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Bundesgerichtshof entscheidet weitere Verjährungsfragen im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Dieselskandal

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Urteil vom 29. Juli 2021 – VI ZR 1118/20

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im September 2013 einen gebrauchten VW Tiguan, der mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 (EU5) ausgestattet ist. Der beklagte Fahrzeughersteller erklärte im September 2015 in einer Ad-hoc-Mitteilung, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA189 auffällige Abweichungen zwischen den auf dem Prüfstand gemessenen Emissionswerten und denen im realen Fahrzeugbetrieb festgestellt worden seien. In der Folge trat die Beklagte wiederholt an die Öffentlichkeit; die Medien berichteten umfangreich über das Geschehen.

 

Mit seiner im Jahr 2019 eingereichten Klage verlangt der Kläger, nachdem er seine Ansprüche zuvor zum Klageregister der Musterfeststellungsklage an- und wieder abgemeldet hatte, Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Zahlung von Wertersatz maximal in Höhe des erzielten Erlöses für das zwischenzeitlich weiterveräußerte Fahrzeug. Die Beklagte hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

 

Bisheriger Prozessverlauf

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, weil die Ansprüche des Klägers verjährt seien. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Kläger sein Schadensersatzbegehren weiter.

 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

 

Der unter anderem für Ansprüche aus unerlaubter Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgegeben.

 

Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen lässt sich dem Kläger keine – den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist im Jahr 2015 auslösende – grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorwerfen. Das Berufungsgericht hat es versäumt festzustellen, ob der Kläger allgemein vom sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hatte. Eine solche Feststellung mag angesichts der umfangreichen Berichterstattung zwar naheliegen, ist aber Sache des Tatrichters.

 

Der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung steht darüber hinaus eine Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung des entsprechenden klägerischen Anspruchs zum Klageregister der Musterfeststellungsklage entgegen. Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB tritt im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst im Jahr 2019 und damit nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt sein sollte.

 

Dem Kläger ist es auch nicht allein deshalb nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf diesen Hemmungstatbestand zu berufen, weil er seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister angemeldet hatte.

 

Vorinstanzen:

 

Landgericht Dessau-Roßlau – Urteil vom 27. März 2020 – 4 O 367/19

 

Oberlandesgericht Naumburg – Urteil vom 25. Juni 2020 – 8 U 34/20

 

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

 

  • 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

 

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.

 

  • 199 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

 

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

 

  1. der Anspruch entstanden ist und

 

  1. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. […]

 

  • 204 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

 

(1) Die Verjährung wird gehemmt durch […]

 

1a. die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage, […]

 

(2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Die Hemmung nach Absatz 1 Nummer 1a endet auch sechs Monate nach der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister. […]

 

  • 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

 

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

 

  • 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

 

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

 

  • 606 der Zivilprozessordnung (ZPO)

 

(1) Mit der Musterfeststellungsklage können qualifizierte Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungszielen) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmen begehren. […]

 

  • 608 der Zivilprozessordnung (ZPO)

 

(1) Bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins können Verbraucher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen abhängen, zur Eintragung in das Klageregister anmelden. […]

 

(3) Die Anmeldung kann bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zurückgenommen werden. […]

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