Interviewer: Herr Bremer, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Deutschland gilt im internationalen Vergleich als ein Land der Aktienmuffel. Warum investieren deutsche Anleger so selten in Aktien oder Aktienfonds?
Thomas Bremer: Vielen Dank für die Einladung! Tatsächlich ist das Verhalten der deutschen Anleger gegenüber Aktien sehr konservativ. Das hat kulturelle, historische und strukturelle Gründe. Nach den wirtschaftlichen Krisen des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskrise, haben viele Deutsche ein tiefes Misstrauen gegenüber Wertpapieren entwickelt. Zusätzlich wird in Deutschland traditionell viel Wert auf Sicherheit gelegt. Sparbücher, Tagesgeldkonten und Immobilien gelten nach wie vor als „sichere“ Anlageformen, auch wenn sie in Zeiten niedriger Zinsen kaum Rendite bringen.
Interviewer: Welche Konsequenzen hat dieses Verhalten für den Vermögensaufbau der Deutschen?
Thomas Bremer: Die Konsequenzen sind erheblich. Wer langfristig nur auf vermeintlich sichere Anlageformen wie Sparbücher setzt, verpasst die Chance, von der Wertentwicklung der Wirtschaft zu profitieren. Aktien sind langfristig eine der renditestärksten Anlageformen – und das auch nach Berücksichtigung von Schwankungen und Krisen. Ein Beispiel: Während Sparguthaben oft nur geringe oder gar keine Zinsen bringen und durch die Inflation an Kaufkraft verlieren, haben breite Aktienindizes Jahrzehnte eine durchschnittliche Jahresrendite von 6-8 Prozent erzielt. Diese Diskrepanz kann sich über Jahre massiv auf das Vermögen auswirken.
Interviewer: Warum schneiden andere Länder, wie die USA oder auch skandinavische Länder, besser ab, wenn es um Aktieninvestments geht?
Thomas Bremer: In den USA ist die Aktienkultur tief verwurzelt. Die Mehrheit der Arbeitnehmer investiert über ihre Altersvorsorgepläne, wie den 401(k), direkt in Aktien oder Fonds. Dort werden Aktien als natürlicher Bestandteil des Vermögensaufbaus wahrgenommen. Auch die skandinavischen Länder haben eine ausgeprägte Aktienkultur, was zum Teil auf eine bessere Finanzbildung und staatliche Förderprogramme zurückzuführen ist.
In Deutschland hingegen fehlt oft das Verständnis für die Chancen und Risiken der Kapitalmärkte. Zudem wird das Thema Aktien in der Schule oder im Alltag kaum behandelt. Viele Menschen assoziieren Aktien auch nur mit Spekulation, nicht mit langfristigem Vermögensaufbau.
Interviewer: Was könnte getan werden, um diese Einstellung in Deutschland zu ändern?
Thomas Bremer: Bildung ist der Schlüssel. Wir brauchen dringend mehr finanzielle Allgemeinbildung in den Schulen. Junge Menschen sollten lernen, wie sie ihr Geld investieren können und welche Rolle Aktien dabei spielen. Auch Unternehmen und Medien könnten dazu beitragen, das Image von Aktien zu verbessern. Es ist wichtig, den Menschen die Angst zu nehmen und klarzumachen, dass es nicht darum geht, auf einzelne riskante Aktien zu setzen, sondern breit diversifiziert über ETFs oder Fonds zu investieren.
Außerdem wäre es hilfreich, steuerliche Anreize für die private Altersvorsorge zu schaffen, die aktienbasierte Investments einbeziehen. Der Staat könnte mit gezielten Förderungen wie Sparplänen oder Zuschüssen dafür sorgen, dass mehr Menschen überhaupt den Zugang zu Aktien finden.
Interviewer: Was wären Ihre Tipps für jemanden, der bisher keine Aktien besitzt und jetzt einsteigen möchte?
Thomas Bremer: Mein erster Tipp wäre: Keine Angst vor Fehlern! Der Einstieg in den Aktienmarkt muss nicht kompliziert sein. Wer unsicher ist, sollte mit einem breit gestreuten ETF beginnen. Diese Fonds bilden oft Hunderte von Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Ländern ab und reduzieren so das Risiko einzelner Fehlentscheidungen.
Zweitens: Investieren Sie langfristig. Der Aktienmarkt kann kurzfristig schwanken, aber über einen Zeitraum von 10, 20 oder 30 Jahren glätten sich die Kurven. Drittens: Nutzen Sie einen Sparplan. Mit kleinen monatlichen Beiträgen können Sie auch mit wenig Kapital starten und vom sogenannten Durchschnittskosteneffekt profitieren.
Interviewer: Vielen Dank für diese spannenden Einblicke, Herr Bremer. Gibt es abschließend noch etwas, das Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben möchten?
Thomas Bremer: Sehr gerne. Ich möchte jeden ermutigen, sich mit dem Thema Aktien auseinanderzusetzen. Es ist nie zu spät, damit anzufangen. Gerade in einer Zeit, in der die Renten löchrig und die Zinsen niedrig sind, sind Aktien eine wichtige Säule für den Vermögensaufbau und die Altersvorsorge. Wir müssen zudem von fragwürdigen und risikoreicheren Anlageformen wie Genussrechten, Nachrangdarlehen oder hochriskanten Anleihen Abstand nehmen. Diese können zwar kurzfristig hohe Renditen versprechen, bergen aber oft massive Risiken, die gerade für unerfahrene Anleger schwer einzuschätzen sind. Wichtig ist, sich gut zu informieren und langfristig zu denken. Vielen Dank für das Interview!
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