Aktenzeichen: 20 Kap 2/17 20. ZIVILSENATBeschlussIn Sachen Wolverhampton City Council, vertreten durch das Pensions Comittee, West Midlands, WV13NB Wolverhampton, Vereinigtes Königreich Prozessbevollmächtigte: gegen Porsche Automobil Holding SE, vertr. durch den Vorstandsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch, Porscheplatz 1, 70435 Stuttgart Prozessbevollmächtigte: Nebenintervenientin: Prozessbevollmächtigte: wegen Kapitalmarktinformationshaftung
A. Das Musterverfahren wird auf Antrag des Beigeladenen Dr. Heimann (Schriftsatz vom 20.7.2022, eA 1168 f. Rn. 3 zu Ab) um folgende Feststellungsziele erweitert:
B. Folgende Erweiterungsanträge werden zurückgewiesen: … Gründe:1. Das Musterverfahren ist auf Antrag des Beigeladenen Dr. Heimann (eA 1168 f. Rn. 3 zu Ab) um die Feststellungsziele C.I.5.a bis f zu erweitern. a) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom 13.7.2022 und mit Schriftsatz vom 19.8.2022 (eA 1222 Rn. 149 iVm 3A 1192 f. Rn. 6 ff.) zum Ausdruck gebrachten Auffassung der Musterbeklagten steht dem Erweiterungsantrag nicht entgegen, dass sich der Beigeladene Dr. Heimann mit dem Erweiterungsantrag in Widerspruch zur Musterklägerin setzen würde. Hierbei kann offen bleiben, ob ein derartiger Widerspruch zu bejahen ist. Gem. § 14 S. 2 KapMuG sind die Beigeladenen berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen und alle Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, soweit ihre Erklärungen und Handlungen mit Erklärungen und Handlungen des Musterklägers nicht in Widerspruch stehen. Indes gilt § 14 S. 2 KapMuG nicht für Prozesshandlungen, bezüglich derer der Gesetzgeber eigene Verfahrensrechte der Beigeladenen geregelt hat. Insofern unterliegen die Beigeladenen keinem Vorrang des Musterklägers. Insbesondere gesteht § 15 Abs. 1 KapMuG sämtlichen Beteiligten, mithin auch den Beigeladenen das Recht zu, eine Erweiterung des Musterverfahrens zu beantragen. § 15 Abs. 1 KapMuG ist als speziellerer Vorschrift der Vorrang vor dem Grundsatz des § 14 S. 2 KapMuG einzuräumen. Die Stellung von Erweiterungsanträgen ist den Beigeladenen folglich selbst gegen den Widerspruch des Musterklägers möglich (Kruis in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 14 KapMuG Rn. 14; Lange in Vorwerk/Wolf, KapMuG 2. Aufl., § 14 Rn. 5). b) Die Voraussetzungen des § 15 KapMuG sind gegeben. aa) Die Entscheidung im Ausgangsverfahren des Beigeladenen Dr. Heimann hängt von den fraglichen Feststellungszielen ab. Hierbei kann offen bleiben, ob der Beigeladene Dr. Heimann die ersten Aktien bereits am 10.10.2008 erworben hat oder ob ein Erwerb erst im Jahr 2015 erfolgt ist. Ebenso kann offenbleiben, ob – was die Musterklägerin in Zweifel zieht (eA 1108 ff.) – das Ausgangsverfahren des Beigeladenen Dr. Heimann auch hinsichtlich etwaiger vor 2014/2015 erfolgter Aktienerwerbe ausgesetzt wurde. Zu Recht weist der Beigeladene Dr. Heimann darauf hin, dass die Musterbeklagte und die Nebenintervenientin den sich aus dem Erweiterungsantrag Ab (eA 1168 f. Rn. 3) ergebenden Umstand in der Zeit vom 6.6.2008 bis zum 18.9.2015 unstreitig nicht veröffentlicht haben (eA 971 Rn. 5). Selbst wenn der Beigeladene erst lange Zeit nach dem Jahr 2008, aber vor Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung Aktien der Musterbeklagten erworben haben sollte, könnte die unterlassene Veröffentlichung Auswirkungen auf die Wertpapiertransaktion haben (so zutreffend der Beigeladene eA 972 Rn. 7). Auch wenn das Ausgangsverfahren des Beigeladenen Dr. Heimann lediglich hinsichtlich im Jahr 2015 erfolgter Wertpapiertransaktionen ausgesetzt worden sein sollte, könnte sich die Entscheidung über die fraglichen Feststellungsziele auf den ausgesetzten Teil des Ausgangsverfahrens auswirken. Eine demnach in Rede stehende Haftung der Musterbeklagten gem. § 37b WpHG a.F. wegen der unterlassenen Ad-hoc-Mitteilung bezüglich des im Feststellungsziel C.I.5.a aufgeführten Umstands der Entscheidung zur Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung kommt nur in Betracht, wenn der genannte Umstand in tatsächlicher Hinsicht zutrifft. Zudem setzt die Haftung voraus, dass es sich bei diesem Umstand für die Musterbeklagte um eine Insiderinformation handelt (Feststellungsziel C.I.5.b), dass die Musterbeklagte von diesem Umstand unmittelbar betroffen ist (Feststellungsziel C.I.5.c) und dass die Musterbeklagte es zumindest grob fahrlässig unterlassen hat, die etwaige Insiderinformation unverzüglich zu veröffentlichen (Feststellungsziel C.I.5.d). Eine Abhängigkeit des Ausgangsverfahrens des Beigeladenen Dr. Heimann von den entsprechenden Feststellungszielen ist demnach zu bejahen. Eine Abhängigkeit ist schließlich auch hinsichtlich der Feststellungsziele C.I.5.e und C. I.5.f zu bejahen, die die Haftung der Musterbeklagten nach § 826 BGB betreffen. Sollte eine Haftung gem. § 37b Abs. 2 WpHG a.F. etwa daran scheitern, dass die Musterbeklagte im Ausgangsverfahren mit Erfolg die Verjährungseinrede erhebt, wäre die Frage nach einer Haftung gem. § 826 BGB im Ausgangsverfahren relevant. Dass diese Möglichkeit besteht, genügt für die Annahme der Abhängigkeit. bb) Derselbe Lebenssachverhalt ist betroffen. Dieser ist weit zu verstehen, insbesondere kann von einem einheitlichen Lebenssachverhalt auch dann ausgegangen werden, wenn mehrere (verschiedene) öffentliche Kapitalmarktinformationen betroffen sind, sofern diese in einem inneren Zusammenhang stehen (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 29.6.2022, dort S. 6 f.). Ohne Erfolg machen die Musterbeklagte (eA 1061 f. Rn. 327 ff., eA 1225 Rn. 160 f. iVm eA 1203 f. Rn. 60 ff.) und die Nebenintervenientin (eA 1085) insofern geltend, dass die beantragten Feststellungen den zeitlichen Rahmen des Vorlagebeschlusses überschritten, da sie sich auf verschiedene (angebliche) Ereignisse in der Zeit ab dem 6.6.2008 bezögen und außer Acht ließen, dass es sich bei der Eingrenzung des Streitstoffes auf etwaige Ereignisse ab dem 15.4.2014 um eine bewusste Entscheidung des Vorlagegerichts handle, die zu respektieren sei. Entscheidender Kernpunkt der dem Musterverfahren zugrundeliegenden Rechtsstreitigkeiten sind die Auswirkungen, die das Geschehen bei der Nebenintervenientin im Zusammenhang mit der sogenannten „Dieselthematik“ auf die Musterbeklagte hat, insbesondere im Hinblick auf Insiderinformationen im Sinne von § 13 WpHG a.F.. Zu diesem Kernpunkt gehören auch die in den Feststellungszielen C.I.5. aufgeworfenen Geschehnisse und Fragestellungen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die etwaige Entscheidung, ab dem 6.6.2008 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Diesel-Pkws in Verkehr zu bringen, sämtlichen vom Vorlagegericht in Feststellungsziel A.I.2. genannten Umständen zugrunde liegen würde. Die Bedeutung der in Feststellungsziel A.I.2. aufgeführten Umstände lässt sich lediglich unter Berücksichtigung der in den Erweiterungsanträgen des Beigeladenen Dr. Heimann aufgeführten Umstände ermessen. Soweit die Musterbeklagte (eA 1062 Rn. 327 f., eA 1204 Rn. 63) und die Nebenintervenientin (eA 1085) auf die Eingrenzung des Streitstoffs durch das Vorlagegericht und auf die Zurückweisung von Feststellungsanträgen, die sich auf Insiderinformationen aus den Jahren 2007 und 2009 beziehen, hinweisen, ist die durch das Vorlagegericht erfolgte zeitliche Beschränkung für das Oberlandesgericht nicht bindend. Eine Zurückweisung von Musteranträgen als unzulässig nach § 3 Abs. 1 KapMuG steht der erneuten Stellung des Musterantrags – etwa nach Behebung von Zulässigkeitshindernissen – im Wege eines Erweiterungsantrags beim Oberlandesgericht nicht entgegen (Kruis in KölnKomm/KapMuG, 2. Aufl., § 3 Rn. 86, 101; Großerichter in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 3 KapMuG Rn. 59, 74). Nichts anderes gilt dann, wenn das Landgericht – wie vorliegend – im Vorlagebeschluss ausgeführt hat, einen Teil der Anträge aus unterschiedlichen Gründen nicht vorzulegen. Das Oberlandesgericht ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG nur daran gebunden, dass das Vorlagegericht die Vorlagevoraussetzungen für die vorgelegten Feststellungsziele angenommen, diese also als entscheidungserheblich betrachtet und die ihnen zugrunde liegenden Musteranträge als zulässig angesehen hat. Dass im Zuge der Erweiterung um die genannten Feststellungsziele kein neuer Sachverhalt in das Verfahren „hineingetragen“ wird, ergibt sich auch daraus, dass die im Jahr 2008 erfolgten Vorgänge um die Verwendung von Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren der Nebenintervenientin in der im Vorlagebeschluss erfolgten Darstellung des den Musterverfahrensanträgen zugrunde liegenden gleichen Lebenssachverhalts gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 KapMuG angelegt sind. So ist in Rn. 8 des Vorlagebeschlusses davon die Rede, dass die Nebenintervenientin im Jahr 2007 eine neue Baureihe von Dieselmotoren unter der Bezeichnung EA 189 vorgestellt habe, die sie ab 2008 in Serie gebaut und auch in den USA vermarktet habe, und dass die Motorentypen mit Hilfe einer Abschalt-Einrichtung manipuliert gewesen seien. Auch wenn diese Ausführungen des Vorlagegerichts lediglich der Einleitung in den Sachverhalt gedient haben sollten (so die Musterbeklagte eA 1062 Rn. 328), lassen sie doch erkennen, dass die fraglichen Vorgänge zum Verständnis des dem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Sachverhalts von Bedeutung sind. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Beigeladene zur Begründung seines Erweiterungsantrags auch auf die seit dem Jahr 2012 in Verkehr gebrachte Dieselmotorenbaureihe EA 288 verweist. Zwar ist im Sachverhalt des Vorlagebeschlusses lediglich vom Motor EA 189 die Rede, so dass zweifelhaft ist, ob auch die etwaige Verwendung von Abschalteinrichtungen in Motoren des Typs EA 288 noch vom dem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Sachverhalt umfasst ist. Jedoch wird der Motorentyp EA 288 im vom Beigeladenen Dr. Heimann gestellten Erweiterungsantrag A.b nicht erwähnt, vielmehr findet sich lediglich die Formulierung „beginnend mit der Motorenbaureihe EA 189“. Ob die entsprechende tatsächliche Feststellung getroffen werden kann, lässt sich beurteilen, ohne explizit Feststellungen zur Baureihe EA 288 treffen zu müssen. Auch der Umstand, dass im Erweiterungsantrag A.b die Verwendung auch nach dem Recht der Europäischen Union unzulässiger Abschalteinrichtungen thematisiert wird, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass der Erweiterungsantrag den maßgeblichen Lebenssachverhalt überschreitet (so aber die Musterbeklagte eA 1225 Rn. 163 ff.). Zwar trifft es zu, dass sich der Vorlagebeschluss auf die Ermittlungen der US-Behörden wegen der Verstöße gegen US-Umweltgesetze konzentriert. Jedoch ist die durch das Vorlagegericht erfolgte Beschränkung auch insofern für das Oberlandesgericht nicht bindend. Zum Kernpunkt der dem Musterverfahren zugrundeliegenden Rechtsstreitigkeiten, d.h. zu den Auswirkungen, die das Geschehen bei der Nebenintervenientin im Zusammenhang mit der sogenannten „Dieselthematik“ auf die Musterbeklagte hat, gehört auch der Aspekt der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen nach dem Recht der Europäischen Union. Auch in Ansehung des Feststellungsziels C.I.5.d ist derselbe Lebenssachverhalt betroffen. Ohne Erfolg macht die Musterbeklagte (eA 1062 ff. Rn. 330 ff., eA 1226 Rn. 166) geltend, sofern sich der Beigeladene Dr. Heimann auch auf eine angebliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis früherer Vorstandsmitglieder der Musterbeklagten stütze, handle es sich um den Versuch der Einführung eines neuen Sachverhaltskomplexes in das Musterverfahren, der nicht vom Lebenssachverhalt des Vorlagebeschlusses umfasst sei. Wie bereits ausgeführt wurde, bilden die Auswirkungen, die das Geschehen bei der Nebenintervenientin im Zusammenhang mit der sogenannten „Dieselthematik“ auf die Musterbeklagte hat, den Kernpunkt der dem Musterverfahren zugrundeliegenden Rechtsstreitigkeiten. Zu diesem Kernpunkt gehören auch solche die Dieselthematik betreffenden Geschehnisse, die sich in den Jahren 2008/2009 ereignet haben. Die Frage nach dem Kenntnisstand damaliger Vorstandsmitglieder gehört folglich zum Lebenssachverhalt des Musterverfahrens hinzu. Entgegen der Auffassung der Nebenintervenientin (eA 1084 f.) ist unschädlich, dass es sich bei dem behaupteten Umstand, dass die Nebenintervenientin ggf. die Entscheidung getroffen hat, ab dem 6.6.2008 auf unbestimmte Zeit eine unbestimmte Anzahl von Diesel-Pkw unter Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr zu bringen, um eine andere Kapitalmarktinformation handelt als bei den Kapitalmarktinformationen, die den bisherigen Feststellungszielen zugrunde liegen. Wie bereits im Erweiterungsbeschluss vom 29.6.2022 unter 1c ausgeführt wurde, kann auch dann von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ausgegangen werden, wenn mehrere (verschiedene) öffentliche Kapitalmarktinformationen betroffen sind, sofern diese in einem inneren Zusammenhang stehen. Letzteres ist der Fall, da jeweils die Auswirkungen, die das Geschehen bei der Nebenintervenientin im Zusammenhang mit der sogenannten „Dieselthematik“ auf die Musterbeklagte hat, in Rede stehen. cc) Schließlich sind die Erweiterungen sachdienlich. 1) Entgegen der Auffassung der Musterklägerin (eA 1187 Rn. 1079 ff.) fehlt es nicht deshalb an der Sachdienlichkeit, weil die im Erweiterungsantrag enthaltenen Feststellungsziele bereits im vor dem Oberlandesgericht Braunschweig unter dem Az. 3 Kap 1/16 geführten Kapitalanlegermusterverfahren geklärt werden. Ebenso wenig kann die Musterklägerin der Sachdienlichkeit entgegenhalten, dass ihr Ausgangsverfahren auch auf das Kapitalanlegermusterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ausgesetzt worden sei (eA 1188 Rn. 1083). Denn eine Entscheidung im vor dem Oberlandesgericht Braunschweig rechtshängigen Musterverfahren kann für die von der Musterklägerin und von den Beigeladenen geführten Ausgangsverfahren keine Bindungswirkung entfalten, soweit diese gegen die Musterbeklagte gerichtet sind (vgl. BGH Beschluss vom 16.6.2020 – II ZB 10/19 – juris Rn. 31). Demnach besteht ein Rechtsschutzinteresse an der Klärung der Feststellungsziele mit Bindungswirkung auch für die gegen die Musterbeklagte gerichteten Ausgangsverfahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für Schadensersatzansprüche, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt werden, eine Entscheidung über die Feststellungsziele eines bereits eingeleiteten Musterverfahrens nur dann bindende Wirkung haben, wenn diese Feststellungsziele dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation betreffen (BGH Beschluss vom 16.6.2020 – II ZB 10/19 – juris Rn. 20, 27). Die im Kapitalanlegermusterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig zu klärenden Feststellungsziele betreffen ausschließlich Schadensersatzansprüche in Bezug auf (unterlassene) öffentliche Kapitalmarktinformationen der Nebenintervenientin. Gegenstand der Erweiterungsanträge A.b des Beigeladenen Dr. Heimann sind hingegen ausschließlich Schadensersatzansprüche wegen (unterlassener) öffentlicher Kapitalmarktinformationen der Musterbeklagten, so dass die Feststellungen des Oberlandesgerichts Braunschweig im Musterverfahren 3 Kap 1/16 keine Bindungswirkung nach § 22 Abs. 1 S. 1 KapMuG für die Schadensersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG haben können, auf die sich die fraglichen Erweiterungsanträge beziehen (vgl. BGH Beschluss vom 16.6.2020 – II ZB 10/19 – juris Rn. 30). 2) Ohne Erfolg macht die Musterbeklagte (eA 1064 f. Rn. 340 ff., eA 1226 f. Rn. 170, 173 iVm eA 1211 ff. Rn. 100 ff.) geltend, dass die dem Erweiterungsantrag zugrunde liegende Behauptung von Kenntnissen früherer Vorstandsmitglieder der Musterbeklagten auf bloßen Vermutungen beruhe, der entsprechende Vortrag daher unschlüssig sei, und dass der Erweiterungsantrag insofern ausschließlich untaugliche Beweismittel bezeichne und daher in Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG nicht sachdienlich sei, weil sich der Beigeladene Dr. Heimann zum Beweis seiner Behauptungen ohne konkrete Anhaltspunkte und trotz des Fehlens jeglicher Anknüpfungstatsachen allein auf das Zeugnis dieser früheren Vorstandsmitglieder berufe, was als unzulässiger Ausforschungsbeweis zu werten sei. α) An die Substantiierungslast der darlegungspflichtigen Partei dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Die Partei ist nicht verpflichtet, den streitigen Sachverhalt in allen Einzelheiten darzustellen. Vielmehr ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (BGH Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20 – juris Rn. 20; Beschluss vom 28.1.2020 – VIII ZR 57/19 – juris Rn. 7 mwN; Urteil vom 15.5.2003 – III ZR 7/02 – juris Rn. 15 mwN; OLG Karlsruhe Urteil vom 22.3.2022 – 8 U 177/20 – juris Rn. 57). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (BGH Beschluss vom 28.1.2020 – VIII ZR 57/19 – juris Rn. 7 mwN; Urteil vom 15.5.2003 – III ZR 7/02 – juris Rn. 15 mwN). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20 – juris Rn. 20; Beschluss vom 28.1.2020 – VIII ZR 57/19 – juris Rn. 7 mwN). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welche Angaben einer Partei zumutbar und möglich sind. Falls sie keinen Einblick in die Geschehensabläufe hat und ihr die Beweisführung deshalb erschwert ist, kann sie auch nur vermutete Tatsachen unter Beweis stellen (BGH Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20 – juris Rn. 21; Urteil vom 15.5.2003 – III ZR 7/02 – juris Rn. 15). Demnach ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (BGH Beschluss vom 27.4.2022 – XII ZR 37/21 – juris Rn. 10; Beschluss vom 28.1.2020 – VIII ZR 57/19 – juris Rn. 7, 8 mwN; Laumen MDR 2020, 193, 195; Prütting in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 284 Rn. 79; offen gelassen in BGH Urteil vom 8.5.2002 – I ZR 28/00 – juris Rn. 33). Eine Behauptung ist erst dann als Ausforschungsbeweis unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (BGH Beschluss vom 27.4.2022 – XII ZR 37/21 – juris Rn. 10; Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20 – juris Rn. 22; Beschluss vom 28.1.2020 – VIII ZR 57/19 – juris Rn. 8; Urteil vom 15.5.2003 – III ZR 7/02 – juris Rn. 15 mwN; OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 30.3.2022 – OVG 11 N 58.18 – juris Rn. 13; Laumen MDR 2020, 193, 194 f.; Prütting in MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 284 Rn. 79). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH Beschluss vom 27.4.2022 – XII ZR 37/21 – juris Rn. 10; Beschluss vom 28.1.2020 – VIII ZR 57/19 – juris Rn. 8 mwN; OLG Karlsruhe Urteil vom 22.3.2020 – 8 U 177/20 – juris Rn. 57). Dass eine Partei von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen kann, gilt insbesondere dann, wenn die Partei behauptete innere Tatsachen bei einer anderen Person unter Beweis stellt (BGH Urteil vom 18.5.2021 – VI ZR 401/19 – juris Rn. 19 mwN; Laumen MDR 2020, 193, 195). Ein substantiierter Beweisantrag zur Vernehmung eines Zeugen setzt insofern nicht voraus, dass sich der Beweisführer darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptungen hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung lediglich dann, wenn ein Zeuge über innere Vorgänge bei einer anderen Person vernommen werden soll, die der direkten Wahrnehmung durch den Zeugen naturgemäß entzogen sind. In einem solchen Fall kann der Zeuge allenfalls Angaben zu äußeren Umständen machen, die einen Rückschluss auf den zu beweisenden inneren Vorgang zulassen. Es handelt sich um einen Indizienbeweis, weshalb für einen auf diesen Indizienbeweis gerichteten Beweisantrag die äußeren Umstände darzulegen sind, die unmittelbarer Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen (BGH Urteil vom 8.5.2012 – XI ZR 262/10 – juris Rn. 44 mwN). β) In Anwendung dieser Grundsätze ist der Vortrag des Beigeladenen Dr. Heimann zu einer Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis der Herren Dr. Wiedeking und Härter nicht als unsubstantiierte Behauptung ins Blaue zu werten. Es fehlen auf der Grundlage des Vorbringens des Beigeladenen Dr. Heimann nicht jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen der von ihm behaupteten subjektiven Umstände. γ) Ebenso wenig kann der Beweisantritt des Beigeladenen Dr. Heimann als Ausforschungsbeweis gewertet werden. Der Beigeladene Dr. Heimann hat nicht Dritte, sondern die Personen selbst als Zeugen benannt, bezüglich derer er innere Tatsachen behauptet. 3) Die gebotene Gesamtabwägung hat entgegen der Auffassung der Musterbeklagten (eA 1065 f. Rn. 346, eA 1227 f. Rn. 176 f. iVm eA 1218 ff. Rn. 127 ff.) nicht zur Folge, dass die Sachdienlichkeit zu verneinen ist. Zwar ist der Umstand, dass das Landgericht sich auf die Zeit vor dem 15.4.2014 beziehende Feststellungsziele bewusst nicht in den Vorlagebeschluss aufgenommen hat, ein Kriterium, das im Rahmen der Gesamtabwägung gegen eine Erweiterung sprechen kann (Vollkommer in KöKo-KapMuG, 2. Aufl., § 15 Rn. 21). Jedoch tritt dieser Umstand im Ergebnis hinter dem für eine Erweiterung sprechenden Umstand zurück, dass die mit den Feststellungszielen C.I.5. aufgeworfenen Fragestellungen in sämtlichen Ausgangsverfahren relevant werden können. Dasselbe gilt für den Verweis der Musterbeklagten auf die angeblich zu erwartende Unergiebigkeit der Aussagen der von der Nebenintervenientin benannten Zeugen (eA 1227 f. Rn. 176 iVm eA 1218 Rn. 127 ff.) und für die Ausführungen der Musterbeklagten zur Verfahrensverzögerung, die infolge des erst spät erfolgen Vortrags zur Kenntnis früherer Vorstandsmitglieder zu erwarten sei (eA 1228 Rn. 177 iVm eA 1219 f. Rn. 130 ff.). Der Nachteil, der in einer etwaigen Verfahrensverzögerung infolge einer Zeugenvernehmung zu diesem Vortrag liegen kann, wird im Streitfall dadurch kompensiert, dass dem zugrunde liegenden Tatsachenvortrag auf diese Weise mit bindender Wirkung für die Ausgangsverfahren nachgegangen werden kann. 4) Entgegen der Auffassung der Musterbeklagten (eA 1066 Rn. 347 f.; vgl. auch eA 1210 f. Rn. 96 f.) ist die Sachdienlichkeit nicht deshalb zu verneinen, weil es auf die Erweiterungsanträge C.I.5. nicht ankommt, sofern die von der Musterbeklagten begehrten Feststellungen getroffen werden. An der Sachdienlichkeit eines Erweiterungsantrags fehlt es nicht bereits dann, wenn es nach den bisherigen Ergebnissen des Musterverfahrens für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits auf die Beantwortung der weiteren Feststellungsziele nicht mehr ankommt (so aber Kruis in Wieczorek/Schütze, ZPO 5. Aufl., § 15 KapMuG Rn. 20). Ergebnisse des Musterverfahrens stehen frühestens mit dem Erlass des Musterentscheids fest. Dieser kann nicht teilweise im Rahmen einer vorausgehenden und nicht rechtsmittelfähigen Entscheidung über die Erweiterung nach § 15 KapMuG vorweggenommen werden. c) Die Formulierung der Erweiterungsanträge A.b genügt den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an die Bestimmtheit. Insbesondere werden die Auswirkungen auf die Musterbeklagte, aus denen sich das Kursbeeinflussungspotential ergeben soll, hinreichend konkretisiert, indem auf die Entscheidung über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung abgestellt wird. Zudem benennt der Erweiterungsantrag den Zeitpunkt, zu dem die Eigenschaft als Insiderinformation und die unmittelbare Betroffenheit hiervon festgestellt werden soll, sowie den Zeitraum, während dem die Veröffentlichung einer Ad hoc-Mitteilung pflichtwidrig unterblieben sein soll. Ohne Erfolg macht die Musterbeklagte (eA 1223 f. Rn. 152, 154 ff.) geltend, es fehle jeglicher Vortrag für die Behauptung des Beigeladenen Dr. Heimann, die Nebenintervenientin habe die Entscheidung getroffen, alle zukünftigen Motorengenerationen mit einer unzulässigen Abschaltlogik auszustatten, eine solche Entscheidung hätten die eingeweihten Mitarbeiter der Nebenintervenientin im Jahr 2008 nicht treffen können, die Formulierung des Erweiterungsantrags A.b grenze den Streitgegenstand nicht hinreichend ab, weil unklar sei, welche Dieselmotoren und Absatzmärkte in Rede stünden. Mit der insofern offen gehaltenen Formulierung soll lediglich der – auch von der Musterbeklagten thematisierte (eA 1223 Rn. 154) – Umstand zum Ausdruck gebracht werden, dass im Jahr 2008 noch nicht festgestanden hat, ob die unzulässige Umschaltlogik künftig auch in weiteren Motorenbaureihen als der Baureihe EA 189 eingesetzt werden würde, und in welchem Zeitraum der defeat device künftig verwendet würde. Die mit dem Erweiterungsantrag A.b aufgeworfene tatsächliche Fragestellung kann geklärt werden, ohne dass Feststellungen dazu erforderlich sind, ob eine im Jahr 2008 noch für eine unbestimmte Anzahl von Diesel-Pkws getroffene Entscheidung über die Manipulation im weiteren Verlauf tatsächlich auch auf andere Motorentypen erstreckt wurde. Vor diesem Hintergrund wird auch die Reichweite einer ggf. im Sinne des Beigeladenen Dr. Heimann zu treffenden Feststellung deutlich. Ebenso ohne Erfolg verweist die Musterbeklagte (eA 1223 Rn. 153) darauf, dass der Beigeladene Dr. Heimann sowohl den Erweiterungsantrag A.a als auch den Erweiterungsantrag A.b mit derselben Begründung versehen habe. In seiner Begründung der Erweiterungsanträge mit Schriftsatz vom 20.7.2020 verweist der Beigeladene Dr. Heimann zunächst auf seine Ausführungen im Schriftsatz vom 31.1.2022 (eA 1169 Rn. 4). Die nachfolgenden Ausführungen sind nur als Ergänzung zu verstehen. Mit Schriftsatz vom 31.1.2022 hat der Beigeladene Dr. Heimann zwischen beiden Erweiterungsanträgen differenziert (vgl. einerseits eA 884 Rn. 146 ff. zur Unfähigkeit und andererseits eA 884 f. Rn. 149 f. zur Manipulation). Entgegen der Auffassung der Nebenintervenientin (eA 1084) ist unschädlich, dass in Ansehung des Feststellungsziels C.I.5.a nicht klar wird, welche konkrete Person für die Nebenintervenientin die Entscheidung getroffen habe, Fahrzeuge mit einem defeat device in Verkehr zu bringen. Die Formulierung des Erweiterungsantrags ist dahingehend zu verstehen, dass der konkrete Entscheidungsträger unerheblich sein soll. Dasselbe gilt für den Einwand der Nebenintervenientin, dass der genaue Entscheidungszeitpunkt nicht genannt werde, d.h. der Zeitpunkt, an dem vor Juni 2008 die Entscheidung getroffen worden sei. Der Erweiterungsantrag stellt darauf ab, dass eine behauptete Entscheidung, ab dem 6.6.2008 Diesel-Pkws mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr zu bringen, seit dem 6.6.2008 zu veröffentlichen gewesen wäre. Wann die Entscheidung konkret getroffen wurde, ist vor diesem Hintergrund unerheblich. Die Unzulässigkeit des Erweiterungsantrags ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen der Nebenintervenientin (eA 1085), es treffe nicht zu, dass sie eine strategische Entscheidung zur Verwendung der Abschaltvorrichtung getroffen habe. Diese Ausführungen betreffen lediglich die Frage der Begründetheit des Feststellungsziels. 2. …
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