Kunden von Lebensversicherungsunternehmen haben unter bestimmten Voraussetzungen ein „ewiges“ Widerspruchsrecht. Seitdem der Bundesgerichtshof (BGH) dies vor rund zwei Jahren entschieden hat (Az. IV ZR 76/11), beschäftigen die Folgen Verbraucher wie Unternehmen gleichermaßen.
Auf einen BlickPolicenmodell
Von 1994 bis Ende 2007 galt im deutschen Versicherungsvertragsrecht die Vorschrift des § 5a Versicherungsvertragsgesetz alter Fassung (VVG a.F.), die Vertragsschlüsse nach dem Policenmodell regelte. Hiernach konnte ein Vertrag auch dann als abgeschlossen gelten, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer den Versicherungsschein, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) oder eine Verbraucherinformation nicht bei der Antragstellung übergab, sondern erst später übersandte. Der Versicherungsnehmer hatte ein Widerspruchsrecht von 14 Tagen; bei Lebensversicherungen betrug die Widerspruchsfrist 30 Tage. Sie begann jedoch erst, wenn dem Versicherungsnehmer die Vertragsunterlagen vollständig vorlagen und er bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich und „in drucktechnisch deutlicher Form“ über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden war. Abweichend davon erlosch das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie.
Widerspruchsbelehrung ordnungsgemäß?
Eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung in den betreffenden Verträgen muss den Versicherungsnehmer laut § 5a Versicherungsvertragsgesetz alter Fassung (VVG a.F.) in drucktechnisch deutlicher Form über sein Widerspruchsrecht belehren. Sie muss ihn außerdem unter anderem darauf hinweisen, wann die 30-tägige Widerspruchsfrist beginnt, nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen beim Versicherungsnehmer eingehen. Bei Verträgen, die ab dem 1. August 2001 geschlossen wurden, muss die Belehrung zudem den Hinweis enthalten, dass der Widerspruch in Textform erfolgen muss; er ist also nicht nur per Brief möglich, sondern beispielsweise auch per E-Mail.
Die Rechtsprechung hat die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung weiter konkretisiert. In formeller Hinsicht muss etwa der Adressat des Widerspruchs – der Versicherer – darin nicht genannt werden, da er laut BGH für den Kunden ohne Weiteres erkennbar ist (Az. IV ZR 496/14). Als drucktechnisch deutliche Hervorhebung kann dem BGH zufolge sowohl eine Umrandung als auch Fettdruck angesehen werden, wenn der übrige Text nicht ebenfalls fettgedruckt ist (Az. IV ZR 41/13 und IV ZR 35/14).
Inhaltlich muss der Begriff der „Textform“ in der Belehrung nicht erläutert werden (unter anderem BGH Az. IV ZR 29/13). Der Versicherungsnehmer könne diesem Begriff entnehmen, dass der Widerspruch in lesbarer Form übermittelt werden und der Urheber erkennbar sein müsse, so die Begründung des BGH.
Viele Verbraucher, die ihre Widerspruchsbelehrung als nicht ordnungsgemäß empfinden, wenden sich mit einer Beschwerde an die BaFin. So hatte in einem Fall der Versicherer angegeben, die Widerspruchsfrist beginne zu dem Zeitpunkt, an dem der Versicherungsschein beim Versicherungsnehmer eingehe. Dies ist jedoch unzureichend: In der Folge wurde entsprechend § 5a Absatz 1 und 2 VVG a.F. gerichtlich bestätigt, dass aus der Belehrung hervorgehen muss, dass die Frist erst beginnt, wenn der Versicherungsnehmer auch die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen erhalten hat.
Höhe des Rückzahlungsanspruchs
Als Rechtsfolge eines wirksamen Widerspruchs hatte der BGH 2014 geurteilt, dass der Versicherungsnehmer dem Grunde nach die Rückzahlung der Prämien verlangen kann, die er an den Versicherer gezahlt hat. Hiervon sei der Versicherungsschutz abzuziehen, den der Kunde während des Vertrages genossen hat – dies könne etwa der Risikoanteil der Prämie sein. In mehreren Folgeentscheidungen erkannte der BGH weitere Posten als abzugsfähig an (Az. IV ZR 384/14, IV ZR 448/14 und IV ZR 513/14):
- die Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag, die der Versicherer im Falle einer vorzeitigen Kündigung bei Auszahlung des Rückkaufswerts für den Versicherungsnehmer an das Finanzamt abgeführt hat
- den Rückkaufswert, den der Versicherer im Falle einer Kündigung an den Versicherungsnehmer ausgezahlt hat
- bei fondsgebundenen Lebensversicherungen die Verluste der Fonds, in denen die Sparanteile der Beiträge angelegt worden sind.
Nutzungszinsen sind grundsätzlich ebenfalls herauszugeben, also Zinsen, die der Versicherer mit den Beiträgen des Versicherungsnehmers verdient hat. Dieser muss jedoch mit Bezug zur Ertragslage des Versicherers beweisen, dass das Unternehmen tatsächlich Nutzungszinsen erzielt hat. Eine pauschale Behauptung, etwa von „5 Prozent über dem Basiszinssatz“, reicht nicht aus.
Abschluss- und Verwaltungskosten sowie Ratenzahlungszuschläge muss der Versicherer dem Kunden bei einem erfolgreichen Widerspruch hingegen immer voll zurückzahlen.
Auch zu diesem Thema gehen bei der BaFin Beschwerden ein, etwa weil ehemalige Versicherungsnehmer monieren, dass sie nach einem Widerspruch nicht auch die Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag erhalten, die ihr Versicherer nach der Kündigung abgeführt hat. Hier sind die Versicherer allerdings im Recht, da die Versicherungsnehmer durch die Abführung an das Finanzamt bereits von ihrer Steuerschuld befreit wurden und einen Vermögensvorteil genossen haben. Darauf weist die BaFin die Beschwerdeführer in solchen Fällen hin.
Verwirkung
Viele Verbraucher beschweren sich auch bei der BaFin, weil ihr Lebensversicherer sich auf Verwirkung berufen hat. Der Versicherungsnehmer habe über viele Jahre hinweg Beiträge gezahlt und damit konkludent zum Ausdruck gebracht, am Vertrag festhalten zu wollen, so die Argumentation. Wenn er jetzt dem Vertrag widerspreche, handele er rechtsmissbräuchlich entgegen seines früheren Verhaltens („venire contra factum proprium“).
Zwar äußerte der BGH 2014 in einem Urteil, dass sich ein ordnungsgemäß belehrter Versicherungsnehmer nach jahrelanger Prämienzahlung grundsätzlich nicht mehr per Widerspruch auf die Unwirksamkeit des Vertrags berufen kann (Az. IV ZR 73/13). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Kunde nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist: Dann habe der Versicherer die Situation selbst herbeigeführt und könne sich grundsätzlich nicht auf Verwirkung berufen, so der BGH in seiner oben genannten Ausgangsentscheidung.
In der Folge haben einige Gerichte Ausnahmen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zugelassen: So hatte ein Versicherungsnehmer seinen Lebensversicherungsvertrag zweimal als Sicherungsmittel für Darlehen an eine Bank abgetreten, das erste Mal bereits zwei Monate nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags (BGH Az. IV ZR 130/15). In einem anderen Fall war ein bereits gekündigter Vertrag auf Bitte des Kunden im Jahr 2000 wieder in Kraft gesetzt worden, bevor dieser im Jahr 2009 dem Vertrag widersprach. Dies ist laut BGH ein „grob widersprüchliches Verhalten“ (Az. IV ZR 117/15). Auch ein Versicherungsvertreter, der das Widerspruchsrecht bei Vertragsschluss 1998 kannte, handelte nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart rechtsmissbräuchlich, als er 2008 aufgrund einer nicht drucktechnisch hervorgehobenen Belehrung widersprach (Az. 7 U 147/10).
Gegenüber einem Verbraucher, der sich bei der BaFin beschwerte, hatte ein Versicherer die Verwirkung hingegen auch damit begründet, dass der Vertrag aufgrund der Kündigung 2008 für den Kunden seit mehreren Jahren „erledigt“ sei. Dem steht jedoch die Ausgangsentscheidung des BGH entgegen: Das Widerspruchsrecht besteht auch dann, wenn der Vertrag bereits gekündigt wurde oder abgelaufen ist.
Verjährung
Auch, wenn ein Versicherungsnehmer seinem Vertrag wirksam widersprochen hat, kann der Rückzahlungsanspruch gegebenenfalls verjährt sein. Anfangs kam es hier häufig zu Streitigkeiten darüber, wann die Verjährungsfrist begann. So hatte in einem Beschwerdefall ein Versicherungsnehmer seinem 1995 begonnenen und 2009 gekündigten Vertrag im Jahr 2014 widersprochen. Laut Versicherer hatte die Regel-Verjährungsfrist von drei Jahren zum Ende des Kündigungsjahres 2009 begonnen und war Ende 2012 abgelaufen. Andere Lebensversicherer wiederum waren in ähnlichen Fällen der Ansicht, dass die Verjährung schrittweise mit jeder einzelnen Prämienzahlung begonnen habe.
Im April 2015 sorgte der BGH auch hier für Klarheit (Az. IV ZR 103/15): Nach seiner Auffassung beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Ende des Jahres, in dem der Widerspruch erklärt wurde. Denn erst mit Ausübung des Widerspruchs sei der Rückzahlungsanspruch entstanden. Im ersten dargelegten Fall endet die Verjährungsfrist demnach erst Ende 2017.
HinweisVerfassungsbeschwerden
Gegen die Ausgangs- und Folgeentscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mai 2014 (Az. IV ZR 76/11) und vom Juli 2015 (Az. IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14) legten die unterlegenen Lebensversicherer Verfassungsbeschwerden ein. Einige Unternehmen stellten daraufhin Widersprüche von Versicherungsnehmern mit der Begründung zurück, dass es aufgrund der Verfassungsbeschwerden unklar sei, ob die BGH-Urteile Bestand haben würden. Aus diesem Grund setzten auch mehrere Zivilgerichte Verfahren gegen die Unternehmen bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus.
Aufsichtsrechtlich war es nicht zu beanstanden, diese Entscheidungen abzuwarten, um Zahlungen zu Lasten des Versichertenkollektivs zu vermeiden.
Im Mai 2016 beschloss das BVerfG, zwei der Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung anzunehmen (Az. 1 BvR 2230/15 und Az. 1 BvR 2231/15). Somit können die Lebensversicherungsunternehmen Ansprüche nicht mehr mit dieser Begründung zurückstellen. Die BaFin achtet darauf, dass die Unternehmen dies berücksichtigen.
Quelle.BaFin
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