Risikohinweise in Zeichnungsscheinen sind ein Dauerbrenner in Haftungsprozessen. Sie haben sich in unterschiedlichen Formen etabliert: Als Kleingedrucktes, als nicht besonders optisch hervorgehobener Textblock in normal großer Schrift, mit abgesetztem Rahmen und/oder gesonderter Überschrift, mit inhaltlich verklausuliertem Verlustrisiko, mit klar beschriebenem Maximalrisiko, mit separaten Unterschriftsfeld oder ohne. Beklagte Finanzanlagen- oder Versicherungsvermittler rekurrieren in der Rechtsverteidigung auf die Risikohinweise zum ergänzenden Beleg dafür, dass der Interessent vorher über die Risiken des Anlage- oder Versicherungsvertrages aufgeklärt wurde sowie dafür, dass er seit Zeichnung in grob fahrlässiger Weise die betreffenden Risiken verkannt hat, weswegen eine entsprechende Aufklärungspflichtverletzung verjährt wäre.
- Zum aktuellen BGH-Urteil und früheren Entscheidungen
Am 23. März 2017 urteilte der III. Zivilsenat des BGH, dass einem Anleger keine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorgeworfen werden kann, wenn ihm nach Abschluss der Beratung kurz der Zeichnungsschein zur Unterschrift vorgelegt wird und er beim (formalen) Vollzug der Anlageentscheidung den Text des Scheins nicht durchliest, BGH III ZR 93/16, Leitsatz. Entsprechend entschied auch der 34. Zivilsenat des OLG Hamm mit Beschluss vom 3. Januar 2013 (I-34 W 173/12). Das OLG Frankfurt (24 U 156/14) entschied als Vorinstanz die Frage anders als der BGH.
Der BGH hat sich schon früher mit der Frage der grob fahrlässigen Unkenntnis als Beginn der Regelverjährungsfrist im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2, 2. Fall BGB beschäftigt, im Zusammenhang mit dem Lesen von Verkaufsprospekten. Demnach kann dem Anleger nicht vorgeworfen werden, dass er den Prospekt (und die dortigen Risikohinweise) nicht liest, wenn er zuvor von einem Anlagevermittler oder Anlageberater – zwischen beiden differenzierte der BGH in dieser Entscheidung nicht – selbst aufgeklärt wurde; vgl. BGH III ZR 249/09 (U. v. 8. Juli 2010). Ebenso entschied der BGH, dass es nicht grob fahrlässig ist, wenn der Anleger von einer bestimmten Pflichtverletzung Kenntnis erlangt, dies aber nicht zum Anlass nimmt, den Verkaufsprospekt nachträglich zu lesen und dabei weitere Pflichtverletzungen zu erkennen, BGH III ZR 203/09 (U. v. 22. Juli 2010).
In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte war dies vorher umstritten. Und man mag durchaus in Frage stellen, warum einerseits der Anleger den Prospektinhalt nicht gegen sich geltend lassen muss, während andererseits derselbe Prospekt samt aller Fehler auch dann ursächlich für die Anlageentscheidung (und damit Haftungsgrundlage für den Vermittler oder Berater) ist, wenn er nicht übergeben wurde, aber Arbeitsgrundlage war; vgl. BGH II ZR 21/06 (U. v. 3. Dezember 2007). Schließlich ist er viel komplexer als zwei mehrstündige persönliche Gespräche. Und es erscheint wenig ausgewogen, dass der Anleger quasi gewaschen, dafür aber nicht nass gemacht werden muss, während der Vermittler bei Prospektfehlern dreckig bleibt und damit dem Anleger gegenüber auf dessen Schaden haftet, selbst aber nicht die Anlagesumme vereinnahmte. Außerdem mag man spekulieren, ob die Haftung des Beraters und Vermittlers (ähnlich dem Gründungsgesellschafter) nicht auch deswegen weiter und weiter konkretisiert wird, weil viele Emittenten entweder aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen kaum zu belangen sind. Doch dies ist theoretischer Luxus. Praktisch orientieren sich die Instanzgerichte hart am BGH.
In BGH III ZR 93/16 führt dieser nun aus, dass bei der Frage nach dem objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt der Kontext, in dem es zu den Zeichnungen gekommen ist, nicht ausgeblendet werden darf. Zwar gibt der Anleger mit dem Zeichnungsschein eine rechtsverbindliche Willenserklärung ab. Dies reiche aber für sich allein nicht aus, um zum Nachteil des Anlegers automatisch den Vorwurf grober Fahrlässigkeit bei unterlassener Lektüre des kleingedruckten Inhalts der Zeichnungsscheine zu rechtfertigen. Der Anleger darf grundsätzlich auf die Ratschläge, Auskünfte und Mitteilungen, die der Berater ihm in der persönlichen Besprechung unterbreitet, vertrauen. Er muss regelmäßig nicht damit rechnen, dass er aus dem Text eines Zeichnungsscheins, der ihm nach Abschluss der Beratung zum (formalen) Vollzug der bereits getroffenen Anlageentscheidung vorgelegt wird, substantielle Hinweise auf Eigenschaften und Risiken der Kapitalanlage erhält. Erst recht muss er nicht davon ausgehen, dass von ihm zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit erwartet wird, den Text durchzulesen, um die erfolgte Beratung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Die unterlassene Lektüre ist daher in einer solchen Situation für sich allein genommen nicht schlechthin „unverständlich“ oder „unentschuldbar“ und begründet deshalb im Allgemeinen kein in subjektiver und objektiver Hinsicht „grobes Verschulden gegen sich selbst“. Eine andere Beurteilung kann etwa dann in Betracht kommen, wenn der Berater den Anleger ausdrücklich darauf hinweist, er solle den Text vor Unterzeichnung durchlesen, und er dem Kunden die hierzu erforderliche Zeit lässt oder wenn in deutlich hervorgehobenen, ins Auge springenden Warnhinweisen auf etwaige Anlagerisiken hingewiesen wird oder wenn der Anleger auf dem Zeichnungsschein gesonderte Warnhinweise zusätzlich unterschreiben muss; vgl. a.a.O., Gründe II. 2.
- Zu erwartende Argumentation
Nach wie vor werden Vermittler und Berater in Haftungsprozessen mit der eingangs genannten Rechtsverteidigung aufwarten. Immerhin gibt es Zeichnungsscheine mit Risikobelehrungen, und diese können nun nicht per se wertlos sein. Über Risiken wurde aufgeklärt, entsprechende Pflichtverletzungen sind wenigstens aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis verjährt. Anleger und Anlegeranwälte werden genau das Gegenteil anführen: Risikobelehrungen in Zeichnungsscheinen seien doch wertlos, nichts sei verjährt und über Risiken sei nie gesprochen worden. Vielleicht wird die Diskussion noch ausgeweitet auf Bestätigungen über den Prospekterhalt und Verweise auf die dortigen Anlagebedingungen im Zeichnungsschein. Auch das sei ebenfalls nicht/ebenfalls doch wertlos.
III. Differenziertere Betrachtung
Zunächst sollte einleuchten, dass mittels des Zeichnungsscheins selbst grundsätzlich keine Risikoerläuterung erfolgt. Die vorvertragliche Aufklärung findet durch die vorvertragliche Aufklärung statt, also vor Zeichnung, mittels persönlicher Erläuterung und/oder rechtzeitig übergebenen, hinreichenden Produktinformationen bzw. Verkaufsprospekt. Zwar mag ein Risikohinweis auf einem Zeichnungsschein einen weiteren Anhaltspunkt darstellen, er ersetzt oder erfüllt jedoch nicht die vorherige und umfassendere Aufklärungsverpflichtung. Deshalb beweisen ein Zeichnungsschein mit Risikohinweis grundsätzlich weder eine hinreichende vorvertragliche Aufklärung, noch seine Formularmäßigkeit das Gegenteil. Für den nachträglichen Beweis der Aufklärung gibt es freiwillige Vermittlungs- oder (mittlerweile gesetzlich vorgeschriebene) Beratungsprotokolle, Zeugen und Online-Bestätigungen im Fernabsatz.
Deshalb spielen sich Risikohinweise in Zeichnungsscheinen letztlich nur in der Verjährungsfrage aus. Und hierbei wäre die Argumentation, dass diese Risikohinweise pauschal unbeachtlich seien, falsch. Denn wie stets ist auf den konkret erteilten Hinweis im Einzelfall abzustellen. Der III. Zivilsenat führt in seinem Urteil vom 23. März 2017 selbst aus, dass eine grob fahrlässige Unkenntnis des Anlegers (und damit eine mögliche Verjährung) in Betracht kommt, wenn der Berater den Anleger ausdrücklich darauf hinweist, den betreffenden Text im Zeichnungsschein vorher zu lesen. Dies wird natürlich den üblichen Beweisschwierigkeiten unterliegen. Alternativ kommt es darauf an, ob der Risikohinweis deutlich hervorgehoben ist und ins Auge springt. Zudem kommt grob fahrlässige Unkenntnis in Betracht, wenn der Anleger auf dem Zeichnungsschein die Risikohinweise gesondert unterschreibt. In Zeichnungsscheinen sind eingerahmte und separat zu quittierende Hinweise mittlerweile der Regelfall.
Demgegenüber stellt der BGH in seiner aktuellen Entscheidung auf den Fall ab, dass ein Zeichnungsschein mit Risikohinweisen in Form des „Kleingedruckten“, der dem Anleger nur kurz vorgelegt wird. Zudem bezieht es seine Ausführungen auf einen Berater und nicht auf einen Vermittler; ersterem wird mehr typisiertes Vertrauen entgegen gebracht, was bei der Frage, wie sehr der Anleger gegenteiligen Anhaltspunkten nachkommen muss, eine (weitere) Rolle spielt.
Was die mögliche Diskussion über die Verwertbarkeit des quittierte oder nicht quittierten, im Zeichnungsschein ausgewiesenen Prospekterhalts und darin enthaltene Vertragsbedingungen anbelangt, dürfte ebenfalls zu differenzieren sein. Hierzu hat der BGH bereits vor einigen Jahren entschieden: Bestätigt der Anleger, den Verkaufsprospekt einschließlich Anlagevertrag erhalten zu haben und beide als verbindlich anzuerkennen, so bedeutet dies aus der Sicht des Anlegers, dass der Verkaufsprospekt ebenso Vertragsbestandteil wird wie der vorgedruckte Vertrag; vgl. BGH II ZR 218/00 (U. v. 27. November 2000). Dies gilt dann auch für die darin enthaltenen Risikohinweise.
Daniel Blazek, BEMK Rechtsanwälte, April 2017
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