Startseite Allgemeines Bundesgerichtshof entscheidet über die Haftung des Motorherstellers in einem Dieselverfahren nach dem Urteil des EuGH vom 21. März 2023 – C-100/21
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Bundesgerichtshof entscheidet über die Haftung des Motorherstellers in einem Dieselverfahren nach dem Urteil des EuGH vom 21. März 2023 – C-100/21

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Urteil vom 10. Juli 2023 – VIa ZR 1119/22

 

Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat heute entschieden, dass ein Motorhersteller, der nicht zugleich Fahrzeughersteller ist, Käufern der vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen nur dann haftet, wenn er entweder selbst im Sinne der §§ 826, 31 BGB sittenwidrig vorsätzlich gehandelt hat oder wenn er dem Fahrzeughersteller nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vorsätzlich Beihilfe zu dessen vorsätzlichem Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeugs mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung geleistet hat.

 

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

 

Der Kläger nimmt die beklagte Motorherstellerin, die nicht zugleich Fahrzeugherstellerin ist, wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

 

Der Kläger kaufte am 9. April 2019 von einem Händler ein gebrauchtes Kraftfahrzeug eines anderen Fahrzeugherstellers, das mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor der Baureihe EA 897 (Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug war bereits zuvor von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) angeordneten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Ein von der Beklagten zur Beseitigung der vom KBA beanstandeten Abschalteinrichtung erstelltes Software-Update hatte das KBA am 1. August 2018 freigegeben.

 

Die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage hat vor dem Landgericht weitgehend Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen, weil der Kläger weder nach §§ 826, 31 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadensersatz von der Beklagten verlangen könne. Das gelte auch, soweit der Kläger sein Begehren auf das Vorhandensein eines Thermofensters stütze. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.

 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

 

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Klägers zurückgewiesen, weil er aufgrund der bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen hatte, der Beklagten falle weder selbst eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers zur Last noch habe sie vorsätzlich Beihilfe dazu geleistet, dass der Fahrzeughersteller das Fahrzeug vorsätzlich mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung – hier: bezogen auf ein in das Fahrzeug verbautes Thermofenster – in den Verkehr gebracht habe.

 

Zwar steht, wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteilen von 26. Juni 2023 entschieden hat (vgl. Pressemitteilung Nr. 100/23 vom 26. Juni 2023), dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zu.

 

Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft indessen nur den Fahrzeughersteller, nicht den Motorhersteller. Der Bundesgerichtshof hat die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in dessen Urteil vom 21. März 2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111 Rn. 78 ff., 91) in seinen Urteilen vom 26. Juni 2023 auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der Richtlinie 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch das Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihn nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht trifft.

 

Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an einer deliktischen Schädigung des Fahrzeugherstellers, die ebenfalls geeignet gewesen wäre, ihre deliktische Haftung zu begründen, kam nach den nicht beachtlich angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in Betracht. Zwar kann Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat. Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht. Eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers hat das Berufungsgericht, ohne dass die Revision dem beachtlich entgegengetreten wäre, nicht festgestellt.

 

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

 

Bürgerliches Gesetzbuch:

 

  • 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

 

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

 

  • 823 Schadensersatzpflicht

 

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

 

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

 

  • 830 Mittäter und Beteiligte

 

(1) Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das Gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat.

 

(2) Anstifter und Gehilfen stehen Mittätern gleich.

 

EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung:

 

  • 6 Abs. 1 Satz 1

 

(1) Für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen.

 

  • 27 Abs. 1 Satz 1

 

(1) Neue Fahrzeuge, selbstständige technische Einheiten oder Bauteile, für die eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG, nach Anhang IV der Richtlinie 2002/24/EG oder nach Anhang III der Richtlinie 2003/37/EG vorgeschrieben ist, dürfen im Inland zur Verwendung im Straßenverkehr nur feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind.

 

Vorinstanzen:

 

Landgericht Osnabrück – Urteil vom 19. November 2021 – 5 O 764/21

 

Oberlandesgericht Oldenburg – Urteil vom 7. Juli 2022 – 8 U 250/21

 

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