Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt eingelegt, das ihre Allgemeinverfügung zu Zinsanpassungsklauseln bei Prämiensparverträgen in Teilen aufgehoben hatte. Rechtsanwältin Kerstin Bintschev, Expertin für Bank- und Kapitalmarktrecht, ordnet die Bedeutung dieser Entscheidung und die Folgen für Verbraucher ein.
Frau Bintschev, die BaFin hat Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt eingelegt. Was ist der Kern des Konflikts?
Kerstin Bintschev: Der Streit dreht sich um Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen, die von vielen Kreditinstituten seit Jahren genutzt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits vor zwanzig Jahren klargestellt, dass einseitige Zinsanpassungsklauseln, die den Banken uneingeschränktes Leistungsbestimmungsrecht einräumen, unwirksam sind. Dennoch haben viele Banken keine transparenten und rechtlich korrekten Nachbesserungen vorgenommen. Die BaFin wollte mit ihrer Allgemeinverfügung aus dem Jahr 2021 sicherstellen, dass Verbraucher über die Unwirksamkeit dieser Klauseln informiert und Nachzahlungsansprüche berechnet werden. Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat jedoch geurteilt, dass die BaFin keine ausreichenden Voraussetzungen für ein solches Eingreifen nachweisen konnte.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat die Verfügung in Bezug auf die klagenden Kreditinstitute aufgehoben. Was war die Begründung?
Kerstin Bintschev: Das Gericht hat zwar festgestellt, dass die Kreditinstitute die Vorgaben des BGH nicht vollständig erfüllt haben. Es hat jedoch keinen verbraucherschutzrelevanten Missstand erkannt. Ein solcher Missstand liegt laut Gesetz nur vor, wenn ein erheblicher, dauerhafter oder wiederholter Verstoß gegen Verbraucherschutzvorgaben vorliegt. Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass diese Voraussetzungen hier nicht gegeben seien und dass es den Kreditinstituten überlassen bleiben sollte, die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen.
Die BaFin sieht das offenbar anders und hat Berufung eingelegt. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Kerstin Bintschev: Die Berufung ist ein konsequenter und notwendiger Schritt. Die BaFin möchte ihre Eingriffsbefugnisse zugunsten des kollektiven Verbraucherschutzes klären lassen. Es geht hier nicht nur um Prämiensparverträge, sondern um eine grundsätzliche Frage: Welche Maßnahmen darf die BaFin ergreifen, um Verbraucherrechte kollektiv zu schützen? Sollte das Berufungsgericht zugunsten der BaFin entscheiden, würde dies der Behörde stärkere Handlungsoptionen geben – und das wäre ein wichtiges Signal an Kreditinstitute, ihre rechtlichen Verpflichtungen endlich konsequent umzusetzen.
Was bedeutet das Urteil des Verwaltungsgerichts konkret für die betroffenen Verbraucher?
Kerstin Bintschev: Zunächst einmal bleibt wichtig: Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts betrifft nur die Allgemeinverfügung der BaFin. Die zivilrechtlichen Ansprüche der Verbraucher auf Nachzahlung bleiben davon unberührt. Nach den jüngsten Urteilen des BGH vom Juli 2024 wissen wir, dass Verbraucher Anspruch auf eine Zinsnachberechnung haben, die sich an einer klar definierten Referenzzeitreihe orientiert. Die BaFin empfiehlt zu Recht, dass Verbraucher ihre Verträge prüfen und mögliche Ansprüche geltend machen sollten, bevor diese verjähren.
Können Sie erläutern, was die jüngsten Urteile des BGH konkret bewirken?
Kerstin Bintschev: In seinen Urteilen vom 9. Juli 2024 (Az. XI ZR 44/23 und XI ZR 40/23) hat der BGH erstmals verbindliche Parameter für die Nachberechnung von Zinsen festgelegt. Dabei wurde die Zeitreihe für Umlaufsrenditen börsennotierter Bundesanleihen mit Restlaufzeiten von 8 bis 15 Jahren als geeigneter Referenzzinssatz bestätigt. Das schafft endlich Klarheit darüber, wie die Lücken in den Verträgen gefüllt werden können. Die Kreditinstitute können sich nicht mehr hinter einer angeblich unklaren Rechtslage verstecken.
Was können Verbraucher tun, wenn sie einen Prämiensparvertrag besitzen und den Verdacht haben, zu wenig Zinsen erhalten zu haben?
Kerstin Bintschev: Verbraucher sollten ihre Verträge dringend prüfen lassen, insbesondere ältere Prämiensparverträge. Es gibt spezialisierte Verbraucherschutzorganisationen und Anwälte, die bei der Durchsetzung von Nachzahlungsansprüchen unterstützen können. Wichtig ist, schnell zu handeln, da viele dieser Ansprüche zu verjähren drohen. Verbraucher sollten die Banken schriftlich zur Nachberechnung der Zinsen auffordern und sich dabei auf die BGH-Rechtsprechung berufen.
Was bedeutet die Berufung für die Kreditinstitute? Können sie darauf hoffen, dass die BaFin geschwächt wird?
Kerstin Bintschev: Sollte die Berufung scheitern, wäre das sicherlich eine Erleichterung für die Kreditinstitute. Doch unabhängig davon bleibt die zivilrechtliche Verpflichtung der Banken bestehen. Die BGH-Urteile sind klar, und die Institute müssen sich an die festgelegten Parameter halten. Mit der Berufung geht es eher um die Frage, ob die BaFin auch in Zukunft aktiv steuernd eingreifen darf. Kreditinstitute sollten sich aber nicht darauf verlassen, dass sie ohne rechtliche Konsequenzen weiterhin intransparent handeln können.
Wie wichtig ist die Rolle der BaFin im Verbraucherschutz?
Kerstin Bintschev: Die BaFin spielt eine zentrale Rolle, weil sie nicht nur im Einzelfall handelt, sondern den kollektiven Verbraucherschutz vorantreibt. Während Verbraucher selbst aktiv werden müssen, um ihre Ansprüche geltend zu machen, kann die BaFin durch Allgemeinverfügungen und Eingriffe einheitliche Standards setzen. Das schafft Druck auf die Institute und sorgt für mehr Transparenz. Die Berufung der BaFin ist ein wichtiger Schritt, um diese Rolle zu stärken.
Abschließend: Was erwarten Sie von der Berufung?
Kerstin Bintschev: Ich erwarte, dass die Berufungsinstanz den Standpunkt der BaFin stärkt. Die Verbraucherschutzvorgaben dürfen nicht zu eng ausgelegt werden, sonst untergräbt das den kollektiven Schutz der Verbraucher. Ich hoffe, dass ein obergerichtliches Urteil mehr Rechtssicherheit schafft – sowohl für die BaFin als auch für die Verbraucher.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bintschev.
Hinweis für Verbraucher: Wer Prämiensparverträge besitzt, sollte die Möglichkeit einer Zinsnachberechnung prüfen lassen. Weitere Informationen bietet die BaFin unter www.bafin.de.
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