Die pflegerische Versorgung in Deutschland findet überwiegend zu Hause statt. Doch die Situation spitzt sich seit Monaten zu: Durch Inflation und Corona-Pandemie geraten die Versorgungsstrukturen zunehmend unter Druck. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert deshalb schnelle, wirksame Verbesserungen für pflegebedürftige Verbraucher:innen und ihre Angehörigen.
„Die Lage in der häuslichen Pflege nimmt zunehmend kritische Ausmaße an. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen auch in der Krise eine bedarfsgerechte Versorgung finden“, sagt Ramona Pop, Vorständin des vzbv.
Neben Versorgungsengpässen und Ausfällen durch die Corona-Pandemie belasten pflegebedingte Zuzahlungen zur Versorgung die Verbraucher:innen zunehmend. Den Beratungsstellen der Verbraucherzentralen berichten Betroffene, dass sie notwendige Leistungen nicht mehr finanzieren können und eine Unterversorgung bewusst in Kauf nehmen. So müssen sie etwa Besuche des Pflegedienstes oder deren pflegerische Leistungen reduzieren. Andere berichten, dass ihnen der Pflegedienst aufgrund von Personalmangel kündigt oder sie Schwierigkeiten haben, überhaupt einen Dienst zu finden. Das ist speziell bei Betroffenen mit niedrigen Pflegegraden ein Problem, da sie oft „zu wenig“ Leistungen in Anspruch nehmen, um für den Dienst rentabel zu sein.
„Wir erleben in der öffentlichen Debatte oft eine Verkürzung auf unmittelbare Finanzierungsfragen. Etwa, wenn es um die Eigenanteile stationär Gepflegter geht. Es gibt aber eine Reihe von Problemen, die sich auf die Versorgung in der häuslichen Pflege auswirken. Das wurde bei den bisherigen Entlastungspaketen zur Energiekrise vernachlässigt. Der Lebensrealität der zu Hause Gepflegten und ihren Angehörigen wird das nicht gerecht“, so Pop.
Die Bundesregierung hat bisher noch keine der im Koalitionsvertrag angekündigten Reformen in der ambulanten Pflege umgesetzt. Neben grundsätzlichen Finanzierungs- und Leistungsreformen fordert der vzbv drei Sofortmaßnahmen, um pflegebedürftige Verbraucher:innen kurzfristig und wirksam zu entlasten:
- Pflegegeld angemessen weiterentwickeln: Die Leistungssätze, die je nach Pflegegrad über die Höhe des Pflegegeldes entscheiden, wurden seit dem Jahr 2017 nicht mehr angepasst. Ein erhöhtes Pflegegeld würde pflegerische Haushalte entlasten und Wertschätzung für pflegende Angehörige schaffen, die von einer Weitergabe profitieren. Das Pflegegeld muss mindestens um zehn Prozent ab Januar 2023 erhöht werden. Eine Erhöhung um lediglich fünf Prozent, wie im Prüfbericht der Bundesregierung vom 9. Dezember 2020 empfohlen, wäre angesichts der hohen Inflationsrate nicht mehr zeitgemäß.
- Entlastungsbetrag entbürokratisieren: Der Entlastungsbetrag von derzeit 125 Euro pro Monat sollte von Pflegebedürftigen in allen Pflegegraden gegen Kostennachweis auch für nicht-professionelle Hilfen eingesetzt werden dürfen, zum Beispiel für nachbarschaftliche Unterstützung. Die derzeitigen engen Vorgaben auf Länderebene schränken den Personenkreis unnötig ein. Eine freie Verfügbarkeit stärkt die Nachbarschaftshilfe, entlastet Angehörige und sichert die Versorgung daheim. Auch der Entlastungsbetrag sollte angemessen erhöht werden.
- Verbraucherschutz bei Versorgungsausfällen sicherstellen: Im Falle von Versorgungsausfällen oder Engpässen ambulanter Pflegedienste sollten Pflegebedürftige einen Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber ihrer Pflegekasse erhalten. Dieser sollte der Höhe der ambulanten Leistung entsprechen und maximal drei Monate auch für andere Leistungserbringer oder Personen ohne Qualifikation, wie Angehörige und Nachbar:innen, genutzt werden können. Die derzeit geltende pandemiebedingte Sonderregelung sollte angepasst und verstetigt werden, um Betroffene bei kurzfristigen Versorgungsausfällen zu schützen, deren Ursachen außerhalb der Pandemie liegen.
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