Kann ein Eisenbahnverkehrsunternehmen infolge schuldhaft verspäteter Bereitstellung von Trassen seine Pünktlichkeitsverpflichtung aus dem Verkehrsvertrag mit seinem Auftraggeber nicht erfüllen und wird deshalb seine Vergütung gemindert, kann es vom Betreiber des Schienennetzes Schadensersatz verlangen.
Ordnet der Schienennetzbetreiber die Ursache für die verspätete Bereitstellung selbst seinem Verantwortungsbereich zu, begründet dies eine Beweiserleichterung für die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichter Entscheidung den vom Landgericht zugesprochenen Schadensersatzanspruch in Höhe von gut 60.000 € bestätigt.
Die Klägerin ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen. Die Beklagte betreibt das bundesweite Schienennetz. Auf der Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Infrastrukturvertrags bestellte die Klägerin bei der Beklagten Zugtrassen. Die Klägerin war ihrem regionalen Auftraggeber gegenüber zur Erbringung der Verkehrsleistungen im Personennahverkehr verpflichtet. Wegen Verspätungen an von der Klägerin bedienten Haltepunkten kürzte der Auftraggeber die Vergütung der Klägerin für die Jahre 2016 und 2017. Die Klägerin nimmt deshalb die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe der entgangenen Vergütung von gut 560.000,00 € in Anspruch. Das Landgericht hatte der Klage in Höhe von gut 60.000 € stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Die hiergegen eingelegten Berufungen beider Parteien hatten vor dem OLG keinen Erfolg. Das OLG bestätigte die grundsätzliche Haftung der Beklagten. Die Beklagte sei aufgrund des als Mietvertrag einzuordnenden Infrastrukturvertrags verpflichtet, der Klägerin die Schienenbenutzung zu den vertraglich vereinbarten Trassenzeiten zu ermöglichen. Wenn die Beklagte die Trassen zu spät bereitstelle, begründe dies einen Mangel der Mietsache. Für Verspätungen und dadurch verursachte Vergütungskürzungen durch den Auftraggeber müsse die Beklagte bei schuldhaft verspäteten Bereitstellungen Schadensersatz leisten. Der Schadensersatzanspruch sei insoweit nicht auf erhebliche Mängel begrenzt. Grundsätzlich sei die Klägerin verpflichtet, ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten konkret darzulegen und nachzuweisen. Habe die Beklagte allerdings in ihrem internen Kodiersystem die verspätete Bereitstellung selbst ihrem Obhuts- und Verantwortungsbereich zugeordnet, begründe dies eine Beweiserleichterung zugunsten der Klägerin. Wolle die Beklagte später behaupten, die Verspätung sei entgegen dieser Kodierung nicht ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen, müsste sie dies dann in jedem Einzelfall widerlegen und Alternativursachen im Einzelnen darlegen und beweisen.
Ersatzfähig seien hier Verspätungen von mehr als 90 Sekunden, die von der Beklagten in ihrem Kodiersystem den Rubriken „Betriebsplanung/Betriebsführung, Infrastrukturtechnik und bauliche Gründe“ zugeordnet worden waren. Weitergehende schuldhafte Pflichtverletzungen habe die Klägerin indes nicht belegt. Soweit die Beklagte verspätete Bereitstellungen auf „extreme Einflüsse“, etwa in Form der Witterung, zurückgeführt habe, lägen diese nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten. Folglich müsste die Klägerin im Einzelfall schuldhafte Pflichtverletzungen nachweisen. Dies gelte auch für sog. „sekundäre Verspätungsursachen“, etwa in Form von „gefährlichen Ereignissen, Zugfolge, Anschluss“. Die Klägerin habe diesen Nachweis nicht geführt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat für beide Parteien die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 3.2.2023, Az.: 2 U 88/21
(vorausgehend LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.5.2021, Az. 2-08 O 318/19)
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