Der kürzlich veröffentlichte Bericht des Europäischen Rechnungshofs (ERH) zur Vergabe von EU-Geldern an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) offenbart ein ernstes Defizit im Umgang mit Steuermitteln – und ein Demokratiedefizit im Herzen der EU. Statt Klarheit herrscht diffus geregelte Praxis, die dem Anspruch der EU auf Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Kontrolle nicht gerecht wird.
Milliarden fließen – und niemand weiß wohin genau
Zwischen 2021 und 2023 erhielten NGOs laut dem Bericht des Rechnungshofs insgesamt 7,4 Milliarden Euro an Förderungen, davon 4,8 Milliarden von der EU-Kommission selbst. Doch trotz dieser enormen Summen bleibt weitgehend unklar, wer diese Gelder erhält, wofür sie konkret verwendet werden, und ob die geförderten Organisationen überhaupt die grundlegenden Werte der EU teilen und achten.
Selbst Tätigkeiten im Bereich Lobbyismus – also der gezielte Einfluss auf politische Entscheidungen – werden von der EU mitfinanziert, ohne dass das in allen Fällen korrekt offengelegt wird. Hier wird ausgerechnet mit öffentlichem Geld Einfluss auf öffentliche Politik genommen, ohne dass der Steuerzahler davon erfährt oder gar mitreden kann.
Politische Partizipation braucht Vertrauen – und das fehlt
„Transparenz ist entscheidend, um eine glaubwürdige Beteiligung von NGOs an der Politikgestaltung der EU sicherzustellen“, so Laima Andrikiene vom Rechnungshof. Doch genau diese Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, wenn Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehen können, wer mit EU-Mitteln arbeitet – und warum.
Die EU rühmt sich ihrer Zivilgesellschaftspolitik, doch sie untergräbt das Vertrauen in ebendiese, wenn sie millionenschwere Förderungen ohne transparente Kriterien oder echte Kontrolle verteilt. NGOs sollen Bürgerinteressen vertreten – doch wenn niemand weiß, welche Interessen genau vertreten werden und von wem, öffnet das Tür und Tor für Missbrauch und politische Instrumentalisierung.
Wer kontrolliert, ob NGOs EU-Werte achten?
Eine der zentralen Fragen, die der Bericht aufwirft, ist die der Wertegrundlage: Gibt es überhaupt einen Mechanismus, der sicherstellt, dass Empfänger öffentlicher Gelder auch auf dem Boden europäischer Grundwerte stehen? Laut Rechnungshof: Nein. Es wird nicht systematisch überprüft, ob geförderte NGOs demokratische Prinzipien einhalten oder gegen diese arbeiten.
Gerade angesichts der „Katargate“-Korruptionsaffäre im EU-Parlament 2022, bei der Lobbyismus eine zentrale Rolle spielte, hätte man erwarten können, dass die EU ihre Vergabepraxis reformiert. Doch offensichtlich bleibt es bei kosmetischen Korrekturen, während weiterhin Milliarden in Kanäle fließen, die dem öffentlichen Blick weitgehend entzogen sind.
Die EU-Kommission beschwichtigt – und verkennt das Problem
Die EU-Kommission reagierte prompt, aber ausweichend. NGOs würden wie alle Antragsteller behandelt, hieß es. Fördervoraussetzungen müssten erfüllt sein, und ein „besonderes Risiko“ durch NGOs sei nicht erkennbar. Das klingt beruhigend, ist aber wenig belastbar, solange weder Auswahlprozesse noch Prüfverfahren offengelegt sind. Ohne konsequente Nachvollziehbarkeit und Kriterien zur Wertebindung bleibt diese Aussage ein reines Lippenbekenntnis.
Fazit: Demokratie braucht Kontrolle – auch bei der Zivilgesellschaft
Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen eine bedeutende Rolle in Demokratien – aber das entbindet sie nicht von der Pflicht zur Transparenz, Rechenschaft und Legitimation. Wer mit Steuermitteln arbeitet, muss offenlegen, was er mit diesen Geldern tut – und auf welcher wertepolitischen Grundlage.
Es ist höchste Zeit, dass das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente systematische Prüfmechanismen und Offenlegungspflichten für die Vergabe von Fördermitteln einführen. Sonst droht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger weiter zu erodieren – und mit ihm die Legitimität der europäischen Institutionen selbst.
Kommentar hinterlassen