Bundesministerium für Gesundheit
Bekanntmachung
eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses
über eine Richtlinie zur Erprobung gemäß § 137e des Fünften Buches Sozialgesetzbuch:
Kaltplasmabehandlung bei chronischen Wunden
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Sitzung am 16. Februar 2023 folgende Richtlinie zur Erprobung der Kaltplasmabehandlung bei chronischen Wunden beschlossen.
Die Richtlinie wird wie folgt gefasst:
„Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erprobung der Kaltplasmabehandlung bei chronischen Wunden
Zielsetzung
1Um den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in die Lage zu versetzen, eine abschließende Bewertung des Nutzens der Kaltplasmabehandlung bei chronischen Wunden durchzuführen, sollen im Wege der Erprobung die hierfür nach den §§ 135 und 137c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit den Vorgaben der Verfahrensordnung des G-BA (VerfO) notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode gewonnen werden. 2Die für die Beantwortung dieser Frage in ihrer Konkretisierung nach § 2 notwendige Studie soll durch eine unabhängige wissenschaftliche Institution (UWI) nach Maßgabe dieser Richtlinie entworfen, durchgeführt und ausgewertet werden. 3Die Ausgestaltung des Studiendesigns ist – soweit nicht im Folgenden näher bestimmt – von der UWI auf der Basis des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorzunehmen und zu begründen. 4Bei der Erstellung des Studienprotokolls ist das Wirtschaftlichkeitsprinzip zu beachten.
Fragestellung
Die Erprobung soll der Beantwortung der Frage dienen, ob bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Wunden die Kaltplasmabehandlung in Erweiterung zur Standard-Wundbehandlung im Vergleich zur alleinigen Standard-Wundbehandlung hinsichtlich des Endpunkts Wundheilungserfolg überlegen ist.
Population
(1) 1In die Erprobungsstudie sind Patientinnen und Patienten mit chronischen Wunden der Haut ohne Heilungstendenz unter Standard-Wundversorgung einzuschließen, die primär weiter konservativ mit dem Ziel des vollständigen Wundverschlusses behandelt werden sollen. 2Es ist eine Definition zur chronischen Wunde aufzunehmen, die eine trotz Standard-Wundbehandlung ausbleibende Heilung über eine bestimmte Zeit beinhaltet.
(2) Sofern für die jeweilige Wundart etablierte Klassifikationen zur Schweregradeinteilung von chronischen Wunden existieren, sind diese zum Zeitpunkt des Einschlusses und auch im weiteren Verlauf der Behandlung und Beobachtung zu verwenden.
(3) In a priori geplanten Subgruppenauswertungen soll geprüft werden, ob sich die Ergebnisse zwischen Patientinnen und Patienten mit Wunden unterschiedlicher Genese sowie zwischen Patientinnen und Patienten mit Wunden unterschiedlicher anatomischer Lokalisation unterscheiden.
(4) Die weiteren Ein- und Ausschlusskriterien (z. B. Alter, Komorbiditäten) sind so festzulegen, dass eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Zielpopulation gemäß Absatz 1 Satz 1 ermöglicht wird.
Intervention und Vergleichsintervention
(1) 1Die Prüfintervention besteht in der Behandlung mit kaltem atmosphärischem Plasma (Cold atmospheric Plasma [CAP]). 2Die Intervention soll in Ergänzung zur leitliniengerechten Standard-Wundbehandlung durchgeführt werden. 3Wie häufig und in welchem zeitlichen Abstand die Kaltplasmatherapie erfolgen soll, ist im Rahmen der Studienplanung zu konkretisieren.
(2) 1Die angemessene Vergleichsintervention stellt die leitliniengerechte Standard-Wundbehandlung dar. 2Eine zusätzliche Scheinbehandlung („Placebo-Gerät“) soll erfolgen.
(3) Die Begleittherapie der den jeweiligen chronischen Wunden zugrunde liegenden Ursachen soll in beiden Behandlungsarmen dem jeweiligen leitliniengerechten Therapiestandard entsprechen.
Endpunkte
(1) 1Den primären Endpunkt stellt der Wundheilungserfolg (im Sinne einer vollständigen Wundheilung) dar. 2Die Operationalisierung soll das Vorliegen einer 100 %igen Epithelialisierung, d. h. kein Granulationsgewebe mehr sichtbar, beinhalten. 3Im Rahmen der Studienplanung soll geprüft werden, ob diese Operationalisierung durch weitere Kriterien zu ergänzen ist und wie dieser Endpunkt zu standardisieren und objektiv zu erheben ist.
(2) 1Als sekundäre Endpunkte sind insbesondere zu erfassen:
- –
-
Schmerz,
- –
-
gesundheitsbezogene Lebensqualität,
- –
-
Wundkomplikationen (z. B. Infektionen, Amputationen, Wundrezidiv),
- –
-
Komplikationen der Therapie,
- –
-
Krankenhausaufenthaltsdauer,
- –
-
(krankheitsspezifische) Hospitalisierung,
- –
-
weitere unerwünschte Ereignisse,
- –
-
Wundflächenreduktion.
2Die Operationalisierung der Endpunkte sowie die Erhebung und die Operationalisierung weiterer Endpunkte sind jeweils zu begründen.
(3) 1Sofern vorhanden, sind für alle Endpunkte validierte Erhebungsinstrumente zu verwenden. 2Die Erhebung des patientenrelevanten primären Endpunkts soll standardisiert erfolgen. 3Die Erhebung des primären Endpunkts soll im Wege einer unabhängigen Wundbeurteilung durch geschulte, nicht an der Studienintervention beteiligte Gutachter erfolgen. 4Die weitere Konkretisierung ist der UWI überlassen.
Studientyp und Beobachtungszeitraum
(1) 1Die Erprobungsstudie ist als randomisierte, kontrollierte Studie (RCT) zu konzipieren und durchzuführen. 2Die Studie soll multizentrisch durchgeführt werden. 3Als Randomisierungseinheit sollen Patientinnen und Patienten, nicht Wunden, gewählt werden. 4Bei Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern mit mehreren Wunden soll eine Indexwunde im Rahmen der Studie festgelegt werden. 5Im Rahmen der konkreten Studienplanung kann die Verwendung eines gruppensequenziellen oder adaptiven Studiendesigns in Betracht gezogen werden. 6Die konkrete Ausgestaltung des Studiendesigns ist entsprechend zu begründen.
(2) Der patientenindividuelle Beobachtungszeitraum soll mindestens sechs Monate betragen.
(3) 1Eine Verblindung des die Intervention durchführenden medizinischen Fachpersonals sowie der Patientinnen und Patienten mittels Verwendung eines „Placebo-Geräts“ soll erfolgen. 2Die weiterbehandelnden Personen und insbesondere die Endpunkterhebenden sollen verblindet sein.
(4) Die Art und Anzahl weiterer therapeutischer Interventionen mit Bezug zur Grunderkrankung oder mit möglichem Einfluss auf die zu erfassenden Endpunkte sollen dokumentiert werden.
Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung im Rahmen der Erprobung
Es ist in jedem Studienzentrum sicherzustellen, dass die Behandlung gemäß dem Studienprotokoll unter Berücksichtigung aller erforderlichen, anerkannten, nach ethischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufgestellten Regeln für die Durchführung von klinischen Studien erfolgt.
Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung der Erprobung
(1) Im Auftrag an die UWI ist diese – unabhängig davon, ob die Erprobung durch den G-BA oder Hersteller oder Unternehmen durchgeführt wird – insbesondere zu verpflichten,
- a)
-
ein Studienprotokoll zu erstellen und dieses sowie gegebenenfalls die Amendments unverzüglich nach Fertigstellung an den G-BA zur weitergehenden Information zu übersenden,
- b)
-
die Konformität des Studienprotokolls mit den Vorgaben der Erprobungs-Richtlinie und bei Abweichungen gegenüber diesen Vorgaben eine Begründung bei Übersendung des Studienprotokolls darzulegen,
- c)
-
die Studie in einem einschlägigen, von der World Health Organization akkreditierten Register klinischer Studien zu registrieren und den Eintrag regelmäßig zu aktualisieren und den G-BA hierüber zu informieren,
- d)
-
zur Durchführung der Erprobung nach den Anforderungen der Richtlinie und nach Maßgabe des Auftrags, einschließlich der datenschutzkonformen Erhebung, Speicherung und Nutzung der Daten und der Einholung von erforderlichen Genehmigungen,
- e)
-
Bericht zu erstatten an den G-BA bei Abweichungen von den Vorgaben in der Erprobungs-Richtlinie,
- f)
-
zur Auswahl der Leistungserbringer, Festsetzung und Auszahlung der angemessenen Aufwandsentschädigung an diese,
- g)
-
zur Auswertung der Studie,
- h)
-
unverzüglich nach Abschluss der Studie den Studienbericht, der entsprechend der International Council for Harmonisation (ICH)-E3-Richtlinie zu erstellen ist, zusammen mit dem statistischen Analyseplan an den G-BA zu übermitteln,
- i)
-
dem G-BA das Recht einzuräumen, ihm auf seine Kosten eine nachträgliche Datenauswertung zur Verfügung zu stellen und
- j)
-
dem G-BA das Recht zur Veröffentlichung zumindest der Synopse des Studienberichts sowie weitergehender für seine Entscheidung relevanter Informationen aus dem Studienbericht und aus den nachträglichen Datenauswertungen einzuräumen.
(2) 1Wird die Studie vom G-BA durchgeführt, ist die UWI in diesem Fall zu verpflichten, an den G-BA zu festgelegten Meilensteinen Bericht zu erstatten. 2Außerdem ist die UWI in Ergänzung der Verpflichtung nach Absatz 1 Buchstabe j zu beauftragen, dass sie die Studienergebnisse spätestens drei Monate nach Abnahme des Studienberichts durch den G-BA zur Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift mit wissenschaftlichem Begutachtungsprozess einreicht und dem G-BA das Recht einräumt, im Anschluss an deren Veröffentlichung oder nach Ablauf eines Jahres nach Einreichung der Studienergebnisse den Studienbericht zu veröffentlichen. 3Die UWI arbeitet vertrauensvoll mit der mit dem Projektmanagement beauftragten Stelle zusammen und hat dieser die zur Ausübung ihrer Aufgabe erforderlichen Informationen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
(3) 1Wird die Studie durch Medizinproduktehersteller oder Unternehmen durchgeführt, sind diese verpflichtet, die Anforderungen dieser Richtlinie an die Durchführung und Auswertung der Erprobung zu beachten. 2Um sicherzustellen, dass eine durchgeführte Studie den Anforderungen dieser Richtlinie entspricht und geeignet ist, die notwendigen Erkenntnisse des Nutzens der Methode zu gewinnen, haben die durchführenden Medizinproduktehersteller und Unternehmen dem G-BA das Studienkonzept zur Prüfung vorzulegen und zu erklären, dass der Vertrag mit der UWI den Anforderungen nach Absatz 1 entspricht und eine Einflussnahme durch den Sponsor auf das Ergebnis der Studie vertraglich ausgeschlossen ist. 3Bei positivem Ergebnis der Überprüfung bescheinigt der G-BA die Konformität des vorgelegten Studienkonzepts mit den Anforderungen dieser Richtlinie und dass damit die im Rahmen der Erprobung erbrachten Leistungen von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden; andernfalls teilt er die bestehenden Defizite mit.“
Die Richtlinie tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.
Die Tragenden Gründe zu diesem Beschluss werden auf den Internetseiten des G-BA unter www.g-ba.de veröffentlicht.
Gemeinsamer Bundesausschuss
gemäß § 91 SGB V
Der Vorsitzende
Prof. Hecken
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