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Interview mit dem Rechtsanwalt Jens Reime aus Bautzen

Fotocitizen (CC0), Pixabay
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Herr Rechtsanwalt Reime Sie vertreten auch Genossen, welche noch nicht alle Raten eingezahlt haben.

Der Insolvenzverwalter der GENO Wohnbaugenossenschaft, Frank Rüdiger Scheffler,  fordert die säumigen Ratenzahler nun auf alle restlichen Raten bis 30.09.2020 auf einmal zu zahlen. Was ist dabei zu beachten? 

Nachdem die GENO Wohnbaugenossenschaft eG seit 1.08.2018 insolvent ist, konnten Genossen welche vor Insolvenzeröffnung ausgeschieden sind, ihr Auseinandersetzungsguthaben zur Insolvenztabelle anmelden und brauchen auch keine Raten mehr einzahlen.

Alle andere Ratenzahler, welche nicht bis zur Insolvenzeröffnung aus der Genossenschaft ausgeschieden sind, sollen angeblich für die restlichen Raten bis zur Beitrittssumme haften. Mit seinem neuerlichen Schreiben macht der Insolvenzverwalter Scheffler klar, welche Urteile er gegen Genossen bereits erstritten hat und das er die restliche Beträge bis 30.09.2020 haben will.

Nach unseren Recherchen, sind die Urteile nicht alle rechtskräftig und zeigen lediglich eine gewisse Tendenz. Was halten Sie von den Urteilen?

Man muss an dieser Stelle auch klar sagen, dass diese Urteile für die Anwälte der betroffenen Genossen kein Ruhmesblatt sind.  Jeder Anwalt ist dazu verpflichtet, seinem Mandanten den sichersten und günstigsten Weg zu empfehlen. Zwingend hierzu erforderlich ist es aber, dass man als Anwalt das Genossenschaftsrecht überhaupt versteht und für die vorliegenden Fälle auch die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft kennt.

Wir wissen, dass es hier keine reichen Genossen trifft sondern Menschen, welche mit kleinem Einkommen trotzdem Wohnraum erhalten oder eine Immobilie erwerben wollten und deshalb Ratenzahlungen vereinbarten. Irreführend wurde mit dem Slogan „Immer Sicher Wohnen“ geworben, ohne  umfassende Risikobelehrung.

Umso mehr ist es aber wichtig, dass den häufig sehr aufgebrachten Genossen trotzdem „reiner Wein“ eingeschenkt wird und eben von Anwälten nicht das erzählt bzw. geschrieben wird, was sie gerade hören und lesen wollen.

Wenn man die Urteile liest und was diese Anwälte der Genossen so vorgetragen haben, kann man sich nur noch fremdschämen.

Herr RA Reime, was halten Sie von nach der Insolvenzeröffnung ausgesprochenen Kündigungen, Widerrufen und Anfechtungen?

Man sollte wissen, dass eine Kündigung nur schriftlich erfolgen konnte und dass eine ordentliche Kündigung nur zum Ende eines Geschäftsjahres möglich war, allerdings mit einer Frist von einem Jahr lt. §5 der Satzungen.

Das bedeutet, dass alle Genossen die ab dem 1.01.2017 kündigten, vor der Insolvenzeröffnung nicht mehr aus der Genossenschaft ausgeschieden sind, obwohl sie vielleicht eine Bestätigung der Kündigung von der GENO bis zur Insolvenzeröffnung am 1.08.2018 bekamen. Schon das wollen viele Genossen nicht glauben.

Es ist völlig natürlich, dass bei unverhofften Zahlungsaufforderungen an eine fristlose Kündigung oder Widerruf gedacht wird.

Der Anwalt des Insolvenzverwalters und die Gerichte meint jedoch, dass alle Raten schon sofort bei Beitritt zur GENO und damit vor Insolvenzeröffnung fällig gewesen wären, weil die Ratenzahlungsvereinbarung gegen das Genossenschaftsgesetz verstieß. Demnach sollen eine nachträgliche Kündigung oder ein Widerruf oder eine Anfechtung nicht mehr helfen, da sie nach gegnerischer Rechtsauffassung nicht rückwirkend gelten.

Was ist denn mit dem Strafverfahren?

Bekanntlich ist der letzte Vorstand der GENO in Haft und läuft derzeit vor dem LG Stuttgart der Strafprozess gegen ihn mit unzähligen Zeugenvernehmungen.

Angeklagt sind aber nur Straftaten, die er ab 1.01.2015 (!) begangen haben soll und es gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Wenn überhaupt, könnten lediglich Beitritte samt Zahlungsverpflichtungen ab 1.01.2015 in Frage gestellt werden. Das wäre eine der wenigen Chancen für die Genossen.

Etwaige Straftaten durch den Vorstand wie auch eine etwaige Falschberatung durch den jeweiligen Berater oder Vermittler können zwar grundsätzlich zu einem Schadensersatzanspruch des Genossen führen, helfen aber nicht gegen die Ansprüche des Insolvenzverwalters auf Erfüllung der Einlageverpflichtung.

Was hat es mit den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft auf sich?

Die gegnerischen Anwälte meinen, weil die Ratenzahlungsvereinbarung nichtig sei, geltend die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft mit der Rechtsfolge, dass alle Beträge sofort verlangt werden können. Wir haben da erhebliche Zweifel und unterscheiden jedenfalls zwischen der Frage der Anwendbarkeit und den Rechtsfolgen. Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft ist im Laufe ihrer jahrzehntelangen Entwicklung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft anhand von recht unterschiedlich gelagerten Einzelfällen – einen solchen wie hier gab es noch nicht – den mit zum Teil verschiedenen Begründungen schrittweise zu allgemeiner Anerkennung gelangt. Es gilt der Grundsatz, dass eine fehlerhafte Gesellschaft regelmäßig nicht von Anfang an nichtig, sondern wegen des Nichtigkeits- und Anfechtungsgrundes nur mit Wirkung für die Zukunft vernichtbar ist.

Die Kernfrage im vorliegenden Falle ist, was gilt, wenn wie hier die Ratenzahlungsvereinbarung nichtig ist. Das wurde bislang nicht entschieden. Sehr gut lesen lassen sich dafür die Ausführungen des Bundesgerichtshofes in BGH II ZR 13/77:

Der Geschäftsanteil eines Genossen als der Höchstbetrag, bis zu dem er sich mit Einlagen beteiligen kann (§ 7 GenG), und die Einzahlungen auf ihn sind ihrer Rechtsnatur und Zweckbestimmung nach auf einen lebenden Geschäftsbetrieb bezogen (RGZ 73, 410ff). Sie dienen in erster Linie dazu, die Genossenschaft mit flüssigen Mitteln auszustatten (BGHZ 15, 66, 70) und können für die Bildung von Geschäftsguthaben und die Verteilung von Gewinn und Verlust (§ 19 GenG) oder eines Liquidationserlöses (§ 91 GenG) von Bedeutung sein. Dasselbe gilt für die Übernahme weiterer Geschäftsanteile. Sie begründet zwar keine mehrfache Mitgliedschaft, erweitert aber die vermögensmäßige Beteiligung mit den dazu gehörigen Rechten und Pflichten (RGZ 125, 196, 201). Für eine solche Erweiterung ist nach Auflösung der Genossenschaft kein Raum mehr.

Das sollte bedeuten, dass es nach Insolvenzeröffnung keinen Grund gibt Raten zu verlangen, deren ursprüngliche Fälligkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten wäre.

Rettet eventuell die Verjährungsfrist?

Natürlich können Ansprüche des Insolvenzverwalters auch verjähren. Diese erfolgt 10 Jahre Tag genau nach Beitritt gemäß §22 Abs.6, S.1 GenG. Solche Fälle sind allerdings sehr selten.

Mit welchem Prozesskostenrisiko müssen die Genossen rechnen?

Die durchschnittliche Forderungshöhe beträgt hier € 10.000,00. Verliert ein Anleger diesen Prozess, weil er sich nach anwaltlichen Rat eben nicht vorgerichtlich einigen wollte, muss er neben diesem Betrag auch noch mindestens € 4.000 Anwalts- und Gerichtskosten zahlen.  Bei einer Forderung von € 5.000 wären es € 2.500 und bei € 20.000 schon € 5.500.

Es ist klar, dass jeder Anwalt auch Geld verdienen will. Es ist aber unzulässig, selbst aufgebrachte Genossen in ein „offenes Messer“ laufen zu lassen und die Prozessrisiken nicht nachdrücklich klar zu machen. Wir haben die herumgereichten Urteile „nicht verbockt“, unsere Verfahren laufen noch.

Wir haben aufgrund individueller Besonderheiten schon eine Vielzahl von Fällen ohne Gerichtsverfahren zur Zufriedenheit unserer Mandantschaft klären können. Zuletzt erreichten wir einen Schuldenerlass für einen Mandanten, weil ihm ansonsten eine Insolvenz drohte.

Denn klar ist auch, dass der Insolvenzverwalter dann nicht klagt, wenn dies rechtlich oder wirtschaftlich sinnlos oder gar schädlich für die Masse wäre. Dazu muss aber auch eine belastbare Darlegung der Rechtslage und der wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgen und nicht nur eine Gegenwehr mit sonderbaren Rechtsansichten.

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