Justiz

Fremdenverkehrsgebiet

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BVerwG/ Beschluss/ vom 30.12.2022
4 BN 9.22

BauGB § 22 Abs. 1 Satz 3
1. Die Zweckbestimmung eines Gebiets für den Fremdenverkehr ist insbesondere anzunehmen bei Kurgebieten, Gebieten für die Fremdenbeherbergung, Wochenend- und Ferienhausgebieten, die im Bebauungsplan festgesetzt sind, und bei im Zusammenhang bebauten Ortsteilen, deren Eigenart solchen Gebieten entspricht, sowie bei sonstigen Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen, die durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt sind.
2. Das bestimmende Begriffsmerkmal in der Fallgruppe des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB ist das Merkmal der „Prägung“: Es ist nicht erforderlich, dass jedes einzelne Grundstück im Satzungsgebiet für Zwecke der Fremdenbeherbergung oder für Fremdenverkehrszwecke genutzt wird. Denn die städtebauliche Prägung eines bebauten Gebiets leitet sich aus der für dieses Gebiet charakteristischen Art der baulichen Nutzung ab, ohne dass diese auf jedem einzelnen Grundstück in dem Gebiet vorliegen müsste.
3. Maßgeblich ist nicht eine quantitative Gegenüberstellung der für Fremdenbeherbergung und der auf andere Weise genutzten Grundstücke, sondern eine wertende Betrachtung, die die städtebauliche Besonderheit des vorgesehenen Satzungsgebiets zu erfassen sucht.

BVerwG, Beschluss vom 30.12.2022 – 4 BN 9.22
vorhergehend:
VGH Bayern, 11.11.2021 – 2 N 20.965

In der Normenkontrollsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 30. Dezember 2022 durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Prof. Dr. Külpmann und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger

beschlossen:

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. November 2021 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20.000 € festgesetzt.

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies über den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91> und vom 24. Mai 2022 – 4 BN 3.22 – Rn. 2). Daran fehlt es.

a) Die Antragstellerin bezeichnet als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,

unter welchen Voraussetzungen ein sonstiges Gebiet mit Fremdenverkehrsfunktion vorliegt, das durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt ist im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB, bzw.,

nach welchen Kriterien sich die Prägung und damit auch die Grenzen eines sonstigen Gebiets mit Fremdenverkehrsfunktion, das durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt ist im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB, beurteilen, sowie,

ob bei wertender Betrachtung, ob ein Gebiet mit Fremdenverkehrsfunktion im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt ist, auch sonstige Fremdenverkehrsinfrastruktureinrichtungen, wie

1. Tagungs- und Eventhallen, die innerhalb des Gebiets liegen,

2. Freizeiteinrichtungen, wie Campingplätze und Reithallen, die außerhalb des Gebiets liegen,

3. Fremdenverkehrsinfrastruktureinrichtungen, wie Spazierwege und Loipen, die außerhalb des Gebiets liegen,

berücksichtigt werden dürfen.

Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Sie lassen sich, soweit sie nicht bereits geklärt sind, auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres im Sinne der angefochtenen Entscheidung beantworten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 – 4 B 72.99 – BVerwGE 109, 268 <270> und vom 16. November 2004 – 4 B 71.04 – NVwZ 2005, 449 <450>).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 BauGB ist die Zweckbestimmung eines Gebiets für den Fremdenverkehr insbesondere anzunehmen bei Kurgebieten, Gebieten für die Fremdenbeherbergung, Wochenend- und Ferienhausgebieten, die im Bebauungsplan festgesetzt sind, und bei im Zusammenhang bebauten Ortsteilen, deren Eigenart solchen Gebieten entspricht, sowie bei sonstigen Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen, die durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung geprägt sind. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass das bestimmende Begriffsmerkmal in der Fallgruppe des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB das Merkmal der „Prägung“ ist: Es ist nicht erforderlich, dass jedes einzelne Grundstück im Satzungsgebiet für Zwecke der Fremdenbeherbergung oder für Fremdenverkehrszwecke genutzt wird. Denn die städtebauliche Prägung eines bebauten Gebiets leitet sich aus der für dieses Gebiet charakteristischen Art der baulichen Nutzung ab, ohne dass diese auf jedem einzelnen Grundstück in dem Gebiet vorliegen müsste. Maßgeblich ist nicht eine quantitative Gegenüberstellung der für Fremdenbeherbergung und der auf andere Weise genutzten Grundstücke, sondern eine wertende Betrachtung, die die städtebauliche Besonderheit des vorgesehenen Satzungsgebiets zu erfassen sucht (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1997 – 4 C 9.96 – BVerwGE 105, 1 <3>). Der Gesetzgeber hat zudem mit der Ergänzung des Wortes „insbesondere“ durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 vom 18. August 1997 (BGBl. 1997 I S. 2081 ff.; vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand April 2022, § 22 BauGB Rn. 7) deutlich gemacht, dass die Vorschrift nicht als abschließende Regelung zu verstehen ist (BT-Drs. 13/7589 S. 26; anders noch BVerwG, Urteil vom 7. Juli 1994 – 4 C 21.93 – BVerwGE 96, 217 <220>). Hiernach ist es nicht ausgeschlossen, bei der Beurteilung der Prägung eines Gebiets durch Fremdenbeherbergung je nach den städtebaulichen Besonderheiten des Einzelfalls auch eine im oder um das Gebiet gelegene Fremdenverkehrsinfrastruktur zu berücksichtigen. Denn § 22 Abs. 1 BauGB dient gerade der Absicherung der hohen Investitionen von Fremdenverkehrsgemeinden für solche Infrastruktureinrichtungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1997 a. a. O. S. 4; BT-Drs. 10/4630 S. 55).

b) Die Fragen,

ob bzw. unter welchen Voraussetzungen unbebaute landwirtschaftlich genutzte Außenbereichsflächen (insb. sog. Außenbereich im Innenbereich-Flächen, die von Bebauung umgeben sind, selbst aber nicht bebaut sind) Teil eines sonstigen Gebiets mit Fremdenverkehrsfunktion im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB sein können, und

ob eine solche Außenbereichsfläche durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB geprägt sein kann,

sind nicht klärungsfähig. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass das noch unbebaute Areal eine Außenbereichsfläche ist (vgl. UA Rn. 30). Ohne eine solche Tatsachenfeststellung und -würdigung steht aber nicht fest, dass die Klärung der aufgeworfenen Frage im Revisionsverfahren zu erwarten ist (BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 2016 – 4 BN 36.15 -, und vom 28. Juni 2021 – 4 BN 67.20 – Rn. 20).

c) Auch hinsichtlich der Fragen,

ob ein sonstiges Gebiet mit Fremdenverkehrsfunktion im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB voraussetzt, dass dieses Gebiet von Beherbergungsbetrieben und Wohngebäuden mit Fremdenbeherbergung geprägt ist oder ob es ausreicht, dass in dem Gebiet lediglich Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung vorhanden sind und keine Beherbergungsbetriebe, und

unter welchen Voraussetzungen ein Gebiet, welches fast ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt wird und damit bauplanungsrechtlich als allgemeines Wohngebiet einzuordnen ist, in dem in einzelnen wenigen Wohngebäuden auch Zimmer vermietet werden (vgl. § 13a Satz 1 BauNVO), ein sonstiges Gebiet mit Fremdenverkehrsfunktion im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB darstellt, sowie

ob sich allein hieraus bei wertender Betrachtung des Gebiets eine städtebauliche Besonderheit (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1997 – 4 C 9.96 – BVerwGE 105, 1 <2 f.>) ergeben kann, die ein sonstiges Gebiet im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB von einem allgemeinen Wohngebiet schlüssig abgrenzt,

fehlt es schon an den entsprechenden Tatsachenfeststellungen. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass in dem Gebiet insgesamt 24 Fremdenverkehrsbetriebe mit 394 Betten (UA Rn. 30) und im südlichen Teil Ferienwohnungen vorhanden sind. Letzteren hat er ein „noch hinreichendes“ Gewicht beigemessen (UA Rn. 34). Er hat sich weder dazu verhalten, ob es sich um ein allgemeines Wohngebiet handelt, noch hat er festgestellt, dass es sich bei den Ferienwohnungen – wie die Beschwerde unterstellt – nur um „in einzelnen wenigen Wohngebäuden vermietete Zimmer“ handele, die keinem Beherbergungsbetrieb zuzuordnen seien. Die Beschwerde kritisiert insofern im Gewand der Grundsatzrüge die Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichtshofs. Das führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

d) Die Fragen,

ob bei der Subsumtion der Prägung eines sonstigen Gebiets mit Fremdenverkehrsfunktion im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB bzw. bei der Beurteilung der Grenzen eines solchen Gebiets die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zur Bestimmung der Grenzen (insb. auch hinsichtlich der trennenden Wirkung von Straßen) und der Prägung der näheren Umgebung im Zusammenhang mit der Art der baulichen Nutzung im Sinne des § 34 BauGB herangezogen werden können,

und für den Fall, dass diese Grundsätze nicht anwendbar sind, nach welchen sonstigen Kriterien die Prägung und die Grenzen eines sonstigen Gebiets mit Fremdenverkehrsfunktion im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 BauGB zu bestimmen sind,

führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Sie gehen an dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung vorbei. Die Beschwerde zielt damit auf ihren Einwand aus dem erstinstanzlichen Verfahren, dass sich im südlichen Teil des Gebiets, abgetrennt durch die Bundesstraße, nur einzelne Ferienwohnungen befänden (vgl. UA Rn. 34). Der Verwaltungsgerichtshof ist auf diesen Einwand zwar insofern eingegangen, als er ausgeführt hat, dass die Kriterien, die sonst im Bauplanungsrecht bei der Beurteilung, ob eine Straße trennende Wirkung habe, Anwendung finden, kein Maßstab sein könnten. Darauf beruht die Entscheidung aber nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Prägung des südlichen Teils durch Beherbergungsbetriebe und Wohngebäude mit Fremdenbeherbergung selbständig tragend mit der dort vorhandenen Nutzung begründet und die südlich der Bundesstraße vorhandenen Ferienwohnungen – für sich genommen – als noch von hinreichendem Gewicht bewertet (UA Rn. 34).

2. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

a) Die Revision ist nicht wegen eines als Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO einzuordnenden Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist u. a. überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt. Solche Verstöße können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 8 B 12.18 – Rn. 23 m. w. N.).

Die Beschwerde macht geltend, das Urteil gehe aktenwidrig davon aus, dass sich der Campingplatz und die Reitanlage innerhalb des Satzungsgebiets befänden. Nach der materiellen Rechtsauffassung der Vorinstanz kam es darauf nicht an. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass auch Fremdenverkehrsinfrastruktur außerhalb des Gebiets bei der Bewertung der Gebietsprägung berücksichtigt werden darf; dementsprechend hat er auch einen entlang der Gebietsgrenzen verlaufenden Spazierweg sowie zwei Skiloipen berücksichtigt. Die Prägung des Gebiets hat er zusammenfassend mit der Begründung bejaht, dass im Gebiet „zum einen hinreichend Fremdenverkehrsbetriebe“ bestehen und es „zum anderen […] zugleich von Fremdenverkehrsinfrastruktur umgeben“ sei (UA Rn. 30). Auf die exakte Verortung des Grenzverlaufs des Gebiets im Verhältnis zu dem Campingplatz und der Reitanlage kam es hiernach nicht an.

b) Die Aufklärungsrüge greift nicht durch. Die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof hätte nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Ortsbesichtigung durchführen müssen, um die Prägung des Gebiets beurteilen zu können, denn es komme für die Prägung auf die optische Wahrnehmbarkeit an. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch – wie die Antragstellerin selbst erkennt – das optische Erscheinungsbild gerade nicht als rechtlich maßgeblich angesehen, sondern auf den Zweckbezug der Bebauung für den Fremdenverkehr abgestellt. Im Übrigen hat es die Antragstellerin unterlassen, in der mündlichen Verhandlung bei der Vorinstanz durch einen Beweisantrag auf eine Ortsbesichtigung hinzuwirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

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