Am Mittwoch sprach der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban im Europaparlament in Straßburg über die Schwerpunkte des ungarischen EU-Ratsvorsitzes. Er betonte dabei, dass sich die Europäische Union wandeln müsse, und bezeichnete Ungarn als möglichen „Katalysator“ dieses Wandels. Seine Rede wurde jedoch von lautstarken Protesten begleitet, insbesondere von Abgeordneten, die seine Politik kritisieren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übte scharfe Kritik an Orban, was diesen sichtlich überraschte.
Orbans Rede: Forderungen und Kritik an EU-Politik
Orban begann seine Rede in gemäßigtem Ton und verwies auf die Herausforderungen, die sich seit der ungarischen Ratspräsidentschaft im Jahr 2011 verschärft haben. Vor dem Hintergrund von Krisen wie dem Krieg in der Ukraine, dem Nahost-Konflikt und der Migrationsproblematik betonte er, dass Europa vor wichtigen Weichenstellungen stehe.
Inhaltlich stellte Orban verschiedene EU-Beschlüsse infrage. Er forderte unter anderem, Asylverfahren in externe „Hotspots“ außerhalb der EU zu verlagern und Schutzsuchende erst nach positiver Entscheidung in die Union zu lassen. Zudem schlug er regelmäßige Gipfeltreffen der Schengen-Staaten vor und sprach sich für die rasche Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum aus. Auch der EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten, vor allem Serbiens, solle nach seinem Willen beschleunigt werden.
Ein weiterer Kritikpunkt von Orban war die Abkopplung der EU von russischen Energiequellen, die er als Bedrohung für das Wirtschaftswachstum in Europa bezeichnete. Während die EU-Länder ihre Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren, hat Ungarn seine Gasbezüge aus Russland weiterhin verstärkt. In der Klimapolitik forderte Orban eine Überprüfung des „Green Deal“, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will.
Heftige Reaktionen im Parlament
Orbans Rede stieß im Europaparlament auf gemischte Reaktionen. Während sozialdemokratische Abgeordnete Schilder mit der Aufschrift „Demokraten gegen Autokraten“ hochhielten, stimmte das linke Lager nach seiner Ansprache die antifaschistische Hymne „Bella Ciao“ an. Im Gegensatz dazu erhielt Orban stehenden Applaus von Abgeordneten aus dem rechtskonservativen Spektrum.
Von der Leyen kritisiert Orban scharf
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte auf Orban mit deutlicher Kritik. Sie warf ihm unter anderem vor, die EU-Migrationspolitik zu ignorieren und in der Ukraine-Frage eine pro-russische Haltung einzunehmen. In Bezug auf seine Friedensinitiative und seine Reise zu Wladimir Putin erklärte sie, dass einige immer noch den Krieg der Freiheitsbewegung der Ukraine anlasten, anstatt „Putins Machtstreben“ die Verantwortung zuzuschreiben.
Von der Leyen ging auch auf spezifische Vorwürfe gegen Ungarn ein, darunter die vorzeitige Entlassung von Schleppern aus dem Gefängnis, das Fehlen zusätzlicher Sicherheitschecks für Russen bei der Einreise und das Erlauben von chinesischen Polizeikräften in Ungarn. Sie kritisierte diese Praktiken als „Hintertür für ausländische Einmischung“ und betonte, dass dies nichts mit dem Schutz der europäischen Souveränität zu tun habe.
Orbans Reaktion: Kritik als „politische Waffe“
Orban zeigte sich von der Kritik überrascht und äußerte seine Entrüstung über die scharfen Worte. Er betonte, dass Ungarn angeblich die EU vor 2.000 Schleppern bewahrt habe, und bezeichnete von der Leyen als „politische Waffe“ gegen Patrioten. In seiner Verteidigungsrede sprach er von „linken Lügen“ und „politischer Propaganda“ und widersprach vehement dem Vergleich zwischen der sowjetischen Invasion in Ungarn 1956 und dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Weitere Reaktionen und Vorwürfe
Der ungarische Oppositionspolitiker Peter Magyar kritisierte Orban scharf und sprach Gerüchte über ein mögliches Flüchtlingslager nahe der österreichischen Grenze an. Magyar forderte Orban auf, ehrlich zu sein und die Schuld nicht auf Brüssel abzuwälzen. Die ungarische Regierung hatte derartige Pläne bisher dementiert.
Im Europäischen Parlament gingen auch österreichische Abgeordnete auf Orban ein. Der FPÖ-Mandatar Harald Vilimsky entschuldigte sich bei Orban für die Kritik, die dieser seiner Meinung nach unverdient ertragen musste, und bezeichnete ihn als „Retter Europas“. Der ÖVP-Abgeordnete Lukas Mandl kritisierte dagegen die Schikanen gegen österreichische Unternehmen in Ungarn, während der SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder Orban als Heuchler bezeichnete, der die Demokratie in Ungarn systematisch abbaut. Auch die Grünen-Abgeordneten Thomas Waitz und Lena Schilling warfen ihm autokratische Tendenzen vor.
Fazit
Orbans Rede im Europaparlament hat eine deutliche Polarisierung zwischen Befürwortern und Kritikern seiner Politik offenbart. Während er Ungarn als Reformmotor der EU darzustellen versucht, sehen viele Abgeordnete ihn als Bedrohung für europäische Werte. Die scharfen Auseinandersetzungen zwischen Orban und von der Leyen spiegeln die tiefen Gräben wider, die aktuell die EU-Politik prägen, insbesondere in den Bereichen Migration, Energiepolitik und Demokratieverständnis
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