Dieses schöne Wort „antizyklisch“ verweist, wie man leicht bemerken kann, auf die Existenz von quasi regelmäßigen Zyklen, die an den Weltbörsen das ständige Auf- und Abwärts der Börsennotierungen dirigieren. Eine einfache und zugleich erfolgreiche Philosophie des Spekulanten geht daher so: „Kaufe bei schlechten Nachrichten, und verkaufe in euphorischer Stimmungslage.“ Dieser Spruch lässt schon etwas erahnen, was es mit dem Wort „antizyklisch“ auf sich hat. An der Börse ist stets derjenige erfolgreich, der dem „Mainstream“ widerstehen kann, ganz anders, als im richtigen Leben.
Irgendwie logisch ist das ja schon. Nehmen wir ganz aktuell die VW-Aktie. Bestimmte Kräfte haben es gezielt erreicht, dass diese eigentlich sehr gute Aktie nun mithilfe irrationaler Ängste niedergeknüppelt wird, und alle machen gleichzeitig mit: die Journalisten, die Behörden, Anwälte und Richter, die „Experten“ in den Fernsehdiskussionen.
Der Vorwurf: VW hat etwas gemacht, das alle seit vielen Jahren machen, weil übertriebene Vorgaben durch die EU-Technokraten heute physikalisch unerfüllbar sind. Anwälte wittern nun grenzenlose Verdienstmöglichkeiten und schaukeln die Sache auf, bis sich alle den Realitäten stellen müssen. Wir haben es hier also mit einem Paradebeispiel dafür zu tun, wenn erfahrene Spekulanten am Boden liegende Aktien eines erfolgreichen Unternehmens gierig einsammeln, bevor auch die vielen anderen merken, dass das Land Niedersachsen über eine Zerschlagung des VW-Konzerns so gar nicht amüsiert wäre.
Ein anderes Beispiel ist die Aktie der Kali- und Salz AG (K+S). Monatelang wehrte das Gezerre um eine Übernahme von K+S durch das kanadische Potash-Unternehmen. Übernahmekandidaten sind seit alters her an der Börse sehr beliebt, sodass sich ihre Kurse sozusagen voll automatisiert schnell in den Börsenhimmel bewegen. Der erfahrene Börsianer verkauft in dieser Situation solche Aktien, denn er weiß, was passiert, wenn die Übernahmehoffnung platzt. Am 5. Oktober 2015 büßte die K+S Aktie auf einen Schlag ein Viertel ihres bisherigen Wertes ein. Nun könnte der Antizykliker denken, na dann kaufen wir doch bei so schlechten Nachrichten. Und in der Tat, das ist eine Überlegung wert.
Was ist (jetzt) an Erdölaktien antizyklisch?
Die Analysten gehen offenbar davon aus, dass Erdölunternehmen bei hohem Rohölpreis mehr verdienen, als bei niedrigen Öl- und Gaspreisen. Im Groben stimmt das sogar manchmal, aber die Zusammenhänge sind komplizierter. Werfen wir also zunächst einen Blick auf den Rohölpreis, nehmen wir nur mal die letzten 6 Jahre. Ausgehend von ca. 75 $ pro Barrel im Jahre 2010 stieg der Preis bis März 2011 rasant auf gut 125 $ an, das sind ungefähr 66 % Preissteigerung in 8 Monaten. Unter gewissen Schwankungen hielt sich dann eine Art Preisplateau auf dem hohen Niveau um 110 $ bis zum Sommer 2014, also fast 3,5 Jahre lang. Innerhalb von nur 6 Monaten erfolgte dann ein Preissturz auf unter 50 $. Bis Mai 2015 erfolgte dann eine moderate Gegenreaktion bis ungefähr 67 $, um dann nochmals weiter zu fallen, heute, Anfang Oktober 2015, befinden wir uns wieder bei ca. 50 $ pro Barrel. Über die möglichen Gründe der Ölverbilligung wollen wir später ein paar Worte verlieren, im Moment ist zunächst der direkte Vergleich mit einem Chart eines Ölunternehmens interessant.
Wir betrachten zunächst das Beispiel Exxon Mobil Corp. Registered Shares o.N. (WKN: 852549) für den gleichen Zeitraum. Um es gleich vorauszuschicken: Dieser Chart bildet nicht 1:1 den Verlauf des Rohölpreises ab, aber der Korrelationskoeffizient ist aus der Sicht des Statistikers signifikant hoch. Wir erkennen hier wieder einen rasanten Anstieg vom Sommer 2010 bis Februar 2011 von ca. 45 bis 64 Euro (ca. 42 %), danach hat sich aber kein Plateau wie beim Ölpreis ausgebildet, sondern Exxon hat in der ganzen Zeit des hohen Ölpreises sehr gut verdient mit der Folge, dass die Aktie sich gut 4 Jahre lang unter gewissen Schwankungen stetig weiter nach oben entwickelte und im Mai 2015 fast 83 Euro erreichte. Dann erfolgte auch hier parallel zum Rohöl eine deutliche Korrektur bis auf ca. 61 Euro, die sich momentan mit über 68 Euro schon ein Stück weit relativiert hat. Besonders interessant ist hier, dass jene Eckpunkte, wo im Chart eine signifikante Trendwende eintritt, bei der Exxon-Aktie um Wochen früher eintreten, als beim Rohölpreis.
Der Aktienchart von BP PLC Registered Shares DL -,25 (WKN:850517) verhält sich übrigens recht ähnlich wie jener von Exxon, wobei wir bei BP zurzeit ein deutlich größeres Aufholpotenzial sehen.
Als drittes Beispiel soll aber auch noch Gazprom PAO Nam.Akt.(Sp.ADRs)/2 RL 5 (WKN: 903276) andiskutiert werden, weil ihr Chart aus weltpolitischen Gründen etwas aus der Reihe tanzt. Auch hier wieder der Anstieg vom Herbst 2010 bis April 2011 von ca.7,50 auf 12 Euro (ca. 60 %). Aber dann fällt die Aktie unter Schwankungen quasi bis heute entlang einer gut 4,5 Jahre währenden Geraden ab, um heute bei einem Kurs um 3,70 Euro zu landen. Damit ist die Aktie bereits unter ihren Höchststand des Jahres 2002 abgerutscht. Abgesehen von dem festen politischen Willen der Westmächte, Russland zu schaden, sehen wir hier charttechnisch einen Turnaround. Die Chance, dass Gazprom in relativ kurzer Zeit wieder die 5-Euro-Widerstandsmarke berühren wird, ist in der Tat groß, das wäre eine Steigerung von 35 %. Zu ihren besten Zeiten zwischen 2006 und 2008 hatte Gazprom immerhin die 20-Euro-Grenze überschritten.
Wie geht es weiter?
Vor dem Hintergrund eines evidenten Zusammenhangs zwischen dem Rohölpreis und der Börsennotierung von Aktien von Erdölunternehmen ist ein Ausblick auf die weitere Entwicklung des Ölpreises außerordentlich interessant. Um hier sinnvolle Überlegungen anstellen zu können, sollen zunächst die aktuellen Gründe für den Ölpreisrückgang beleuchtet werden.
- Fracking
Die USA haben inzwischen in großem Stil die Fähigkeit erlangt, sozusagen auch noch „den letzten Tropfen Öl“ bereits aus den Muttergesteinen, oftmals ein Tonschiefer, herauszupressen. Das war und ist den USA vor dem historischen Hintergrund der Ölkrise in den 1970er Jahren sehr wichtig, denn dadurch ist das Land völlig unabhängig geworden von Importen aus den bekannten Ölregionen. Mehr noch, die USA können heute so viel Rohöl produzieren, dass sie sogar weltweit zum größten Ölexporteur aufgestiegen sind. Das kann man als eine wirtschaftliche Revolution bezeichnen. Natürlich bedeutet ein größeres Angebot auf dem Weltmarkt einen Preisrückgang. Aber die USA sind von einem ewig guten Funktionieren der OPEC-Kartellabsprachen ausgegangen. Damit ist es im Prinzip möglich, die Preisstellschrauben so fein zu justieren, dass im Ergebnis immer ein Preisniveau eingestellt werden kann, damit sich die kostenintensiven und aufwendigen Fracking-Technologien noch lohnen. Diese Preisgrenze würde heute bei knapp unter 60 $ pro Barrel liegen. - Die Arabischen Emirate
Jahrzehnte lang sind diese Länder recht gut gefahren mit regulierenden Preisabsprachen, die die Emirate zu wichtigen Global Player gemacht haben. Die neue dominierende Position der USA im Ölgeschäft kommt dort aber nicht so gut an. Es wurde dort erkannt, dass ein Fluten der Welt mit billigem Öl, den Preis unter die US-Schmerzgrenze drücken würde, und dann ist das ganze Fracking „für die Katz“. So gesehen ist damit zu rechnen, dass es in diesen Regionen zurzeit starke Interessen gibt, die den Ölpreis lieber bei unter 50 $ sehen wollen. - Einfluss des Irans
Mit den Lockerungen der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran haben sich die USA offenbar einen Bärendienst erwiesen. Die Machthaber im Iran wissen, dass diese gerade neu gewonnenen wirtschaftlichen Möglichkeiten vielleicht nicht von langer Dauer sind, zu tief sitzt das (berechtigte) Misstrauen gegen die USA. Aus diesem Grunde wird jetzt im Iran gefördert und verkauft, was das Zeug hält. Auch das ist ein Beitrag für sinkende Ölpreise. Man kann sich gut vorstellen, dass dies den Amerikanern ein Dorn im Auge ist, dass hinter den Kulissen längst intensiv daran gearbeitet wird, den Iran wieder zu beschuldigen, irgendeine Auflage nicht in ausreichendem Maße umgesetzt zu haben, um die Sanktionenschraube wieder zudrehen zu können. Vor diesem Hintergrund rechnen wir in absehbarer Zeit wieder mit erheblichen Konflikten mit dem Iran. - Russland
Der russische Präsident Wladimir Putin ist im Moment gar nicht amüsiert darüber, wie die westliche Welt mit Russland umspringt. Und das noch vor dem Hintergrund einer globalen Bedrohung durch den IS, die eigentlich zu einem effektiven Bündnis des Abendlandes führen müsste. In diesen Tagen wird Putin also mitnichten etwas tun wollen, das den Amerikanern mit Blick auf den Ölpreis entgegen kommen würde. Falls es aber doch noch möglich wird (was wir nicht glauben), dass es beispielsweise mit Blick auf die Einbeziehung Assads in die strategischen Gespräche zum Syrienkonflikt zu einer Einigung zwischen den USA und Russland kommt, könnte sich dies auch insgesamt nachhaltig positiv auf die Beziehungen beider Länder auswirken. In diesem Fall wird Putin auch sein eigenes Interesse an einem höheren Ölpreis wieder neu überdenken.
Unser Ausblick
Im Moment regeln sich auf dem Ölmarkt neue Kräftegleichgewichte ein. Und das kann noch eine ganze Weile fortdauern. Für den Ölpreis bedeutet dies in der nächsten Zeit einen Seitwärtskanal. Am Ende werden sich dann aber doch wieder jene Kräfte durchsetzen, die mit Öl viel Geld verdienen wollen, und mit dem zu erwartenden nachhaltigen Turnaround des Ölpreises werden auch die Erdölaktien einer neuen Bewertung unterzogen. Ohnehin bieten diese Aktien zurzeit eine attraktive Dividendenrendite. Wer die finanzielle Möglichkeit dazu hat, ist mit vorsichtigen ersten Käufen schon jetzt gut beraten.
Wegen der Unsicherheit darüber, wann endlich die Fed mit der schon so lange in Aussicht gestellten Zinswende beginnt, ist es dieses Jahr nicht so klar wie sonst, dass es wieder eine Jahresendrallye an den Aktienmärkten geben wird. Wer aber doch eher an deren regelmäßiges Eintreten glaubt, wird sich jetzt in diesen Tagen ohnehin um Aktieninvestments bemühen, warum dann also nicht auch ein antizyklisches Investment in Erdölaktien?
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