Trotz Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des ausgebenden Unternehmens kann der Anleihegläubiger sich nicht auf ein außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 BGB berufen. Ein dafür notwendiger „wichtiger Grund“ liegt wenigstens dann nicht vor, wenn der Emittent bereits Restrukturierungsbemühungen eingeleitet hat.
In den Jahren 2005 und 2006 emittierte die Deikon GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Entwicklung und Vermietung von Immobilien war, insgesamt drei Anleihen gemäß dem seinerzeit aktuellen Schuldverschreibungsgesetz (1899). An den beiden letzten beteiligten sich die Investoren mit 680.000 Euro bzw. 70.000 Euro. Die Papiere waren mit 6 % p.a. verzinst und wiesen eine Laufzeit bis Juni respektive November 2016 auf. Innerhalb der Anleihebedingungen fanden sich folgende Regelungen zu etwaigen Kündigungsmöglichkeiten: So sollte der Emittent jederzeit dazu berechtigt sein, Teilschuldverschreibungen in eigenem Namen zurückzukaufen sowie die Schuldverschreibung insgesamt oder in Teilen zurückzuzahlen. Den Gläubigern wurde die Berechtigung eingeräumt, ihre Anteile ohne Genehmigung der Gesellschaft jederzeit auf Dritte übertragen zu können.
Infolge der Krise, in die die Gesellschaft in der Mitte des Jahres 2010 geriet und welche dies unverzüglich via Ad-hoc-Mitteilung publizierte, wurden die Zinszahlungen zunächst eingestellt. In einer weiteren Ad-hoc-Mitteilung veröffentlichte der Emittent ein Restrukturierungskonzept, welches nach entsprechenden Gläubigerbeschlüssen unter anderem die Herabsetzung des Zinssatzes auf 1 % p.a. vorsah. In beiden Mitteilungen war der Hinweis enthalten, dass bei unveränderten Anleihebedingungen ein Insolvenzantrag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unausweichlich sei. Nachdem die dafür notwendigen Gläubigerversammlungen für alle drei Anleihen einberufen worden waren, aber noch bevor diese stattfanden, kündigten die Kläger die von ihnen gehaltenen Teilschuldverschreibungen aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB.
Die durchgeführten Versammlungen blieben jedoch aufgrund Nichterreichens des Quorums von mindestens der Hälfte des Nennwerts ohne Erfolg. Erst im Rahmen der jeweils zweiten Versammlungen zwecks erneuter Beschlussfassung im Oktober und November 2010 stimmte die Mehrheit der Anleihegläubiger den Vorschlägen des Emittenten zu.
Das von den Anlegern verfolgte Ziel der Rückzahlung des Nennbetrags sowie der Zinsdifferenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten und dem nun reduzierten Satz konnten diese auch durch Mahnung an den Anleiheschuldner im Oktober 2010 nicht erreichen. Erst das Landgericht Köln gab ihnen im Januar 2012 in erster Instanz größtenteils Recht und sah insbesondere einen wichtigen Grund zur Kündigung gemäß § 314 BGB als gegeben an. Den Klägern sei ein weiteres Festhalten am Vertrag – unabhängig von einer tatsächlich vorliegenden Überschuldung der Gesellschaft – nicht zumutbar gewesen, da bereits die unmittelbar drohende Gefahr der Zahlungsunfähigkeit hierfür ausreichen solle. Eben das habe die Beklagte in den erwähnten Pressemitteilungen selbst bekannt gegeben.
OLG Köln: Kündigung erfolgt zur „Unzeit“
Nachdem im September 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Deikon GmbH eröffnet worden war, schränkte das Oberlandesgericht Köln die Rechtsauffassung der Vorinstanz allerdings ein, indem es insbesondere auf das Primat der Gläubigerversammlung verwies. So stünde den Klägern aufgrund der Vermögensverschlechterung der Beklagten zwar grundsätzlich ein Recht zur Kündigung zu. Diese sei jedoch zur Unzeit erfolgt, da bereits ein Restrukturierungskonzept vorlag, die Gläubigerversammlung bisher aber nicht die Möglichkeit hatte, eine Kündigung durch entsprechenden Beschluss abzuwenden.
Demgegenüber stellte der Bundesgerichthof klar, dass überhaupt kein Kündigungsrecht der Anleihegläubiger existiert habe. Die Frage der Möglichkeit des Ausschlusses des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund innerhalb der Anleihebedingungen oder gar dessen Nichtanwendbarkeit auf Inhaberschuldverschreibungen generell könne deshalb vorliegend offenbleiben. Vielmehr verlange das Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes nach § 314 BGB, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne. Das wiederum sei nur dann der Fall, wenn Gründe vorlägen, die im Risikobereich des Kündigungsgegners lägen.
Kein Kündigungsgrund bei eingeleiteten Sanierungsbemühungen
Vorliegend bestehe für den Anleger aber kein Grund zur außerordentlichen Kündigung, nur weil die wirtschaftliche Lage des emittierenden Unternehmens in dessen eigener Risikosphäre liege. Bei unbesicherten Anleihen, wie den vorliegenden, übernehme der Anleihegläubiger eben auch das Bonitätsrisiko des Unternehmens, wofür er einen Zins erhalte. Unbenommen bleibe es ihm, seine Stücke am Kapitalmarkt zu veräußern und sich dadurch der Anleihe und den damit verbundenen Risiken vollständig zu entledigen. Entscheidend gegen das Vorliegen eines Kündigungsgrundes sprach aus Sicht des BGH darüber hinaus, dass die Anleiheschuldnerin zum Kündigungszeitpunkt bereits Sanierungsmaßnahmen beabsichtigt und zeitnah entfaltet hatte. Insbesondere würden die vorgeschlagenen und später durchgeführten Maßnahmen vom einschlägigen Schuldverschreibungsgesetz explizit erwähnt.
Das Schuldverschreibungsgesetz aus dem Jahr 1899 diene – genau wie das Nachfolgegesetz aus 2009 – dem Ziel der Gleichbehandlung aller Gläubiger, was durch ein geordnetes, faires und transparentes Verfahren erreicht werden solle. Deshalb könne im Rahmen des § 314 BGB nicht einseitig auf die Interessen eines einzelnen Gläubigers geachtet werden. Vielmehr solle die Anwendung des genannten Gesetzes zur Wahrung der gemeinsamen Interessen aller Anleger führen. Bis die Sanierungsbemühungen endgültig gescheitert seien, müssten Individualinteressen daher zurücktreten.
Praxistipp der Kanzlei Göddecke Rechtsanwälte
Das hier besprochene Urteil macht deutlich, dass der Bundesgerichtshof an seiner sanierungsfreundlichen Rechtsprechung festhält. Erfreulicherweise herrscht nun auch Klarheit darüber, wann ein Recht zur außerordentlichen Kündigung der Anleihe vorliegt – und wann nicht.
Kam es bislang häufig zu Anleihekündigungen, um entsprechenden Druck auf das emittierende Unternehmen auszuüben, dürfte diese Vorgehensweise ab Einberufung der Gläubigerversammlung der Vergangenheit angehören. Hat der Anleiheschuldner bereits Sanierungsmaßnahmen angekündigt oder gar eingeleitet, muss diese Chance auch genutzt und von allen Beteiligten mitgetragen werden. Anleihegläubiger nach dem SchVG müssen sich darüber im Klaren sein, dass die einzige individuelle Möglichkeit, sich dem wirtschaftlichen Risiko zu entziehen, im Verkauf der Anteile liegt. Andererseits ist es im Interesse aller Anleger sowie des Unternehmens selbst, in Zeiten der Krise an einem Strang zu ziehen, um die Sanierung erfolgreich zu beenden.
Quelle: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 31. Mai 2016 – Az. XI ZR 370/15
Hartmut Göddecke
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