Landgericht Hamburg Az.: 327 OH 8/16
Beschluss
In der Sache
1) |
Mag. Josef Aschermayr, Sobieskigasse 12/10, A-1090 Wien, Österreich |
– Antragsteller – |
2) |
Franz Barth, Seehof 5, A-3293 Lunz am See, Österreich |
– Antragsteller – |
3) |
Hermann Chlibek, Johann-Wanderer-Straße 4, 3003 Gablitz, Österreich |
– Antragsteller – |
4) |
Wilhelm Frisch, Sulz 59, A-7542 Sulz, Österreich |
– Antragsteller – |
5) |
Werner Höbarth, Erlachgasse 59/16, A-1100 Wien, Österreich |
– Antragsteller – |
6) |
Elisabeth Hoppa, Suppégasse 1/4, A-1130 Wien, Österreich |
– Antragstellerin – |
7) |
Konrad Kremser, Bahnstraße 14, A-7203 Wiesen, Österreich |
– Antragsteller – |
8) |
Maria Pichler, Falkenstein 35, A-2162 Falkenstein, Österreich |
– Antragstellerin – |
9) |
Walter Singer, Wurmsergasse 39/24, A-1150 Wien, Österreich |
– Antragsteller – |
10) |
Mag. Josef Trimmel, Assmayergasse 31/2/2, A-1120 Wien, Österreich |
– Antragsteller – |
11) |
Franz Unterleitner, Laaer Straße 45, A-2111 Rückersdorf, Österreich |
– Antragsteller – |
12) |
Helene Unterleitner, Laaer Straße 45, A-2111 Rückersdorf, Österreich |
– Antragstellerin – |
Prozessbevollmächtigte zu 1 – 12:
Rechtsanwälte Kälberer & Tittel, Knesebeckstraße 59-61, 10719 Berlin, Gz.: 620/15 TT03
gegen
1) |
TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co. KG, vertreten durch d. Geschäftsführer Tobias Boehncke und Dr. Christian v. Gerlach, Palmaille 67, 22767 Hamburg |
– Antragsgegnerin –
2) |
CPM Anlagen Vertriebs GmbH i.L., vertreten durch den Liquidator Dr. Kurt Cowling, Annagasse 5/2/16, 1010 Wien, Österreich |
– Antragsgegnerin – |
3) |
Dr. Axel Schröder, c/o MPC Münchmeyer Petersen Capital AG, Palmaille 71, 22767 Hamburg |
– Antragsgegner – |
4) |
Ulrich Oldehaver, c/o MindVisory GmbH, Averhoffstraße 3c, 22085 Hamburg |
– Antragsgegner – |
5) |
Ulf Holländer, c/o MPC Münchmeyer Petersen Capital AG, Palmaille 71, 22767 Hamburg |
– Antragsgegner – |
6) |
MPC Münchmeyer Petersen Capital AG, vertreten durch d. Vorstandsmitglieder Dr. Axel Schroeder und Ulrich Oldehaver, Palmaille 71, 22767 Hamburg |
– Antragsgegnerin – |
Prozessbevollmächtigte zu 1 – 6:
Rechtsanwälte Lindenpartners, Friedrichstraße 95, 10117 Berlin, Gz.: 09331/16 – BVA/atr
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beschließt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 27 – durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Zöllner, den Richter am Landgericht Führer und den Richter am Amtsgericht El Sarise am 20.03.2017:
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I. |
Dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg werden gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG folgende Feststellungsziele zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt:
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II. |
Dieser Vorlagebeschlusses und das Datum seiner Veröffentlichung sind gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich bekannt zu machen. |
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Gründe:
I.
Die Kläger sind natürliche Personen mit Wohnsitz in Österreich, die sich zwischen September 2005 und Februar 2006 mittelbar über die Beklagte zu 1. als Kommanditisten an dem geschlossenen Immobilienfonds Neunundfünfzigste Sachwert Rendite-Fonds Holland GmbH & Co. KG (im Folgenden: MPC Holland 59) beteiligt haben. Bei den Klägern handelt es sich um Verbraucher, die sich an dem streitgegenständlichen Fonds zum Zweck der privaten Vermögensanlage beteiligt haben.
Die Beklagte zu 1. ist Rechtsnachfolgerin der TVP Treuhand und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH, der Gründungskommanditistin des MPC Holland 59. Sie fungiert als Treuhandkommanditistin des Fonds. Die Kläger haben mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. jeweils einen Treuhandvertrag abgeschlossen, wonach die Kommanditbeteiligungen der Kläger treuhänderisch von der Beklagten zu 1. gehalten werden.
Die Beklagten zu 3. und 4. waren zum Emissionszeitpunkt Prokuristen der Beklagten zu 1.
Der Vertrieb der Beteiligungen am MPC Holland 59 erfolgte in Österreich durch die CPM Anlagen Vertriebs GmbH (im Folgenden: CPM, Beklagte zu 2.). Diese Gesellschaft befindet sich mittlerweile in Liquidation. Sie firmierte bei Emission des MPC Holland 59 als MPC Münchmeyer Petersen Capital Austria AG. Die CPM ist Herausgeberin des Verkaufsprospektes. Sie erstellte das prospektpflichtige Angebot in Österreich.
Alleinaktionärin der damaligen MPC Münchmeyer Petersen Capital Austria AG war die Beklagte zu 6. Die Beklagten zu 3. bis 5. waren Mitglieder des Aufsichtsrates.
Der Beklagte zu 3. war zum Emissionszeitpunkt Vorstand der MPC Münchmeyer Petersen Capital AG (im Folgenden: MPC Capital AG, Beklagte zu 6.). Die MPC Capital AG ist Initiatorin des Beteiligungsangebotes und als solche für den Inhalt des Emissionsprospektes verantwortlich. Der Beklagte zu 3. war zudem Mitglied des Aufsichtsrates der MPC Münchmeyer Petersen Capital Austria AG (heute CPM Anlagen Vertriebs GmbH i.L., Beklagte zu 2.) und Prokurist der Beklagten zu 1.
Der Beklagte zu 4. war zum Emissionszeitpunkt ebenfalls Vorstand der MPC Capital AG und Mitglied des Aufsichtsrates der MPC Münchmeyer Petersen Capital Austria AG (heute CPM Anlagen Vertriebs GmbH i.L., Beklagte zu 2.).
Auch der Beklagte zu 5. war zum Emissionszeitpunkt Vorstand der MPC Capital AG. Er war zudem Geschäftsführer der Komplementärin der Fondsgesellschaft und Geschäftsführer der MPC Münchmeyer Petersen Real Estate Consulting GmbH (im Folgenden MPC Real Estate). Zudem war der Beklagte zu 5. Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten zu 2. und Prokurist der Beklagten zu 1.
Die Beklagte zu 6. war alleinige Gesellschafterin der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1., der TVP Treuhand und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH. Zwischen beiden Gesellschaften bestand ein Gewinnabführungsvertrag, der zum 31.12.2014 aufgelöst wurde.
Die Beteiligung MPC Holland 59 wurde ausschließlich für österreichische Anleger emittiert und für Kunden des niederösterreichischen Raiffeisensektors exklusiv aufgelegt. Die Beklagte zu 2. hatte mit der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien AG eine ständige Vertriebsvereinbarung und stellte dieser (und den mit ihr verbundenen niederösterreichischen Raiffeisenregionalbanken) die Vertriebsunterlagen zur Verfügung. Auch die Schulungen der Raiffeisenmitarbeiter sowie Produktpräsentationen für Kunden wurden von der Beklagten zu 2. durchgeführt.
Der Vertrieb der Beteiligungen in Österreich erfolgte auf der Grundlage folgender Prospektunterlagen:
Zum einen wurde bei der Österreichischen Kontrollbank AG ein Emissionsprospekt gemäß dem Österreichischen Kapitalmarktgesetz hinterlegt (KMG-Prospekt, Anlage K 1). Der KMG-Prospekt wurde im Vertrieb nicht eingesetzt. Keinem der Kläger wurde der KMG-Prospekt in der Beratung physisch angeboten oder dieser ausgehändigt. Vom Vertrieb verwendet wurde eine 32-seitige Kurzdarstellung des Beteiligungsangebotes, der Verkaufsprospekt (Anlage K 2).
Die Kläger machen geltend, dass sie den MPC Holland 59 nicht gezeichnet hätten, wenn sie auch nur über einen der behaupteten Prospektfehler ordnungsgemäß aufgeklärt worden seien. Die Beklagten hafteten nach österreichischem Sachrecht. Neben deliktischen Ansprüche könnten die Kläger zudem nach dem österreichischen Kapitalmarktgesetz und dem österreichischen Konsumentenschutzgesetz Ansprüche geltend machen.
II.
1. |
Das Landgericht Hamburg ist für die Entscheidung über den Vorlagebeschluss als Prozessgericht, bei dem der erste bekannt gemachte Musterverfahrensantrag gestellt wurde, gem. § 6 Abs. 2 KapMuG zuständig. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 3) bis 6) aus Art. 4 Abs. 1, 63 Abs. 1 lit a) und b) EuGVVO n.F. und hinsichtlich der Beklagten zu 2) aus Art. 8 Abs. 1 EuGVVO als Streitgenossin. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32b iVm § 17 ZPO. |
2. |
Die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Hanseatische Oberlandesgericht nach § 6 Abs. 1 S. 1 KapMuG liegen vor, da nach Stellung des vorliegenden Antrags mindestens neun weitere, gleichgerichtete Anträge im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden. |
3. |
Die Musterverfahrensanträge sind statthaft, denn die geltend gemachten Ansprüche fallen in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG sind insbesondere Ansprüche wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation musterverfahrensfähig. Um solche Ansprüche handelt es sich vorliegend; die Kläger begründen ihre Klagen mit Ansprüchen nach österreichischem Recht, namentlich deliktischen Vorschriften und Rücktrittsrechten aus dem österreichischen Kapitalmarktgesetz sowie mit Schadensersatzansprüchen aus unterlassener Aufklärung und irreführender Verkaufsprospekte und damit zumindest auch mit Prospekthaftung (im weiteren Sinne). Kern der vorgeworfenen Pflichtverletzungen ist die klägerseitige Behauptung, dass der Emissions- und der Kurzprospekt falsch, unvollständig und irreführend seien. |
4. |
Soweit die Beklagten darüber hinaus die Zulässigkeit der Musterverfahrensanträge in Abrede stellen, folgt die Kammer dem nicht: |
a) |
Ohne Erfolg rügen die Beklagten, dass die Anträge unzulässig seien, da Ansprüche wegen ausländischer Kapitalmarktinformationen betroffen seien, deren Beurteilung sich – unstreitig – nach ausländischem Sachrecht richtet, nämlich hier dem österreichischen Recht. Tatsächlich ist eine Beschränkung auf die Anwendung inländischen Rechts weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Entstehungsmaterialien ersichtlich. Vielmehr war Intention des Gesetzgebers, die inländischen Gerichte für Anlageprozesse zu stärken und attraktiver zu machen. Denn das Musterverfahren sollte „aus Sicht der deutschen Emittenten die Möglichkeit verschaffen, auf ausländischen Kapitalmarktplätzen auf geeignete kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten in Deutschland zu verweisen und dadurch eine Kanalisierung von Rechtsstreiten im Inland bewirken zu können“ (Gesetzesentwurf, BT-Drucks, 15/5091, S. 17). Mit den Klägern ist im Übrigen davon auszugehen, dass gerade auch die Unterlassung von öffentlichen Kapitalmarktinformationen einen Fall des KapMuG darstellt und ein Unterlassen in seiner Wirkung örtlich nicht beschränkt ist. Auch die Bedenken der Beklagten vor einer Aushöhlung des Rechtsschutzes vermögen nicht zu überzeugen. In Verfahren nach dem KapMuG sind gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 KapMuG die im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden, mithin auch § 293 ZPO, der die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts regelt. Die Überprüfbarkeit dieser Rechtsermittlung in dem Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem BGH unterscheidet sich von gewöhnlichen IPR-Fällen nicht; die Einbeziehung des OLG in die Entscheidung in erster Instanz ist dem Verfahren nach dem KapMuG immanent. b) Ohne Erfolg rügen die Beklagten, dass es sich bei der Verkaufsbroschüre gemäß Anlage K 2 (von den Klägern: „Kurzprospekt“ oder „Verkaufsprospekt“ genannt) nicht um einen Prospekt iSd § 1 Abs. 2 KapMuG handele. Zum einen sind die drei Kriterien des § 1 Abs. 2 S. 1 KapMuG erfüllt, weil es sich um Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten handelt, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Die weitere Aufzählung in § 1 Abs. 2 S. 2 KapMuG ist demgegenüber nur beispielhaft und nicht abschließend. Zum anderen ist die fehlende Vollständigkeit im Sinne des Prospektgesetzes gerade Teil des klägerseitigen Vorwurfs in der Sache. Zwar haben die Kläger vorgetragen, ihnen sei in keinem Fall der vollständige und bei der Österreichischen Kontrollbank AG hinterlegten KMG-Prospekt in der Beratung angeboten oder ausgehändigt worden. Dies steht der Entscheidungserheblichkeit der Prospektfehler jedoch nicht entgegen. Denn nach dem klägerseitigen Vortrag basiert der Kurzprospekt auf dem KMG-Prospekt, mit der Folge, dass Unklarheiten und Auslassungen in jenem auch auf den vorgelegten Kurzprospekt naturgemäß durchzuschlagen vermögen. Der Vorwurf der Kläger geht dabei ausweislich der Feststellungsziele dahin, festzustellen, dass gerade weder das eine noch das andere Schriftwerk die erforderlichen Informationen nach Ziffer 1. der vorliegenden Musterverfahrensanträge enthalten habe. Auch diesen Kurzprospekt und seine Verwendung in der Beratung hätten die Beklagten zu veranworten. Dies genügt jedenfalls für die Zulässigkeit eines Antrages auf Durchführung einesKapMuG-Verfahrens, das auf die Feststellung der Unrichtigkeit öffentlicher Kapitalmarktinformationen gerichtet ist, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KapMuG. Die von den Beklagten in Frage gestellte Kausalität wäre dann im Rahmen der streitigen Sachentscheidung zu beurteilen. c) Die Musterverfahrensanträge sind dementsprechend auch nicht deswegen unzulässig, weil die Feststellungsziele auch im Übrigen nicht entscheidungserheblich wären. Die Kläger nennen in den Musteranträgen mehrere konkrete Einzelpunkte fehlender Produktinformationen und damit irreführender öffentlicher Kapitalmarktinformationen. Dies gilt auch für den Antrag zu Ziffer 1. g), der das Unterbleiben einer ergänzenden öffentlichen Kapitalmarktinformation zum Gegenstand hat. Ob § 6 Abs. 1 KMG eine Nachtragspflicht auslöst ist eine Frage der Begründetheit nach § 6 Abs. 1 KapMuG |
5. |
Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, § 6 Abs. 1 S. 2 KapMuG. |
gez.
Zöllner | Führer | El Sarise | ||
Vorsitzende Richterin am Landgericht |
Richter am Landgericht |
Richter am Amtsgericht |
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