Beschluss vom 18. Mai 2021 – KVR 54/20
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die bis Februar 2016 von Booking.com verwendeten sog. „engen Bestpreisklauseln“ nicht mit dem Kartellrecht vereinbar sind.
Sachverhalt
Das Hotelbuchungsportal „booking.com“ ermöglicht Hotelkunden Direktbuchungen. Für die Vermittlungsleistung erhalten die Betreiber des Portals von den Hotelunternehmen eine erfolgsabhängige Provision. Ab Juli 2015 sahen die allgemeinen Geschäftsbedingungen von „booking.com“ eine „enge Bestpreisklausel“ vor. Danach durften die Hotels ihre Zimmer auf der eigenen Internetseite nicht zu niedrigeren Preisen oder besseren Konditionen anbieten als auf „booking.com“. Jedoch konnten die Hotelzimmer auf anderen Online-Buchungsportalen oder, unter der Voraussetzung, dass dafür online keine Werbung oder Veröffentlichung erfolgt, auch „offline“ günstiger angeboten werden. Das Bundeskartellamt hat im Dezember 2015 festgestellt, dass eine solche Klausel kartellrechtswidrig sei, und ihre weitere Verwendung ab 1. Februar 2016 untersagt. Seitdem wird sie von Booking.com nicht mehr angewandt.
Bisheriger Prozessverlauf:
Auf die Beschwerde von Booking.com hat das OLG Düsseldorf die Verfügung des Bundeskartellamts aufgehoben. Es hat angenommen, die engen Bestpreisklauseln beeinträchtigten zwar den Wettbewerb, seien aber als notwendige Nebenabreden der Vermittlungsverträge mit den Hotelunternehmen vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht erfasst. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt das Bundeskartellamt die Wiederherstellung seiner Verfügung.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Kartellsenat hat die Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgehoben und die Beschwerde von Booking.com zurückgewiesen.
Die enge Bestpreisklausel beschränkt den Wettbewerb beim Anbieten von Hotelzimmern. Die gebundenen Hotels dürfen im eigenen Onlinevertrieb keine günstigeren Zimmerpreise und Vertragsbedingungen anbieten als auf booking.com. Ihnen wird dadurch insbesondere die naheliegende Möglichkeit genommen, die eingesparte Vermittlungsprovision vollständig oder teilweise in Form von Preissenkungen weiterzugeben und dadurch Kunden zu werben.
Die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht deshalb ausgeschlossen, weil die enge Bestpreisklausel als Nebenabrede zu einem kartellrechtsneutralen Austauschvertrag notwendig ist, um einen fairen und ausgewogenen Leistungsaustausch zwischen Booking.com als Portalbetreiber und den Hotels als Abnehmer der Vermittlungsdienstleistung zu gewährleisten. Ein solches Verständnis ist unvereinbar mit der Systematik des Art. 101 AEUV. Die für die engen Bestpreisklauseln geltend gemachten wettbewerbsfördernden Aspekte, wie die Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Plattformleistung durch Lösung des „Trittbrettfahrerproblems“ (Gäste buchen direkt beim Hotel, nachdem sie sich auf Booking.com informiert haben) oder eine erhöhte Markttransparenz für die Verbraucher, müssen vielmehr sorgfältig gegen ihre wettbewerbsbeschränkenden Aspekte abgewogen werden. Diese Abwägung kann nach der Systematik des Art. 101 AEUV allein bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Freistellung vom Kartellverbot nach Absatz 3 dieser Vorschrift stattfinden.
Die enge Bestpreisklausel könnte damit als Nebenabrede zum Plattformvertrag nur dann vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen sein, wenn sie für dessen Durchführung objektiv notwendig wäre. Das ist nicht der Fall. Zweck des Vertrags zwischen Booking.com und den Hotelunternehmen ist die Online-Vermittlung von Hotelzimmern. Für diesen Vertragszweck ist die enge Bestpreisklausel keine unerlässliche Nebenabrede. Ermittlungen des Bundeskartellamts, die auf Veranlassung des Beschwerdegerichts nach Aufgabe der Verwendung der engen Bestpreisklausel durchgeführt wurden, haben ergeben, dass Booking.com nach allen maßgeblichen Parametern wie Umsatz, Marktanteil, Buchungsmengen, Zahl der Hotelpartner und Anzahl der Hotelstandorte seine Marktstellung in Deutschland weiter stärken konnte.
Die enge Bestpreisklausel von Booking.com ist nicht nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV gruppenfreigestellt, weil der Marktanteil von Booking auf dem relevanten Markt der Hotelbuchungsplattformen in Deutschland mehr als 30 % beträgt (Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO).
Die Anwendbarkeit des Art. 101 Absatz 1 AEUV auf die enge Bestpreisklausel ist auch nicht aufgrund einer Einzelfreistellung gemäß Abs. 3 dieser Vorschrift ausgeschlossen. Es fehlt bereits an der ersten Freistellungsvoraussetzung, einer Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts. Darunter sind durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung bewirkte Effizienzvorteile zu verstehen. Zwar führt der Betrieb einer Hotelbuchungsplattform zu erheblichen Effizienzvorteilen sowohl für die Verbraucher als auch für die ihr angeschlossenen Hotels. Mit den Funktionen Suchen, Vergleichen und Buchen bietet das Hotelbuchungsportal dem Verbraucher ein komfortables, in dieser Form sonst nicht verfügbares, attraktives Dienstleistungspaket. Die Hotels erhalten durch die Hotelbuchungsplattformen den Vorteil einer deutlich erweiterten Kundenreichweite. Diese Effizienzvorteile setzen jedoch die enge Bestpreisklausel nicht voraus. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Trittbrettfahrerproblem besteht. Es bestehen aber – nach den Nachermittlungen des Bundeskartellamts und dem Vorbringen von Booking.com – keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Problem die Effizienz des Plattformangebots gravierend gefährdet. Andererseits behindert die enge Bestpreisklausel aber erheblich den plattformunabhängigen Onlinevertrieb der Hotels.
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf – Beschluss vom 4. Juni 2019 – VI-Kart 2/16 (V), WuW 2019, 386
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Art. 101 AEUV
(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere
die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;
die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;
die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;
die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden;
die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.
(2) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig.
(3) Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf
Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen,
Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen,
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen,
die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen
Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder
Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.
Art. 2 Vertikal-GVO Freistellung
(1) Nach Artikel 101 Absatz 3 und nach Maßgabe dieser Verordnung gilt Artikel 101 Absatz 1
AEUV nicht für vertikale Vereinbarungen. …
Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO Marktanteilsschwelle
(1) Die Freistellung nach Absatz 1 gilt nur, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt … nicht mehr als 30% beträgt.
Karlsruhe, den 18. Mai 2021
Kommentar hinterlassen