Urteil vom 24. September 2024 – XI ZR 111/23
Der u.a. für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 24. September 2024 über die Revision eines Inkassounternehmens gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Bonn vom 9. Mai 2023 über die Abtretbarkeit von Ansprüchen auf Auskunft über Bankentgelte entschieden.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:
Die Klägerin ist ein Inkassounternehmen. Sie begehrt von der beklagten Bank aus abgetretenem Recht im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über die von einer Kundin der Bank geleisteten Entgelte, um anschließend Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Entgelte zu verlangen. Die Kundin schloss mit der Beklagten im Jahr 2012 einen Zahlungsdiensterahmenvertrag. Sie trat ausweislich einer Abtretungserklärung vom 23. August 2021 Erstattungsansprüche wegen unwirksamer Gebührenerhöhungen und zu viel berechneter Entgelte sowie Ansprüche auf Zurverfügungstellung einer vollständigen Entgeltaufstellung seit dem 1. Januar 2018 und auf Erteilung aktueller, vorangegangener und vorvertraglicher Entgeltinformationen an die Klägerin ab. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Kundin die Abtretungserklärung unterzeichnet hat. Die Klägerin beansprucht von der Beklagten Mitteilung vorvertraglicher Entgeltinformationen und Zurverfügungstellung einer Aufstellung über sämtliche Entgelte, die seit dem 1. Januar 2018 im Zusammenhang mit dem von der Kundin geschlossenen Zahlungsdiensterahmenvertrag angefallen sind.
Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß auf der ersten Stufe zur Auskunftserteilung verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Auskunftsansprüche der Kundin gemäß § 399 Fall 1 BGB nicht wirksam abgetreten werden könnten, weil sie unter Berücksichtigung ihres Sinns und Zwecks und der Natur des Rechtsverhältnisses, dem sie entstammten, gegenüber einem gewinnorientierten Inkassounternehmen nicht ohne Inhaltsänderung erfüllt werden könnten. Die Auskunftsansprüche dienten dem Verbraucherschutz sowie der Transparenz und Vergleichbarkeit von Konten für Verbraucher. Dieser Zweck könne nicht mehr erreicht werden, wenn die Ansprüche von einer Kapitalgesellschaft zum Zweck des Gewinnstrebens geltend gemacht würden. Die Klägerin verfolgt ihr Auskunftsverlangen weiter und begehrt mit der Revision die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil auf die Revision der Klägerin aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er hat entschieden, dass das Abtretungsverbot des § 399 Fall 1 BGB einer Abtretung der Auskunftsansprüche an das Inkassounternehmen nicht entgegensteht.
Die Ansprüche der Kundin gegen die Bank auf Erteilung vorvertraglicher Entgeltinformationen aus § 675d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 248 § 4 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB und aus § 5 ZKG waren allerdings mit Abschluss des Zahlungsdiensterahmenvertrags im Jahr 2012 durch Zeitablauf erloschen und konnten daher im Jahr 2021 nicht mehr an die Klägerin abgetreten werden. Als Gegenstand der streitigen Abtretung kommen jedoch Ansprüche der Kundin in Betracht, die dieser während der Vertragslaufzeit zustehen. Das sind Ansprüche auf Erteilung von Entgeltinformationen nach § 675d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 248 § 5 i.V.m. § 4 Nr. 3 Buchst. a) EGBGB, auf Zurverfügungstellung von Entgeltaufstellungen aus § 10 ZKG und auf Auskunftserteilung aus § 675c Abs. 1 i.V.m. § 666 BGB. Der Anspruch auf Zurverfügungstellung von Entgeltaufstellungen aus § 10 ZKG besteht in zeitlicher Hinsicht allerdings erst seit Inkrafttreten der Norm und damit seit dem 31. Oktober 2018.
Die Abtretung der genannten Auskunftsansprüche ist nicht gemäß § 399 Fall 1 BGB ausgeschlossen. Die Auskunftsansprüche der Kundin haben keinen höchstpersönlichen Gehalt, der einer Abtretung entgegenstünde. Die begehrten Auskünfte betreffen ausschließlich die von der Beklagten im Zusammenhang mit dem Zahlungsdiensterahmenvertrag und dem Zahlungskonto erhobenen Entgelte und lassen keinen Rückschluss auf die persönliche Lebensgestaltung oder auf die personenbezogenen Daten der Kundin zu. Es besteht auch kein besonderes schutzwürdiges Interesse der Beklagten, die entgeltbezogenen Informationen ausschließlich ihrer Kundin zu erteilen, wenn diese infolge einer Abtretung die Auskunftserteilung an einen Dritten wünscht. Durch die Abtretung verändert sich die von der Beklagten geschuldete Leistungshandlung nicht. Die Übertragung des Anspruchs aus § 10 ZKG scheitert auch nicht daran, dass der Anspruch nicht vom Verbraucher getrennt werden kann. Die Verbrauchereigenschaft ist lediglich Voraussetzung für die Entstehung dieses Anspruchs. Der weitere Bestand des einmal entstandenen Auskunftsanspruchs hängt nicht vom Fortbestand der Verbrauchereigenschaft ab. Auch der Zweck der Auskunftsansprüche spricht nicht für einen Abtretungsausschluss nach § 399 Fall 1 BGB. Die Unterrichtungspflichten nach § 675d Abs. 1 BGB und nach § 10 ZKG bezwecken nicht nur, dem Bankkunden einen Vergleich der Konditionen verschiedener Anbieter zu ermöglichen, sondern sollen dem Kunden auch eine Überprüfung ermöglichen, ob sich seine Bank vertragstreu verhält und ob ihm verneinendenfalls Ansprüche gegen sie zustehen.
Das Berufungsgericht wird sich nunmehr unter anderem mit der zwischen den Parteien im Streit stehenden Echtheit der Unterschrift der Kundin unter der Abtretungserklärung und gegebenenfalls mit dem Einwand der Beklagten zu befassen haben, diese habe während des streitgegenständlichen Zeitraums ihre Informationspflichten ordnungsgemäß erfüllt, indem sie der Kundin Kontoauszüge einschließlich vollständig aufgeführter Entgelte zur Verfügung gestellt habe.
Vorinstanzen:
Landgericht Bonn – Urteil vom 9. Mai 2023 – 5 S 75/22
Amtsgericht Bonn – Urteil vom 24. August 2022 – 103 C 191/21
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
- 399 BGB
Eine Forderung kann nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann oder wenn die Abtretung durch Vereinbarung mit dem Schuldner ausgeschlossen ist.
- 666 BGB
Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen.
- 675c
(1) Auf einen Geschäftsbesorgungsvertrag, der die Erbringung von Zahlungsdiensten zum Gegenstand hat, sind die §§ 663, 665 bis 670 und 672 bis 674 entsprechend anzuwenden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt ist.
[…]
- 675d BGB
(1) Zahlungsdienstleister haben Zahlungsdienstnutzer bei der Erbringung von Zahlungsdiensten über die in Artikel 248 §§ 1 bis 12, 13 Absatz 1, 3 bis 5 und §§ 14 bis 16 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bestimmten Umstände in der dort vorgesehenen Form zu unterrichten.
[…]
Art. 248 § 4 EGBGB
(1) Die folgenden vorvertraglichen Informationen und Vertragsbedingungen müssen rechtzeitig vor Abgabe der Vertragserklärung des Zahlungsdienstnutzers mitgeteilt werden:
[…]
- zu Entgelten, Zinsen und Wechselkursen
- a) alle Entgelte, die der Zahlungsdienstnutzer an den Zahlungsdienstleister zu entrichten hat, einschließlich derjenigen, die sich danach richten, wie und wie oft über die geforderten Informationen zu unterrichten ist, sowie gegebenenfalls eine Aufschlüsselung dieser Entgelte,
[…]
Art. 248 § 5 EGBGB
Während der Vertragslaufzeit kann der Zahlungsdienstnutzer jederzeit die Übermittlung der Vertragsbedingungen sowie der in § 4 genannten Informationen in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger verlangen.
- 5 ZKG
Der Zahlungsdienstleister hat dem Verbraucher rechtzeitig vor dessen Vertragserklärung zum Abschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags über die Führung eines Zahlungskontos Informationen über Entgelte für mit einem Zahlungskonto verbundene Dienste (Entgeltinformation) nach den §§ 6 bis 9 unentgeltlich mitzuteilen.
- 10 ZKG
Ein Zahlungsdienstleister hat einem Verbraucher bei einem Zahlungsdiensterahmenvertrag über die Führung eines Zahlungskontos eine Information über sämtliche Entgelte, die für mit dem Zahlungskonto verbundene Dienste angefallen sind, sowie gegebenenfalls über den Sollzinssatz bei Überziehungen und den Zinssatz für Einlagen für dieses Zahlungskonto (Entgeltaufstellung) unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Eine Entgeltaufstellung ist dem Verbraucher während des Vertragsverhältnisses mindestens jährlich sowie bei Beendigung des Vertragsverhältnisses zur Verfügung zu stellen.
Karlsruhe, den 30. September 2024
Interview zur BGH-Entscheidung: Abtretbarkeit von Auskunftsansprüchen über Bankentgelte
Interviewer: Frau Bontschev, vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, um über die kürzlich ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu sprechen. Der BGH hat entschieden, dass Auskunftsansprüche über Bankentgelte an Inkassounternehmen abgetreten werden können. Was bedeutet diese Entscheidung für die Praxis?
Rechtsanwältin Kerstin Bontschev: Gerne. Die Entscheidung des BGH ist in der Praxis sehr bedeutsam, insbesondere für Verbraucher und Inkassounternehmen. Sie bedeutet, dass Verbraucher nun ihre Ansprüche auf Auskunft über von der Bank erhobene Entgelte an Inkassounternehmen abtreten können. Dies ist besonders vorteilhaft für Verbraucher, die die Durchsetzung dieser Ansprüche nicht selbst übernehmen wollen oder können. Ein Inkassounternehmen kann nun also in ihrem Namen Auskünfte einholen und gegebenenfalls Rückzahlungsansprüche geltend machen.
Interviewer: Welche Art von Ansprüchen sind konkret betroffen?
Rechtsanwältin Bontschev: Betroffen sind vor allem Auskunftsansprüche über Entgelte, die von Banken im Rahmen von Zahlungsdiensterahmenverträgen erhoben werden. Das betrifft die Kosten für Kontoführung, Überweisungen oder andere Bankdienstleistungen, die der Kunde möglicherweise zu Unrecht gezahlt hat. Konkret geht es um Ansprüche nach § 675d BGB, dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) und dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZKG). Verbraucher haben das Recht, eine detaillierte Auflistung dieser Entgelte zu erhalten.
Interviewer: Der BGH hat entschieden, dass die Abtretung dieser Ansprüche zulässig ist. Warum war das überhaupt strittig?
Rechtsanwältin Bontschev: Das war strittig, weil das Landgericht Bonn in der Vorinstanz argumentierte, dass Auskunftsansprüche, die dem Verbraucherschutz dienen, nicht an gewinnorientierte Unternehmen wie Inkassounternehmen abgetreten werden könnten. Es hieß, dass der Verbraucherschutz unterlaufen würde, weil der ursprüngliche Zweck dieser Ansprüche – nämlich Transparenz für den Verbraucher zu schaffen – verfälscht werden könnte, wenn ein Unternehmen mit Gewinnabsicht die Auskunft einfordert.
Interviewer: Warum ist der BGH zu einer anderen Einschätzung gekommen?
Rechtsanwältin Bontschev: Der BGH hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass die Abtretung der Auskunftsansprüche keine Veränderung der Bankleistung selbst mit sich bringt. Der Anspruch auf Auskunft bleibt unverändert – egal, ob er vom Verbraucher selbst oder von einem Inkassounternehmen geltend gemacht wird. Zudem seien die Ansprüche nicht „höchstpersönlich“, also nicht untrennbar an den Verbraucher gebunden. Es gibt keinen Grund, warum ein Verbraucher diese Rechte nicht auf ein Inkassounternehmen übertragen können sollte, wenn er dies möchte.
Interviewer: Inwieweit beeinflusst diese Entscheidung die Arbeit von Inkassounternehmen?
Rechtsanwältin Bontschev: Für Inkassounternehmen ist das Urteil ein bedeutender Gewinn. Sie können jetzt nicht nur Geldforderungen, sondern auch Auskunftsansprüche übernehmen und verfolgen. Das erweitert ihr Dienstleistungsspektrum. Es erleichtert insbesondere die Durchsetzung von Rückzahlungsansprüchen, da die Inkassounternehmen zunächst die relevanten Informationen über die unrechtmäßig erhobenen Gebühren einfordern und dann auf dieser Grundlage handeln können. Für Verbraucher bedeutet das eine erhebliche Erleichterung, da sie sich um die oft mühsame und zeitaufwendige Kommunikation mit den Banken nicht selbst kümmern müssen.
Interviewer: Könnten Banken durch diese Entscheidung verstärkt mit solchen Auskunftsforderungen konfrontiert werden?
Rechtsanwältin Bontschev: Ja, das ist durchaus möglich. Inkassounternehmen könnten vermehrt aktiv werden, um im Namen der Verbraucher Informationen über zu viel gezahlte Entgelte einzufordern. Gerade in Fällen, in denen Banken in der Vergangenheit unwirksame Gebührenerhöhungen vorgenommen haben, können nun vermehrt Rückzahlungsansprüche geltend gemacht werden. Für Banken bedeutet dies einen erhöhten administrativen Aufwand, da sie sicherstellen müssen, dass sie korrekt und vollständig über die erhobenen Gebühren Auskunft geben.
Interviewer: Gibt es Aspekte der Entscheidung, die für Verbraucher besonders wichtig sind?
Rechtsanwältin Bontschev: Auf jeden Fall. Verbraucher sollten wissen, dass sie ihre Rechte auf Auskunft über Bankgebühren nicht persönlich wahrnehmen müssen. Sie können diese Ansprüche abtreten und somit einem spezialisierten Inkassounternehmen überlassen, ohne dabei Einbußen zu befürchten. Das Urteil stärkt also den Verbraucherschutz, indem es den Zugang zu diesen Informationen erleichtert und die Möglichkeit schafft, mögliche Rückforderungen effektiv durchzusetzen.
Interviewer: Der BGH hat das Verfahren an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Was bedeutet das für den weiteren Verlauf?
Rechtsanwältin Bontschev: Der Fall wird nun wieder vor dem Landgericht Bonn verhandelt. Es geht dabei um Fragen, die vom BGH noch offengelassen wurden, wie etwa die Echtheit der Unterschrift der Kundin unter der Abtretungserklärung. Zudem muss das Gericht prüfen, ob die Bank möglicherweise ihrer Informationspflicht durch die Bereitstellung von Kontoauszügen bereits nachgekommen ist. Die grundsätzliche Rechtsfrage der Abtretbarkeit ist aber durch den BGH geklärt.
Interviewer: Frau Bontschev, vielen Dank für Ihre Einschätzungen. Abschließend: Welche Auswirkungen könnte dieses Urteil langfristig auf den Finanzsektor haben?
Rechtsanwältin Bontschev: Langfristig könnte das Urteil dazu führen, dass Inkassounternehmen eine größere Rolle im Bereich des Verbraucherschutzes übernehmen, insbesondere wenn es um Bankgebühren geht. Für Banken bedeutet das, dass sie noch transparenter agieren und ihre Entgelte klar kommunizieren müssen. Zudem könnte die Anzahl der Forderungen, die Inkassounternehmen in Bezug auf Bankgebühren einholen, zunehmen. Für Verbraucher ist das Urteil positiv, da es ihnen hilft, ihre Rechte einfacher und effizienter durchzusetzen.
Interviewer: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bontschev!
Rechtsanwältin Bontschev: Sehr gerne!
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