Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat am 5. Dezember 2024 klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Quarantäne von Arbeitnehmern aufgrund eines Corona-Ansteckungsverdachts eine Erstattung von Lohnzahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) verlangen können. In zwei Urteilen (3 C 7.23 und 3 C 8.23) wurden grundlegende Fragen zur Anwendbarkeit von § 616 BGB und den Regelungen des IfSG behandelt.
Kerngedanke der Urteile
Arbeitgeber können keine Erstattung von Quarantänezahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz verlangen, wenn den betroffenen Arbeitnehmern ein Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 616 Satz 1 BGB zusteht. Ein solcher Anspruch besteht, wenn die Quarantäne eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ andauert und der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden an der Arbeitsleistung gehindert ist. Für den Frühsommer 2020 hat das Gericht eine Quarantänedauer von bis zu 14 Tagen als solche „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ anerkannt.
Hintergrund der Verfahren
Die Klägerinnen sind Unternehmen, die im Jahr 2020 Werkverträge für die Fleischverarbeitungsbranche erfüllten. Aufgrund von Corona-Ausbrüchen an zwei Standorten wurden mehrere Beschäftigte der Klägerinnen unter Quarantäne gestellt. Die Arbeitgeber zahlten den betroffenen Mitarbeitern das vereinbarte Gehalt weiter und führten Sozialversicherungsbeiträge ab. Anschließend beantragten sie beim zuständigen Land eine Erstattung dieser Beträge nach § 56 IfSG, was jedoch von der Behörde abgelehnt wurde.
Die Urteile im Detail
Fall 1: Fünfwöchige Quarantäne (3 C 7.23)
Im ersten Verfahren wurde ein Arbeitnehmer für insgesamt fünf Wochen unter Quarantäne gestellt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hatte entschieden, dass dies dennoch als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ im Sinne von § 616 BGB zu werten sei und daher ein Anspruch auf Lohnfortzahlung bestehe.
Das Bundesverwaltungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies den Fall zurück an das OVG. Es stellte klar, dass eine Quarantäne von fünf Wochen nicht mehr als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ gewertet werden könne. Solche langen Zeiträume fallen nicht unter § 616 BGB, und ein Lohnfortzahlungsanspruch bestehe in diesem Fall nur dann, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsverhinderung weitgehend selbst zu verantworten habe (nach § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB). Da hierzu noch keine ausreichenden Feststellungen vorlagen, muss das OVG Münster den Fall erneut prüfen.
Fall 2: Quarantäne von 14 Tagen (3 C 8.23)
Im zweiten Verfahren ging es um eine 14-tägige Quarantäne. Hier bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des OVG Münster, dass diese Dauer als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ im Sinne von § 616 BGB einzustufen ist. Da der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum Anspruch auf Lohnfortzahlung hatte, konnte der Arbeitgeber keine Erstattung nach § 56 IfSG verlangen.
Rechtliche Grundlagen
- § 616 BGB regelt, dass Arbeitnehmer trotz persönlicher Arbeitsverhinderung für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts haben, wenn sie ohne eigenes Verschulden an der Arbeit gehindert sind.
- § 56 IfSG sieht eine Entschädigung vor, wenn eine Person aufgrund einer behördlichen Absonderung (z. B. Quarantäne) einen Verdienstausfall erleidet. Arbeitgeber zahlen diese Entschädigung zunächst aus und können sie dann von der Behörde zurückfordern.
- Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass ein Verdienstausfall im Sinne von § 56 IfSG nicht vorliegt, wenn der Arbeitgeber aufgrund von § 616 BGB verpflichtet ist, die Vergütung fortzuzahlen.
Wesentliche Aussagen des Gerichts
- Quarantänedauer: Für den Frühsommer 2020 gilt eine Quarantäne von bis zu 14 Tagen als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“. Eine längere Quarantäne – wie im Fall der fünf Wochen – fällt nicht mehr unter § 616 BGB.
- Einzelfallprüfung: Ob eine Verhinderung verhältnismäßig ist, hängt von den individuellen Umständen ab, insbesondere von der Dauer und dem Grund der Quarantäne.
- Kein doppelter Anspruch: Arbeitgeber können keine Entschädigung nach § 56 IfSG verlangen, wenn sie aufgrund von § 616 BGB ohnehin zur Lohnfortzahlung verpflichtet sind.
Praktische Bedeutung
Die Entscheidungen schaffen Klarheit für Arbeitgeber, die während der Corona-Pandemie Zahlungen an quarantänepflichtige Mitarbeiter geleistet haben. Die Urteile bestätigen, dass Arbeitgeber nur dann auf Erstattung nach dem Infektionsschutzgesetz hoffen können, wenn der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB entfällt – etwa bei längeren Quarantänen.
Fazit
Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei grundsätzlichen Entscheidungen die Abgrenzung zwischen den Regelungen des BGB und des IfSG bei Quarantänefällen präzisiert. Arbeitgeber sollten bei zukünftigen Fällen genau prüfen, ob eine Lohnfortzahlungspflicht nach § 616 BGB besteht, da diese einem Erstattungsanspruch nach § 56 IfSG entgegensteht. Die Einzelfallprüfung spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
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