Nr. 48/2021
Der Verfügungskläger (i.F. Kläger) als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG (i.F.: Wirecard) begehrt im Wege einer einstweiligen Verfügung die Gewährung vorläufiger Abwehrkosten aus einer sog. D&O-Versicherung (Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung), welche die Wirecard bei der Verfügungsbeklagten (i.F. Beklagte) für ihre Organmitglieder und Leitende Angestellte abgeschlossen hatte.
Die Wirecard war ein international tätiger Zahlungsdienstleister. Einen wesentlichen Anteil am Gesamtumsatz nahmen die sog. TPA-Geschäfte (Third-Party-Acquirer) in Asien ein. Das für Wirecard seit Jahren tätige Wirtschaftsprüfungsunternehmen verweigerte erstmals das Testat für den Jahresabschluss 2019. Im Rahmen weiterer Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein angeblich aus den TPA-Geschäften resultierendes Treuhandguthaben von insgesamt 1,9 Milliarden Euro im Juni 2020 nicht auf den
Konten der philippinischen Banken vorhanden war. Ob es die TPA-Geschäfte in Asien überhaupt nicht oder nicht im verbuchten Umfang gegeben hat, ist streitig.
Gegen den Kläger wird ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft München u.a. wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs, der Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Verstößen gegen das WpHG geführt. Er befindet sich seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft. Gegen ihn sind zahlreiche Arrest- und Pfändungsbeschlüsse ausgebracht. Des Weiteren wird er u.a. zusammen mit Wirecard vor dem Landgericht München auf Schadensersatz von über 1 Million € in Anspruch genommen.
Nachdem die Beklagte die Übernahme von Kosten zur Abwehr der Schadensersatzansprüche abgelehnt hatte, hat der Kläger – der alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist – eine vorweggenommene Deckungsklage vor dem Landgericht Frankfurt erhoben und zugleich die streitgegenständliche Leistungsverfügung beantragt. Das Landgericht hat dem Antrag weitgehend durch Urteil vom 18.1.2021 stattgegeben; die Berufung der Beklagten hat der Senat durch das heute verkündete Urteil zurückgewiesen.
Im Zentrum der Entscheidung stehe, so der Senat in seiner Begründung, die Frage, ob die Verfügungsbeklagte sich auf Leistungsausschlüsse wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertragsverlängerung berufen könne oder aber dem die Zusage von vorläufigen Verteidigungskosten nach Ziffer 7.1.3 entgegenstehe. Ziffer 7.1.3 lautet: „Im Zweifel (Unterstreichung hinzugefügt) über das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Pflichtverletzung wird der Versicherer Verteidigungskosten gewähren. Dies gilt auch, wenn der Anspruch auf Schadensersatz oder das Verfahren auf eine Rechtsnorm gestützt wird, deren Voraussetzungen nur bei Vorsatz erfüllt sein können. Steht das Vorliegen einer wissentlichen oder einer vorsätzlichen Pflichtverletzung fest, entfällt der Versicherungsschutz. Als Feststellung gilt eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegen.“
Diese Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche Dritter sei für den Versicherten von existentieller Bedeutung, erläutert der Senat. Mache ein Dritter in der Begründung seines vermeintlichen Haftpflichtanspruchs Tatsachen geltend, die eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung der versicherten Person beinhalteten, sehe sich der – möglicherweise zu Unrecht bezichtigte – Versicherte der Situation ausgesetzt, dass er im Falle einer Deckungsablehnung seitens des Versicherers ohne Rechtsschutz dastünde und auf einen langwierigen (vorweggenommenen) Deckungsprozess gegen den Versicherer angewiesen wäre.
Dem berechtigten Interesse des zu Unrecht beschuldigten Managers nach bestmöglicher Absicherung im Rahmen einer D&O-Versicherung habe die Verfügungsbeklagte durch die besondere Ausgestaltung der vorläufigen Verteidigungskosten in Ziffer 7.1.3 Rechnung getragen. Dies komme auch dem Verfügungskläger zugute, der sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe – insbesondere auch den der Bilanzfälschung, auf welche die Verfügungsbeklagte den Vorwurf der Arglist stützt – bestreite. An einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, aus der sich Umstände ergäben, welche die vorsätzliche Pflichtverletzung belegten, fehle es derzeit. Sie könne nach Auffassung des Senats weder im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren noch im Hauptsacheverfahren (Deckungsklage) getroffen werden, da die Formulierung „eine rechtskräftige (Unterstreichung hinzugefügt) Entscheidung“ auf ein außerhalb des Deckungsprozesses stattfindendes Verfahren hinweise. Angesichts dieses sehr weitgefassten Leistungsversprechens könne die Verfügungsbeklagte sich bis zum Vorliegen einer solchen Entscheidung nicht mit deckungsgleicher Begründung auf arglistige Täuschung berufen.
Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 7.7.2021, Az.: 7 U 19/21
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 18.1.2021, Az.: 2-08 O 320/20)
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