Redaktion: Frau Bontschev, Crowdfunding hat in den letzten Jahren in Europa stark an Bedeutung gewonnen. Warum ist dieses Finanzierungsmodell so wichtig?
Kerstin Bontschev: Crowdfunding ist eine alternative Finanzierungsform, die insbesondere für Start-ups und kleine bis mittlere Unternehmen (KMU) von Bedeutung ist. Diese Unternehmen haben oft Schwierigkeiten, über traditionelle Banken Kredite zu erhalten, da sie als zu risikoreich gelten. Crowdfunding ermöglicht es ihnen, Kapital direkt von vielen kleinen Anlegern – der sogenannten „Crowd“ – zu erhalten. Für Anleger bietet es die Möglichkeit, sich an innovativen Projekten zu beteiligen und potenziell hohe Renditen zu erzielen.
Darüber hinaus fördert Crowdfunding die wirtschaftliche Vielfalt, da es Projekte unterstützt, die sonst vielleicht nie realisiert worden wären. Länder wie Frankreich und die Niederlande, die gut regulierte nationale Märkte haben, sind führend in diesem Bereich.
Redaktion: Trotz der Vorteile wird Crowdfunding als Investment für Kleinanleger oft als gefährlich eingestuft. Warum ist das so?
Kerstin Bontschev: Es gibt mehrere Risiken, die Crowdfunding für Kleinanleger problematisch machen können:
- Hohes Ausfallrisiko:
Viele Crowdfunding-Projekte, insbesondere im kredit- und eigenkapitalbasierten Bereich, sind risikoreich. Start-ups haben eine hohe Insolvenzrate, und Investoren können ihren gesamten Einsatz verlieren. - Mangelnde Liquidität:
Bei eigenkapitalbasiertem Crowdfunding können die Anteile oft nicht einfach verkauft werden. Anleger sind daher langfristig gebunden und können ihr Investment nicht kurzfristig liquidieren. - Begrenzte Transparenz:
Obwohl es regulatorische Fortschritte gibt, ist die Transparenz bei Crowdfunding-Plattformen nicht immer ausreichend. Anleger haben oft nicht genug Informationen, um das Risiko eines Projekts korrekt einzuschätzen. - Fehlender Schutz:
Kleinanleger sind oft unerfahren und verstehen die finanziellen und rechtlichen Implikationen ihrer Investitionen nicht vollständig. Dies macht sie besonders anfällig für Verluste.
Der ESMA-Marktbericht zeigt, dass 87 % der Investoren im Crowdfunding-Markt Privatpersonen sind, die durchschnittlich kleinere Beträge investieren. Das deutet darauf hin, dass viele Anleger nur eine begrenzte Expertise haben.
Redaktion: Welche Maßnahmen gibt es, um diese Risiken zu minimieren?
Kerstin Bontschev: Die EU hat mit der Einführung des European Crowdfunding Service Providers Regulation (ECSPR)-Regelwerks bereits wichtige Schritte unternommen. Dieses Regelwerk sorgt für einheitliche Standards in der EU und verbessert den Schutz der Anleger. Dazu gehören:
- Risikowarnungen: Plattformen sind verpflichtet, Anleger über die Risiken zu informieren.
- Begrenzung der Investitionssummen: Kleinanleger dürfen nur einen bestimmten Prozentsatz ihres verfügbaren Einkommens investieren.
- Erhöhte Transparenz: Plattformen müssen mehr Informationen über Projekte und Risiken bereitstellen.
Allerdings bleibt die Eigenverantwortung der Anleger zentral. Es ist wichtig, dass sie sich intensiv mit den Projekten beschäftigen und ihr Risiko diversifizieren, anstatt alles auf ein einzelnes Projekt zu setzen.
Redaktion: Was raten Sie Kleinanlegern, die in Crowdfunding investieren möchten?
Kerstin Bontschev: Mein Rat ist klar: Seien Sie vorsichtig und informieren Sie sich gründlich. Anleger sollten Folgendes beachten:
- Risikoanalyse: Verstehen Sie das Geschäftsmodell des Projekts und bewerten Sie die Erfolgschancen realistisch.
- Diversifikation: Streuen Sie Ihre Investitionen über mehrere Projekte, um Verluste zu minimieren.
- Regulierte Plattformen nutzen: Investieren Sie nur über Plattformen, die unter das ECSPR fallen und reguliert sind.
- Realistische Erwartungen: Seien Sie sich bewusst, dass es sich um ein Hochrisiko-Investment handelt und ein Totalverlust möglich ist.
Crowdfunding ist eine spannende Möglichkeit, aber es ist kein Ersatz für ein solides und ausgewogenes Portfolio. Es sollte immer nur einen kleinen Teil der Gesamtinvestitionen ausmachen.
Redaktion: Frau Bontschev, vielen Dank für Ihre Einblicke!
Kerstin Bontschev: Sehr gerne. Es ist wichtig, Anleger über die Chancen und Risiken von Crowdfunding aufzuklären, damit sie informierte Entscheidungen treffen können.
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