
- Volume Computed Tomogaphy Dose Index
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