Kapitalanlageentscheidungen des Anlegers haben mindestens drei Parteien: den Anleger, den Vertriebler (der Provision erhält) und die Kapitalanlagegesellschaft (Verkäufer). Interessant sind nur die Fälle, bei denen die Kapitalanlage irgendwie scheitert. Dann will der Anleger Schadenersatz. So war es in dem hier entschiedenen Fall, bei dem eine Investition in einen Schiffsfonds schief ging.
Prospekte und Formulare, von der Wiege bis zur Bahre.
Kapitalanlageentscheidungen des Anlegers sollen Ausdruck eines rationalen Abwägungsprozesses sein. Bekanntlich ist in der Regel das Gegenteil der Fall. Grundlage einer Anlageentscheidung sollen zum Beispiel Prospekte sein. Diese sind gesetzlich vorgeschrieben und werden halbherzig von dem Staat überwacht. „Prospekte sind bunte Papiere“, die von Anlegern in der Regel weder vom Kapitalanlagevermittler noch vom Anleger gelesen werden. In der Praxis beschäftigen sich immer wieder Gerichte mit der so genannten Prospekthaftung. Mit anderen Worten: ist der Prospekt fehlerhaft, muss irgendjemand dem Anleger Schadenersatz zahlen. Und dies von der Wiege bis zur Bahre. Schadenersatz muss entweder die Gesellschaft, die Prospektverantwortlichen (also Hintermänner) oder die Prospektübergeber (also der Vertrieb) bezahlen.
Vermittler muss alles erklären
Der Vermittler muss zur Vermeidung einer Haftung alles erklären und Warnhinweise erteilen. Er kann sich dabei eines Prospektes bedienen. Beispiel: „Liebe Atlantiküberquerer! Das stolze Schiff Titanic ist nicht unsinkbar; vielmehr besteht die ernsthafte Gefahr während der Überfahrt mit einem Eisberg zu kollidieren und dann unterzugehen. Der Tod aller könnte die Folge sein. Im Übrigen gibt es nicht genügend Rettungsboote! Damit ist die Kapitalanlage in das Schiff oder die Reederei extrem risikoreich!“
Zur Vermeidung einer Haftung des Vermittlers muss also der Prospekt übergeben werden.
Prospekt der Geldanlage muss rechtzeitig übergeben werden
Für die Stärkung im Anlegerschutz hat die Rechtsprechung immer weiter für die Anleger entschieden. Jetzt galt plötzlich, dass ein Prospekt einige Tage vor der Anlageentscheidung vorgelegt werden muss.
Der Bundesgerichtshof hatte im Urteil vom 14.05.2013 – XI ZR 431/10 – gemeint, dass obgleich die hinreichende Aufklärung über das Risiko einer Anlageform (z. B. Risiko des Totalverlustes wegen fehlender Absicherung) auch mittels des Prospekts der Geldanlage (z. B. einen „fact sheet“) erfolgen kann, so setzt dies aber voraus, dass der Prospekt dem Anleger so rechtzeitig vor der Anlageentscheidung übergeben wird, dass der Anleger sich mit dem Prospektinhalt vertraut machen kann, die Übergabe erst beim Verkaufsgespräch genügt nicht. Damit war einem Schadenersatz gegen den Vertrieb und einer Rückabwicklung von Kapitalanlagen Tür und Tor geöffnet. Der Anleger galt als falsch beraten, weil er früher den Zeichnungsschein zeitgleich mit der Übergabe des Prospektes unterschrieben hatte. Der Vertriebler sagte: „Hier eben unterschreiben und die bunten Prospekte können sie ja gelegentlich lesen!“ Fast alle Kapitalanlageentscheidungen waren damit angreifbar.
Der Bundesgerichtshof und der liebe Gott hassen den Vertrieb
Der Bundesgerichtshof verlangte jetzt in der Rechtsprechung: erst zum Interessenten laufen und den Prospekt übergeben und dann in einem weiteren Termin einige Tage später die Kapitalanlage zeichnen lassen. Jetzt geht der Bundesgericht in dem Urteil III ZR 109/17 vom Januar 2019 einen Schritt weiter und verlangt
- Übergabe des Prospektes vor dem Zeichnungstermin
- Formale Anforderung an die Quittung.
Diese formale Anforderung an die Quittung erfüllt kaum ein Vertrieb. Ab jetzt gilt auch für die Vergangenheit, dass die Quittung der Prospektübergabe gesondert erfolgen muss und nicht auf dem Zeichnungsschein. Dies war bisher so der Fall. Damit ergibt sich ein neues und massives Haftungsrisiko:
Der Bundesgerichtshof schreibt:
- Eine vorformulierte Bestätigung des Anlegers, die Risikohinweise in einem Emissionsprospekt zur Kenntnis genommen zu haben, ist gemäß § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchstabe b BGB unwirksam. Hierin liegt eine die Beweislast zu seinem Nachteil ändernde Bestimmung. Es genügt, wenn die Beweisposition des Anlegers verschlechtert wird; eine Umkehr der Beweislast ist nicht erforderlich.
- Ein Empfangsbekenntnis im Sinne von § 309 Nr. 12 Halbsatz 2 BGB muss getrennt vom sonstigen Vertragstext erteilt werden und darf keine weiteren Erklärungen enthalten.
- Die Frage, ob der Anleger genügend Zeit hatte, um einen ihm zur Information unter anderem über die Risiken des Investments zur Verfügung gestellten Prospekt zur Kenntnis zu nehmen, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Eine Regelfrist gibt es nicht.
BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 – III ZR 109/17 – OLG Celle
Die Vorinstanz bei dem Landgericht Hannover hatte den Fall ursprünglich verhandelt und dann über das Oberlandesgericht Celle dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Auch in diesem Fall ging es gegen den Berater wegen fehlerhafter Anlageberatung.
Erläuterungen des Bundesgerichtshof – Vermittler muss beraten
Der Anlageberater schuldet eine anleger- und objektgerechte Beratung, wonach er unter Berücksichtigung des Wissenstands des Kunden und seiner persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse eine seinem Anlageziel und seiner Risikobereitschaft entsprechende Empfehlung auszusprechen und ihn in Bezug auf das Anlageobjekt rechtzeitig, richtig, sorgfältig sowie verständlich und vollständig zu beraten hat. Dabei muss er den Interessenten über die Eigenschaften und Risiken unterrichten, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können.
Erläuterungen des Bundesgerichtshof – Vermittler darf Prospekt benutzen
Eine ordnungsgemäße Anlageberatung kann dabei nicht nur mündlich, sondern auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann. Die persönliche Aufklärungspflicht des Beraters entfällt, wenn die entsprechende Belehrung in einem Prospekt enthalten ist und der Berater davon ausgehen darf, dass der Kunde diesen gelesen und verstanden hat und gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellt.
Erläuterungen des Bundesgerichtshof – Vermittler darf Prospekt benutzen und rechtzeitig übergeben!
Der Anleger muss sich mit dem Prospektinhalt vertraut machen können, weswegen er ausreichend Zeit für eine sinnvolle Auseinandersetzung damit haben muss. Sodann liegt es im Verantwortungsbereich des Anlegers zu entscheiden, ob er den Prospekt innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden ausreichenden Zeit zur Kenntnis nehmen will oder nicht. Nimmt er die Informationen nicht zur Kenntnis, geht dies zu seinen Lasten.
Erläuterungen des Bundesgerichtshof – Vermittler darf Prospekt benutzen und rechtzeitig übergeben und Formalien beachten!
Die aktuelle Entscheidung führt dann weiter aus: Die Quittung über die Übergabe des Prospektes darf nicht einfach im Text versteckt sein, sondern muss eindeutig und klar und gesondert unterschrieben werden. Da in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall diese Formalie nicht eingehalten war, gibt es Schadenersatz.
Der liebe Gott und der Bundesgerichtshof haben den Vertrieb nicht lieb?
Nichts ist schwieriger als keine Regeln oder nachträgliche Regel Änderungen. Beispiel: Bisher gilt rechts- vor links im Straßenverkehr. Auf einmal entscheidet die Rechtsprechung, dass diese Regel nicht an Sonntagen gilt. Problematisch ist auch, dass bisher nicht endgültig entschieden ist, wie lange denn ein Anleger überlegen soll, kann oder muss. Außerdem ist unklar, was in einem Prospekt stehen muss. Lassen der Gesetzgeber und die Rechtsprechung lassen alle im Regen stehen? Auch den Anleger, weil die staatliche Aufsicht über Kapitalanlagen unzureichend ist? Nunmehr argumentiert der Bundesgerichtshof überraschender weise mit dem Recht des Kleingedruckten im Bürgerlichen Gesetzbuch.
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