Interviewer: Herr Bremer, im Zusammenhang mit offenen Fonds wird häufig das Thema Liquiditätsrisiken angesprochen. Was genau versteht man unter einem „offenen Fonds“ und warum ist Liquiditätsmanagement in diesem Bereich so wichtig?
Thomas Bremer: Ein offener Fonds, oder Open-Ended Fund (OEF), ist ein Investmentvehikel, das den Anlegern erlaubt, ihre Anteile jederzeit zurückzugeben. Dies erfolgt in der Regel auf Basis des Net Asset Value (NAV), also des Wertes der Fondsanteile. Die Herausforderung entsteht, wenn viele Anleger gleichzeitig Anteile zurückgeben wollen, was zu Liquiditätsengpässen führen kann. Ein solides Liquiditätsmanagement ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass der Fonds in der Lage ist, Rücknahmen ohne größere Marktausschläge oder unfaire Auswirkungen auf die verbleibenden Anleger zu erfüllen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Struktur des Fonds und die Liquidität der darin gehaltenen Assets gut aufeinander abzustimmen.
Interviewer: Im aktuellen Bericht von IOSCO wird empfohlen, Liquidity Management Tools (LMTs) zu verwenden, um diese Risiken zu steuern. Was genau sind diese Tools und warum sind sie so wichtig?
Thomas Bremer: Liquidity Management Tools, oder LMTs, sind Mechanismen, die Fondsmanagern helfen, Liquiditätsengpässe zu überwinden. Sie verhindern, dass die Rückgabe von Anteilen durch Anleger zu einer massiven Belastung des Fonds führt. Ein Beispiel ist Swing Pricing, bei dem der NAV des Fonds angepasst wird, um die Kosten der Liquidation von Vermögenswerten auf die an den Rücknahmen beteiligten Anleger zu übertragen. Dies schützt die verbleibenden Investoren vor Verwässerung durch die Transaktionskosten. Andere Tools umfassen Anti-Dilution-Levies oder auch Mengenbasierte LMTs, die dazu beitragen, dass Rücknahmen in stressigen Marktbedingungen nicht zu unfairen Marktverzerrungen führen. Diese Tools sind notwendig, um den Interessen aller Anleger gerecht zu werden und den Fonds stabil zu halten.
Interviewer: IOSCO betont die Notwendigkeit, quantitative und qualitative Faktoren bei der Bewertung der Liquidität von Fondsassets zu berücksichtigen. Was sind diese Faktoren und wie beeinflussen sie das Risikomanagement?
Thomas Bremer: Die Bewertung der Liquidität eines Fonds erfordert eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Faktoren. Quantitative Faktoren beinhalten beispielsweise die durchschnittliche tägliche Handelsmenge eines Vermögenswertes oder die Anzahl der Tage, die es dauert, diesen Vermögenswert in Bargeld umzuwandeln, ohne den Marktpreis erheblich zu beeinflussen. Qualitative Faktoren umfassen Aspekte wie die Marktstruktur, die Stabilität der Preisfindung oder die Liquidität der einzelnen Vermögenswerte unter Stressbedingungen. Diese Informationen helfen den Fondsmanagern zu bestimmen, wie viel Flexibilität der Fonds bei Rücknahmen bieten kann, ohne dass dies zu einer negativen Auswirkung auf den Wert des Portfolios führt.
Interviewer: Im Bericht wird außerdem empfohlen, dass Fondsmanager sicherstellen müssen, dass die Rücknahmebedingungen des Fonds mit der Liquidität der Portfolioanlagen übereinstimmen. Was bedeutet das konkret?
Thomas Bremer: Das bedeutet, dass die Bedingungen für Rücknahmen, wie etwa die Häufigkeit der Rückgabemöglichkeiten und die Fristen, im Einklang mit der Liquidität der gehaltenen Assets stehen sollten. Ein Fonds, der viele illiquide Vermögenswerte wie Immobilien oder Unternehmensanleihen hält, sollte beispielsweise nicht täglich Rücknahmen anbieten. Stattdessen könnten längere Rücknahmefristen oder ein limitierter Rücknahmesatz erforderlich sein. Dies stellt sicher, dass der Fonds in der Lage ist, die Rückgaben ohne drastische Auswirkungen auf die Märkte oder das verbleibende Portfolio zu erfüllen.
Interviewer: Wie können diese Empfehlungen in der Praxis umgesetzt werden? Gibt es konkrete Beispiele aus der Branche?
Thomas Bremer: In der Praxis bedeutet dies, dass Fondsmanager regelmäßig die Liquidität des Portfolios bewerten und, wenn notwendig, LMTs einsetzen. Ein konkretes Beispiel ist der Einsatz von Swing Pricing bei Fonds, die in weniger liquide Märkte investieren, wie etwa in Unternehmensanleihen oder Private Equity. Hier wird der NAV angepasst, wenn es zu großen Rücknahmen kommt, sodass die verbleibenden Anleger nicht unter den Transaktionskosten leiden. Ein weiteres Beispiel sind Langfristige Asset-Fonds (LTAFs) in Großbritannien, die speziell dafür entwickelt wurden, in illiquide Anlagen zu investieren und ihre Rücknahmebedingungen entsprechend anzupassen. Diese Fonds bieten den Anlegern nur einmal im Monat die Möglichkeit, Rücknahmen zu tätigen, um sicherzustellen, dass der Fonds nicht durch plötzliche Liquiditätsbedürfnisse destabilisiert wird.
Interviewer: IOSCO hebt auch die Bedeutung von Stress-Tests für die Liquidität hervor. Wie werden diese in der Praxis durchgeführt und welche Vorteile bieten sie?
Thomas Bremer: Stress-Tests simulieren extreme Marktbedingungen, wie etwa plötzliche Marktverkäufe oder hohe Rücknahmen, um zu prüfen, wie der Fonds in solchen Szenarien reagiert. Diese Tests helfen Fondsmanagern, Schwächen im Liquiditätsmanagement zu identifizieren und frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um den Fonds zu stabilisieren. In der Praxis werden Szenarien modelliert, die sowohl normale Marktbedingungen als auch extremere Stresssituationen berücksichtigen. Zum Beispiel könnte man die Auswirkungen einer Bankenkrise oder eines plötzlichen Marktrückgangs auf die Liquidität eines Fonds untersuchen. Solche Tests bieten den Vorteil, dass sie proaktive Maßnahmen ermöglichen, um im Falle eines Marktschocks besser vorbereitet zu sein.
Interviewer: Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Liquiditätsmanagements bei offenen Fonds?
Thomas Bremer: Ich erwarte, dass die Regulierung und die Empfehlungen von IOSCO in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werden. Fondsmanager werden zunehmend dazu verpflichtet sein, eine breitere Palette von Liquidity Management Tools zu nutzen und diese regelmäßig anzupassen, um mit der sich ständig ändernden Marktlandschaft Schritt zu halten. Ich denke auch, dass die Technologie eine größere Rolle spielen wird – etwa durch den Einsatz von Datenanalyse und KI, um die Liquidität genauer und in Echtzeit zu überwachen. Langfristig wird die Fähigkeit, Liquiditätsrisiken effektiv zu managen, eine Schlüsselkomponente für den Erfolg von offenen Fonds darstellen.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Bremer, für Ihre wertvollen Einblicke in dieses komplexe Thema.
Thomas Bremer: Ich danke Ihnen! Es ist ein spannendes Thema, und es wird zunehmend wichtiger, dass alle Akteure in der Branche ihre Verantwortung für das Liquiditätsmanagement ernst nehmen.
Kommentar hinterlassen