Frage: Frau Bontschev, das Hanseatische Oberlandesgericht hat kürzlich entschieden, dass personalisierte Werbung auf Basis vorhandener Kundendaten auch ohne ausdrückliche Einwilligung zulässig sein kann. Wie beurteilen Sie dieses Urteil?
Kerstin Bontschev: Das Urteil ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt hin zu mehr Rechtssicherheit für Unternehmen. Es bestätigt, dass Direktwerbung – solange sie verhältnismäßig und transparent erfolgt – durchaus im Rahmen des berechtigten Interesses nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zulässig ist. Das wurde in der Praxis oft zu vorsichtig oder gar falsch eingeschätzt.
Frage: Gilt das auch für personalisierte Produktempfehlungen, also Werbung, die auf Kaufverhalten basiert?
Kerstin Bontschev: Ja, genau das war ja Gegenstand des Verfahrens. Der Online-Marktplatz hatte auf Basis der Kaufhistorie Empfehlungen ausgesprochen – also nach dem Prinzip: Wer A kauft, könnte auch B interessieren. Das OLG Hamburg hat klargestellt, dass dies keine unzulässige Profilbildung darstellt, sondern eine legitime werbliche Nutzung vorhandener Kundendaten ist – natürlich unter der Bedingung, dass der Kunde jederzeit widersprechen kann und die Informationen über die Datenverarbeitung transparent sind.
Frage: Die Kläger hatten auch die Pflicht zur Erstellung eines Kundenkontos kritisiert. Was sagt das Urteil dazu?
Kerstin Bontschev: Auch hier war das Gericht klar: Ein verpflichtendes Kundenkonto ist zulässig, wenn es der Vertragserfüllung und Sicherheit dient. Es besteht kein Anspruch auf einen Gastzugang. Für viele Online-Händler ist das eine enorme Erleichterung, da damit datenschutzrechtlich abgesichert ist, was technisch und organisatorisch ohnehin üblich ist.
Frage: Wie passt dieses Urteil zur allgemeinen Diskussion über Datenschutz und Verbraucherschutz?
Kerstin Bontschev: Das Urteil bringt eine wichtige Balance in die Debatte. Datenschutz darf nicht zur Innovationsbremse werden. Die DSGVO sieht ausdrücklich in Erwägungsgrund 47 vor, dass Direktwerbung ein berechtigtes Interesse darstellen kann. Das OLG hat hier also nicht „lockerer“ geurteilt, sondern sich auf den Willen des Gesetzgebers zurückbesonnen. Und: Der Verbraucher ist durch das jederzeitige Widerspruchsrecht weiterhin ausreichend geschützt.
Frage: Welche Auswirkungen hat das Urteil für Unternehmen?
Kerstin Bontschev: Es schafft Handlungsspielräume – aber eben unter der Voraussetzung, dass Unternehmen ihre Datenschutzprozesse im Griff haben. Transparenz, klare Informationen und ein effektives Widerspruchsmanagement sind Pflicht. Wer das beherzigt, kann seine Marketingmaßnahmen auch ohne zusätzliche Einwilligungen auf eine stabile rechtliche Grundlage stellen. Das spart nicht nur Aufwand, sondern macht datengetriebenes Marketing wieder praktikabler.
Frage: Müssen Unternehmen jetzt ihre Datenschutzstrategie überdenken?
Kerstin Bontschev: Im besten Fall haben sie diese Strategie ohnehin regelmäßig auf dem Prüfstand. Dieses Urteil ist ein guter Anlass, genau hinzuschauen: Wie werden Daten verarbeitet? Welche Informationen bekommt der Kunde? Wie leicht kann er widersprechen? Wer das jetzt sauber dokumentiert und umsetzt, ist auf einem guten Weg.
Frage: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bontschev.
Kerstin Bontschev: Sehr gerne.
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