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Interdisziplinarität und Entwicklung: Interview mit Prof. Salvatore Giacomuzzi von Ricarda Nellekart

Tumisu (CC0), Pixabay
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Interdisziplinarität und Entwicklung: Interview mit Prof. Salvatore Giacomuzzi

von Ricarda Nellekart

Ricarda Nellekart (RN): Vielen Dank dass du mir für ein Interview zur Verfügung stehst.

Salvatore Giacomuzzi (SG): Sehr gerne!

Ricarda Nellekart (RN): Du hast ja eine erstaunliche Karriere gehabt. Kannst du uns vielleicht etwas dazu erzählen.

Salvatore Giacomuzzi (SG): Ja sehr gerne! Ausgehend von meiner Schulzeit, ich machte das Abitur an einer technischen Schule, hatte ich damals begonnen Physik zu studieren. Nach meiner technischen Grundausbildung war es für mich eines der naheliegenden Studien. Ich liebäugelte zudem mit dem Gedanken, parallel dazu, Medizin zu studieren. Durch Zufall rutschte ich dabei in die Medizinische Physik. Hier sah ich für mich eine sinnvolle Verbindung zwischen Natur- und Humanwissenschaften. Vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte ich das Glück, dass gerade diese Verbindung gefragt war. Viele meiner Berufskollegen, welche sich mehr auf klassische Physik konzentrierten, hatten es da schon schwerer und wurden oft als Computerknechte missbraucht. Heute haben sich die Informationswissenschaften sowie die Informatik wesentlich weiterentwickelt, sodass dies kein klassisches Anwendungsfeld mehr für Physiker ist. Damals war die Situation jedoch vollkommen anders.

Ricarda Nellekart (RN): Du hast dann einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet und dann was völlig anderes gemacht.

Salvatore Giacomuzzi (SG): Ja das ist richtig! Nach einigen Jahren sah ich für mich in der Experimentellen Physik bzw. in der Medizinischen Physik weniger Anwendungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Man war eigentlich in ein hierarchisches System hineingezwängt. Mehr durch Zufall begann ich dann Psychologie zu studieren. Dabei muss ich zugeben, dass ich schon während meiner Studentenzeit als Physiker, sehr gerne Vorlesungen an anderen Fakultäten besuchte. So studierte ich eine ganze Zeit lang Dolmetsch und pädagogischen Wissenschaften mit. Dies war eine sehr abwechslungsreiche und faszinierende Zeit. Nach den quantenmechanischen Rechenübungen ging es zum Beispiel am Nachmittag zu den Translationswissenschaften und dem konsekutiven Übersetzen.

Ricarda Nellekart (RN): Du hast ja dein Psychologiestudium relativ spät begonnen.

Salvatore Giacomuzzi (SG): Stimmt! Dies war ein reiner Zufall. Ein Arbeitskollege von mir begann gerade Psychologie zu studieren und machte mir den Vorschlag doch mitzumachen. Durch meine Berufserfahrung studierte ich schon zielgerichteter und fokussierter. Ich hatte besonderen Spaß an den mathematischen und statistischen Vorlesungen. Dabei kam mir sicher meine Ausbildung als Physiker zugute.

 

Ricarda Nellekart (RN): Es haben sich für dich dann weitere Zufälle ergeben.

Salvatore Giacomuzzi (SG): Genau. Ich hatte das Glück gleich wieder in ein gefragtes Anwendungsgebiet zu kommen. Dies war die Klinische Psychologie. Auf diesem Gebiet sah ich entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten. Wiederum, durch einen weiteren Zufall, landete ich nach einigen Jahren in der Forensik. Hier sah ich, dass gerade in Österreich ein entsprechender Handlungsbedarf herrschte. Zusammen mit anderen Kollegen organisierte ich Fortbildungsveranstaltungen und bemühte mich um entsprechende Entwicklungen auf diesem Gebiet.

 

Ricarda Nellekart (RN): Du bist ja als gerichtlicher Sachverständiger vor einigen Jahren wegen angeblicher Plagiate angegriffen worden. Wie war das?

Salvatore Giacomuzzi (SG): Ich habe mich ganz regulär den Prüfverfahren unterzogen. Ich habe auf meiner Homepage (www.salvatore-giacomuzzi.com) dazu einen eigenen Button gemacht. Da kann jeder alles nachlesen, um was es ging und die Endergebnisse der objektiven und unabhängigen Prüfverfahren.

Als Sachverständiger ist man immer mit zwei Seiten einer Sache konfrontiert. Die einen halten Dich für korrekt, während Dich die anderen mitunter verwünschen. Viele Kollegen sind oft jahrelangen Verfolgungen und rechtlichen Auseinandersetzungen ausgeliefert. Ich bin natürlich nicht der Einzige dem das passiert ist. Je populärer und bekannter die Fälle sind, desto heftiger wird ein Argument ausgetragen. Schön ist das nie und viele Kollegen fürchten sich davor. Das führt dazu, dass mitunter ein eklatanter Mangel an Fachkräften auf diesem Gebiet herrscht. Das Internet und die heutige Medienlandschaft tun ein Übriges dazu, dass sich entsprechende (Fake)Nachrichten schnell verbreiten. Zum Teil wird dies, wie man heute sehr gut weiß, auch gezielt gesteuert. Auch in der Politik ist es so. Entsprechende Suchalgorithmen und unkontrollierbar gewordene Suchmaschinen sind Teil davon. Schon die guten alten Printmedien wussten, dass „bad news are good news“ sind. Schlechte und negative Nachrichten breiten sich auch viel schneller als wahre Informationen im Internat aus. Da gibt es interessante Studien vom MIT dazu. Auch Manfred Spitzer hat in einem Buch darauf hingewiesen. Es ist etwa viel uninteressanter (aber wahr) wenn etwa Donald Trump wirklich einer alten Dame über die Straße hilft, als wie wenn man schreiben könnte was er vielleicht wieder in der Wirtschaftspolitik (angeblich) plant.

Ricarda Nellekart (RN): Ist die sogenannte „Plagiatjagd“ ein modernes Denunziantentum bzw. eine Art Kopfgeldjägerei?

Salvatore Giacomuzzi (SG): Ich würde es so nicht bezeichnen. Es geht ja nicht primär darum, ob jemand ein Plagiat begangen hat oder nicht. Zudem gibt es das sogenannte „Plagiat“ ja gar nicht. Es geht vielmehr um die Kontextbeurteilung der einzelnen Passagen aus dem Blickwinkel des jeweiligen Fachgebietes. Im weiteren geht es auch um das sogenannte Herzstück einer Arbeit. Das ist ja nicht valide mit einem Computerprogramm und ggf. fachfremder Zugehörigkeit beurteilbar. Ein Studium besteht weiters nicht aus einer Abschlussarbeit. Die heutige Medienlandschaft zeigt uns, dass es eigentlich um das „vernadern“ geht und dafür das Gummiband-Konstrukt des Plagiats sowie der angeblich „Gute Glauben“ herangezogen wird. Wenn es wirklich um Wissenschaft geht, warum wird das ganz dann kreuz und quer durch die Schmutzpresse gezogen? Das passt ja nicht zusammen. Mittlerweile entlarvt sich das ja von selbst. Es geht darum Schaden anzurichten und mit dem Namen anderer Leute Werbung zu machen. Negativ-Schlagzeilen orientierte Journalisten tun ein Übriges dazu, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Ricarda Nellekart (RN): Objektive Berichterstattung nimmt also ab?

Salvatore Giacomuzzi (SG): Mit Sicherheit nicht nur dort. Das sieht man ja das jetzt bei der Medienschlacht um den Krieg in der Ukraine. Fake News werden alltäglich und bisweilen unerträglich. Es geht um die Unterscheidung und die Medienkompetenz als Schulfach gibt es noch nicht.

Ricarda Nellekart (RN): Wie ist es dir gelungen dich immer wieder neu in verschiedene Gebiete einzuarbeiten?

Salvatore Giacomuzzi (SG): Weißt du, das ist gar nicht so schwer. Die Physik ist eigentlich eine Denkschule. Man lernt strukturiertes und analytisches Denken. Man lernt das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. So kommt man sehr schnell tiefer in eine Materie hinein, ohne dabei viele Umwege machen zu müssen.

Ricarda Nellekart (RN): Du bist ja auch Psychotherapeut und hast viele andere Dinge gemacht. Erzeugt das nicht auch sehr viel Neid?

Salvatore Giacomuzzi (SG): Ja, ich habe einige Ausbildungen, welche zum Berufsbild der Psychologie gehören, durchlaufen.

Man muss mit Neid umgehen lernen. Man darf dabei nicht seinen eigenen Fokus aus den Augen verlieren. Ich glaube, dass Angriffe, unterschwellig oder offen, viele Menschen betreffen. Ich habe einen Freund, welcher Physik, Mathematik und Astronomie in weniger als der halben Mindeststudienzeit fertig studierte (mit sub auspiciis praesidentis). Er hat sehr unter dem Neid der Professoren und Kollegen gelitten. Daraufhin hat er eine eigene Firma gegründet, sodass er niemanden mehr ober sich, neben sich oder unter sich gehabt hat. In dieser Struktur konnte er sich erfolgreich entwickeln. Er ging damit dem klassischen, universitären Apparat auf dem Weg.

 

Ricarda Nellekart (RN): Wie denkst Du sollen sich heute junge Leute auf die Universität vorbereiten?

Salvatore Giacomuzzi (SG): Die Universität ist heute leider kein Karrieremodell mehr. Begabte Studenten finden auf der Universität keinen wirklichen Nährboden mehr für ihre Zukunft. Ob die Universität, in der Form wie heute, noch in 30 Jahren existieren wird wage ich zu bezweifeln. Die Konkurrenz auf dem Bildungssektor ist sehr groß geworden. Private Einrichtungen oder Hochschulen sind da wesentlich flexibler. Zudem wird es eine Seltenheit werden, dass jemand 20 oder 30 Jahre lang den gleichen Beruf ausüben kann.

Mittlerweile kann man beispielsweise Informatik studieren, ganz ohne Uni und Professuren nur durch „learning by doing“ mit den Fachleuten zusammen. Dazu werden gerade die ersten Kurse in Wien eröffnet. Bewertet werden die Arbeiten durch ein disloziertes, unabhängiges Fachgremium. Dies hat Ähnlichkeiten mit einem „peer review“ System.

 

Ricarda Nellekart (RN): Du hast ja nicht nur an der Universität ein aktives Leben betrieben. So gab es auch einige Kunstbereiche, in denen du tätig warst.

Salvatore Giacomuzzi (SG): In den frühen achtziger Jahren habe ich, teilweise motiviert durch eigenes Musizieren, kleine Festivals für Nachwuchsgruppen organisiert. Dies war in den Jahren 1982 und 1983. Es war sehr erstaunlich, da ca. 800 und sogar mehr Personen hingekommen sind. Dies war ein sehr großer Erfolg. Damals war es sehr schwer für nicht etablierte Gruppen Auftrittsmöglichkeiten zu finden. Mir hat das damals sehr viel Spaß gemacht. Besonders das Improvisieren verlangte sehr viel Kreativität, da wir sehr wenig Geld hatten.

Anfang der Neunzigerjahre verbrachte ich einige Zeit in Pisa. Dabei ging ich am Abend in Open Air Kinos. Ich dachte mir, dass man dies auch in meiner Heimatstadt doch irgendwie zustande bringen könnte. Daraufhin begann ich ein Konzept zu schreiben. Ich suchte dabei verschiedene Locations, welche dazu geeignet erschienen. Zusammen mit dem Leiter eines bekannten Programmkinos (Cinematograph/Leo Kino) führten wir seinerzeit die ersten Gespräche für eine Realisierung. Was soll ich sagen? Das ganze wurde ein Erfolg und das Sommerkino besteht, in einer etwas abgewandelten Form, bis heute und ist nach wie vor ein Publikumsmagnet.

 

Ricarda Nellekart (RN): Was würdest du den heutigen Studenten oder jungen Leuten raten?

Salvatore Giacomuzzi (SG): Das ist schwer zu sagen. In einer so veränderlichen Zeit wie heute würde ich trotzdem meinen eigenen Neigungen nachgehen. Die Sicherheiten auf dem Arbeitssektor sind weniger geworden. Dies ist für junge Leute sehr problematisch, da sie genau im Spannungsfeld zwischen eigenen Zielen und den Zielen anderer stehen. Auf der anderen Seite sind gerade Bildungshybride sehr gefragt, da sie erfolgreich verschiedene (Wissenschaft)Disziplinen miteinander verbinden können. Insofern würde ich junge Menschen raten mehrere Ausbildungszweige gleichzeitig zu verfolgen. Das Bildungssystem ist durchlässiger geworden als vor 35 Jahren. Junge Menschen können sich heute die Universität, auf welche sie studieren wollen, besser aussuchen als früher. Man ist auch weniger vom „good will“ eines Professors abhängig.

Ricarda Nellekart (RN): Vielen Dank für das Interview!

Salvatore Giacomuzzi (SG): Sehr gerne!

Das Interviewexzerpt wurde aus einem laufenden Buchprojekt freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

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