Bekanntmachung Nr. 7/2023 über den Erlass einer Verfügung nach § 32 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

Published On: Donnerstag, 20.07.2023By Tags:

Bundeskartellamt

Bekanntmachung Nr. 7/​2023
über den Erlass einer Verfügung
nach § 32 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

Vom 5. Juli 2023

Im Verwaltungsverfahren B9-21/​21 gegen die Deutsche Lufthansa AG, Frankfurt am Main, wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des Artikels 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), § 19 GWB1 sowie wegen verbotener Verhaltensweisen gemäß § 20 Absatz 1 GWB in Verbindung mit § 19 Absatz 1 und 2 Nummer 1 GWB hat die 9. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes am 29. August 2022 be­schlossen:

I.

Die Beteiligte („Lufthansa“) verstößt gegen Artikel 102 AEUV, §§ 18, 19, 20 GWB, indem sie

1.
das mit der Beigeladenen („Condor“) bestehende Special Prorate Agreement („SPA“) zum 31. Oktober 2022 gekündigt hat, das zwischen ihrer Tochtergesellschaft Brussels Airlines und Condor vereinbarte „Special Prorate Agreement between Brussels Airlines SA/​NV and Condor Flugdienst GmbH/​Thomas Cook Airlines Ltd.“ („SPA-SN“) zunächst nicht über den 28. Februar 2021 hinaus, dann unter Hinweis auf die Einigungserklärung vom 10. Mai 2021 mit Condor bis zum 10. Juni 2022 und letztlich mit der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 nur bis zum 31. Oktober 2022 hat verlängern lassen sowie nach Umstellung der Flüge von deutschen und europäischen Flughäfen von Germanwings auf Eurowings die Zubringervereinbarung zwischen Germanwings und Condor nicht auf Eurowings übertragen hat,
2.
für eine Buchung von Sitzplätzen durch Condor auf Zubringerflügen für indirekte Langstreckenverbindungen mit Durchgangsticket von den auf Europa-Flügen für kommerzielle Passagiere verwendeten Buchungsklassen der Lufthansa-Fluggesellschaften für Condor nach dem SPA in der Fassung der Einigungserklärung vom 10. Mai 2021 und der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 nur fünf Buchungsklassen von Lufthansa, Austrian Airlines und SWISS International Air Lines (zusammen: „LH-Partner“) und nach dem SPA-SN nur sieben Buchungsklassen von Brussels Airlines zur Verfügung stellt,
3.
die Buchung von Sitzplätzen in den im SPA bzw. im SPA-SN in der Fassung der Einigungserklärung vom 10. Mai 2021 und der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 bzw. im „Special Prorate Agreement between Air Dolomiti (EN/​101) and Condor (DE/​881)“ („SPA-EN“) vereinbarten Buchungsklassen auf Zubringerflügen der LH-Partner, Brussels Airlines bzw. Air Dolomiti durch Condor für indirekte Langstreckenverbindungen mit Durchgangsticket nur dann zulässt, wenn die Passagiere auf dem von Condor durchgeführten Flug dieser Verbindung in bestimmten, korrespondierenden Condor-Buchungsklassen eingebucht sind, und
4.
die im SPA in der Fassung der Einigungserklärung vom 10. Mai 2021 und der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 bzw. im SPA-SN in der Fassung der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 und den entsprechenden Chart 2-Erklärungen aufgeführten Buchungsklassen, die auf Zubringerflügen der LH-Partner und von Brussels Airlines grundsätzlich buchbar sind, nicht durchgängig für Buchungen von Zubringerflügen durch Condor im Rahmen einer indirekten Langstreckenverbindung öffnet, obwohl diese Buchungsklassen zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage für eigene Buchungen der Lufthansa-Fluggesellschaften auf denselben Flügen heran­gezogen werden, und auf diese Weise Condor die Möglichkeit verwehrt, für ihre Passagiere Sitzplätze auf den Zubringerflügen der LH-Partner zu buchen, obwohl Kapazitäten vorhanden sind.
II.

Lufthansa wird verpflichtet,

1.
Condor bis spätestens vier Wochen seit Zustellung dieser Verfügung an Lufthansa die Verhandlung von Special Prorate Agreements (im Folgenden: „SPAs“) mit entsprechenden Chart 2-Erklärungen anzubieten, auf deren Grundlage Condor Durchgangstickets für indirekte Flugverbindungen Einschluss von Zubringerflügen der Lufthansa, Austrian Airlines, Swiss International Air Lines, Eurowings, Air Dolomiti und Brussels Airlines buchen kann, die aus ihrer Sicht angemessenen Bedingungen in einem konkreten Angebot zu formulieren und auf dieser Grundlage Verhandlungen mit Condor zu führen.
2.
die Verhandlungen nach Kapitel II Nummer 1 bis spätestens sechs Wochen seit Vorlage des Angebots nach Kapitel II Nummer 1 mit einer Vereinbarung abzuschließen. Die Frist kann vom Bundeskartellamt auf einen gemeinsamen Antrag von Lufthansa und Condor hin um zwei Wochen verlängert werden.
3.
bei den Verhandlungen nach Kapitel II Nummer 1 folgende Maßgaben umzusetzen:

a)
Lufthansa hat Condor eine Verhandlung über die Preise für alle Buchungsklassen, welche die Lufthansa-Fluggesellschaften für kommerzielle Passagiere auf ihren Europa-Flügen verwenden, anzubieten. Keine kommerziellen Passagiere sind solche, die Prämienmeilen von Miles & More einlösen oder die ID-Tickets für Airline-Mitarbeitende nutzen.
b)
Lufthansa hat Buchungen von Condor für die in den SPAs vereinbarten Buchungsklassen auf einem Zubringerflug unabhängig davon entgegenzunehmen, welche Buchungsklassen Condor für die eigenen Langstreckenflüge verkauft; es kommt nur darauf an, ob Lufthansa zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage die Buchungsklasse auf dem jeweiligen Flug noch geöffnet hat (keine Bindung).
c)
In der Vereinbarung ist vorzusehen, dass Buchungen von Zubringerflügen der Lufthansa-Fluggesellschaften, für die Condor vor Inkrafttreten der Vereinbarung noch kein Ticket ausgestellt hat, auch nach Inkrafttreten der Vereinbarung gültig bleiben, und es ist eine Übergangszeit vorzusehen, bis zu der Tickets für solche Buchungen nach den bisherigen Regelungen ausgestellt und abgerechnet werden und ab der Tickets nach der neuen Vereinbarung ausgestellt und abgerechnet werden.
4.
die nach Kapitel II Nummer 1 und 2 zu den SPAs vereinbarten Chart 2-Erklärungen innerhalb von maximal drei Arbeitstagen nach Abschluss der entsprechenden SPAs bei der Airline Tariff Publishing Company („ATPCO“) zu hinterlegen und für die Zeit der Geltung des jeweiligen SPA bzw. der Chart 2-Erklärung hinterlegt zu lassen und sicherzustellen, dass sie auf alle Flüge Anwendung finden, die auf Basis der nach Kapitel II Nummer 2 vereinbarten SPAs durchgeführt werden.
5.
sofern am 31. Oktober 2022 die Verhandlungen nach Kapitel II Nummer 1 und 2 unter Umsetzung der Maßgaben nach Kapitel II Nummer 3 noch nicht abgeschlossen bzw. die nach Kapitel II Nummer 1 und 2 zu den SPAs zu vereinbarenden Chart 2-Erklärungen nach Kapitel II Nummer 4 nicht bei ATPCO hinterlegt sein sollten, in der Zeit vom 1. November 2022 bis zum Abschluss der Verhandlungen nach Kapitel II Nummer 1 bzw. Nummer 2 unter Umsetzung der Maßgaben nach Kapitel II Nummer 3 bzw. bis zur Hinterlegung der nach Kapitel II Nummer 1 und 2 zu den SPAs zu vereinbarenden Chart 2-Erklärungen nach Kapitel II Nummer 4 bei ATPCO

a)
von Condor auf Basis des SPA, SPA-SN bzw. des SPA-EN in der aktuellen Fassung der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 mit allen Annexes und Attachments Buchungen entgegenzunehmen und zu den Bedingungen dieser SPAs die entsprechenden Leistungen in vollem Umfang zu den entsprechenden Gegenleistungen zu erbringen,
b)
sicherzustellen, dass das in der aktuellen Fassung der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 vereinbarte LH/​LX/​OS Chart 2: Reservation Booking Designators for transportation on LH/​LX/​OS sowie das in der aktuellen Fassung der ergänzenden Einigungserklärung vom 1. März 2022 vereinbarte SN Chart 2: Reservation Booking Designators for transportation on SN und das entsprechende Chart 2 des SPA-EN bei ATPCO bis zur Hinterlegung eines auf der Grundlage von Kapitel II Nummer 1 verhandelten und nach Kapitel II Nummer 2 vereinbarten neuen Chart 2 hinterlegt bleiben und auf alle Flüge Anwendung finden, die auf Basis des in Kapitel II Nummer 5 Buchstabe a aufgeführten SPA, SPA-SN bzw. des SPA-EN durchgeführt werden.
6.
auf Flügen von europäischen Flughäfen zu Drehkreuzflughäfen von Condor und umgekehrt („Zubringerflug“) auf der Grundlage von Special Prorate Agreements nach Kapitel II Nummer 2 bzw. nach Nummer 5 Buchungen von Condor in allen Buchungsklassen entgegenzunehmen und zu den Bedingungen, die in den Special Prorate Agreements nach Kapitel II Nummer 2 bzw. nach Nummer 5 festgelegt worden sind, die entsprechenden Leistungen in vollem Umfang zu den entsprechenden Gegenleistungen zu erbringen. Dabei gilt Folgendes:

a)
Lufthansa hat spätestens sechs Wochen seit Zustellung der Verfügung an Lufthansa Buchungen von Condor in allen Buchungsklassen auf einem Zubringerflug entgegenzunehmen, in denen Lufthansa zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage ihren eigenen Passagieren die Buchung auf dem betreffenden Zubringerflug ermöglicht. Diese Verpflichtung ist auch dann erfüllt, wenn Lufthansa sechs Wochen seit Zustellung der Verfügung an Lufthansa Buchungen von Condor in allen Buchungsklassen auf einem Zubringerflug entgegennimmt, in denen Lufthansa nach den zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage bei Amadeus in der O&D-Verfügbarkeits-Cache-Datenbank des Amadeus Master Pricer Programms oder in einer entsprechenden Datenbank dieses oder eines anderen EDV-Systems für die Reisebranche gespeicherten Daten ihren eigenen Passagieren die Buchung auf dem betreffenden Zubringerflug ermöglicht, soweit der Flug zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage noch nicht ausgebucht ist. Lufthansa steht es dabei frei, nicht mehr als 5 % der auf einem Zubringerflug tatsächlich vorhandenen Sitzplätze allein für die Buchungen eigener Passagiere vorzubehalten.
b)
In der Zeit zwischen Zustellung der Verfügung an Lufthansa und dem Ablauf der Frist nach Kapitel II Nummer 6 Buchstabe a wird Lufthansa Condor-Buchungen in den Buchungsklassen entgegennehmen, die auf der Grundlage der aktuellen Lufthansa-Buchungsklassensteuerung zum Zeitpunkt der Buchungsanfrage auf der Grundlage der Vereinbarungen nach Kapitel II Nummer 2 bzw. Nummer 5 geöffnet und buchbar sind. Stellt Condor fest, dass auf einem Zubringerflug Condor-Passagiere keine Plätze buchen können, obwohl Lufthansa auf demselben Flug eigenen Passagieren Buchungen in diesen Buchungsklassen ermöglicht, und teilt Condor dies Lufthansa mit, so hat Lufthansa unverzüglich dafür zu sorgen, dass auf dem Flug verfügbare freie Kapazitäten Condor zur Verfügung gestellt werden.
c)
Die in Kapitel II Nummer 6 Buchstabe a ausgesprochene Umsetzungsfrist wird gehemmt, sofern Lufthansa nach Zustellung der Verfügung an Lufthansa einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde nach § 67 Absatz 3 Satz 3 GWB stellt. Die Hemmung beginnt mit dem Eingang des Antrags beim Gericht der Hauptsache und endet mit der Beendigung des erstinstanzlichen Eilverfahrens über diesen Antrag.
III.

Um zu verhindern, dass Lufthansa die oben in Kapitel II erfolgten Anordnungen umgehen bzw. deren Wirkungen beschränken kann, wird Lufthansa zu Folgendem verpflichtet:

1.
Für den Fall, dass Zubringerflüge der Lufthansa-Fluggesellschaften Lufthansa, Eurowings, SWISS International Air Lines, Air Dolomiti, Austrian Airlines oder Brussels Airlines, die von Condor unter den oben in Kapitel II Nummer 2 bzw. in Nummer 5 aufgeführten SPAs gebucht werden können, von anderen mit ihnen eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des europäischen Rechts bildenden bzw. nach § 36 Absatz 2 GWB verbundenen Fluggesellschaften durchgeführt werden sollen, hat Lufthansa vor Umsetzung dieser Veränderung sicherzustellen, dass die nach Kapitel II Nummer 2 bzw. nach Nummer 5 geltenden SPAs einschließlich der dort genannten Chart 2 auch auf diese Zubringerflüge Anwendung finden und diese Fluggesellschaften Buchungen von Condor unter den Regelungen der oben in Kapitel II Nummer 2 bzw. in Nummer 5 aufgeführten SPAs entgegennehmen und zu den Bedingungen dieser SPAs die entsprechenden Leistungen in vollem Umfang zu den entsprechenden Gegenleistungen erbringen. Condor kann von diesen Fluggesellschaften nur die Buchung von Zubringerflügen zu den Konditionen der SPAs beanspruchen, die zuvor bei Lufthansa bzw. ihren Fluggesellschaften Eurowings, SWISS International Air Lines, Air Dolomiti, Austrian Airlines oder Brussels Airlines unter den SPAs gebucht werden konnten. Lufthansa stellt sicher, dass Langstreckenpassagiere von Condor gebuchte Zubringerflüge auch bei einer Adhoc-Verlagerung von einzelnen Zubringerflügen innerhalb des Lufthansa-Konzerns nutzen können.
2.
Das Gleiche gilt für den Fall, dass Zubringerflüge der Lufthansa-Fluggesellschaften Lufthansa, Eurowings, SWISS International Air Lines, Air Dolomiti, Austrian Airlines oder Brussels Airlines, die von Condor künftig unter den oben in Kapitel II Nummer 2 bzw. in Nummer 5 aufgeführten SPAs gebucht werden können, nicht mehr über die durchführende Fluggesellschaft, sondern über andere mit ihnen eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des europäischen Rechts bildende bzw. nach § 36 Absatz 2 GWB verbundene Fluggesellschaften im Wege eines Codeshares gebucht werden können.
IV.

Der Widerruf oder der teilweise Widerruf der Verfügung bleiben vorbehalten.

V.

Die Gebühr für diese Entscheidung wird auf […] Euro (in Worten: […] Euro) festgesetzt.

VI.

Auslagen werden gesondert erhoben.

Die öffentliche Version des Beschlusses ist im Internet unter www.bundeskartellamt.de veröffentlicht.

Bonn, den 5. Juli 2023

B 9 – 51100 – Mb – 21/​21

Bundeskartellamt
9. Beschlussabteilung

Krueger

1
In der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2021 (BGBl. I S. 2).

Leave A Comment