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Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev: „Die Rolle der Vermittler steht im Fokus“

styles66 (CC0), Pixabay
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Frage: Frau Bontschev, die DEGAG-Gruppe hat Zinszahlungen an Anleger ausgesetzt. Was bedeutet das für Ihre Mandanten?

Bontschev: Die Situation ist für unsere Mandanten äußerst besorgniserregend. Viele haben in Genussrechte investiert, die ein Totalverlustrisiko bergen. Wir prüfen derzeit die Anlagen unserer Mandanten und suchen gezielt nach Haftungsgegnern, die neben der Gesellschaft selbst in Frage kommen, wie beispielsweise die Anlagevermittler.

Frage: Wie sieht die rechtliche Grundlage für die Haftung der Vermittler aus?

Bontschev: Vermittler sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) verpflichtet, Anleger umfassend und richtig über die wesentlichen Umstände einer Anlage zu informieren. Das betrifft insbesondere die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Modells und die Bonität des Kapitalsuchenden. Wenn ein Vermittler diese Pflicht verletzt, haftet er für die entstandenen Schäden.

Frage: Gibt es Anhaltspunkte, dass Vermittler im Fall der DEGAG ihre Pflichten verletzt haben?

Bontschev: Ja, die uns vorliegenden Unterlagen zeigen, dass viele Mandanten ihre Anlagen auf Empfehlung von Vermittlern gezeichnet haben. Ein zentraler Punkt ist, dass die DEGAG-Gruppe seit 2021 keine Jahresabschlüsse mehr veröffentlicht hat. Vermittler hätten ihre Kunden darauf hinweisen müssen, da dies wesentliche Informationen über die Bonität und Transparenz des Unternehmens betrifft.

Frage: Einige Gerichte haben entschieden, dass Vermittler nicht verpflichtet sind, Jahresabschlüsse eigenständig zu prüfen. Wie bewerten Sie das?

Bontschev: Das ist richtig, aber es gibt auch Entscheidungen, die eine solche Verpflichtung in bestimmten Fällen bejahen – insbesondere, wenn die Jahresabschlüsse leicht zugänglich sind und die Bonität der Gesellschaft offensichtlich fragwürdig erscheint. Angesichts der finanziellen Strukturen der DEGAG hätte ein Vermittler Zweifel an der Tragfähigkeit des Modells haben müssen.

Frage: Was sind die Hauptkritikpunkte an der Rolle der Vermittler in diesem Fall?

Bontschev: Es gibt mehrere Punkte: Erstens die fehlende Transparenz über die finanzielle Situation der DEGAG. Zweitens wurden Provisionen gezahlt, die ein erhebliches Eigeninteresse der Vermittler am Vertrieb zeigen. Diese Provisionen hätten offengelegt werden müssen. Drittens hat die Struktur der Genussrechte selbst – mit einem hohen Totalverlustrisiko – eine besonders sorgfältige Aufklärung erfordert, die in vielen Fällen nicht erfolgt ist.

Frage: Welche Schritte empfehlen Sie Anlegern, die betroffen sind?

Bontschev: Anleger sollten alle relevanten Dokumente sichern, darunter Vertriebsunterlagen, Beratungsprotokolle und Korrespondenzen mit den Vermittlern. Diese Unterlagen sind entscheidend, um mögliche Haftungsansprüche geltend zu machen. Darüber hinaus rate ich dringend zu einer spezialisierten rechtlichen Beratung, um die Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen Vermittler oder andere Haftungsgegner zu prüfen.

Frage: Wie können Anleger konkret vorgehen, um ihre Rechte zu wahren?

Bontschev: Wir bieten einen speziellen Fragebogen an, der es Anlegern erleichtert, ihre individuelle Situation zu analysieren. Zusätzlich beraten wir in Einzelgesprächen, um die rechtlichen Möglichkeiten detailliert zu besprechen. Wichtig ist, jetzt aktiv zu werden, da bei einer möglichen Insolvenz der DEGAG-Gruppe die Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht werden müssen.

Frage: Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten für Schadensersatzansprüche ein?

Bontschev: Die Erfolgsaussichten hängen stark vom Einzelfall ab. Wenn die Vermittler ihren Aufklärungspflichten nicht nachgekommen sind, stehen die Chancen für Schadensersatzansprüche gut. Insbesondere die fehlende Transparenz und die mangelhafte Prüfung der Bonität der DEGAG-Gruppe könnten hier eine zentrale Rolle spielen.

Frage: Was ist Ihre wichtigste Botschaft an die betroffenen Anleger?

Bontschev: Lassen Sie sich nicht entmutigen. Die rechtliche Lage bietet zahlreiche Ansätze, um Ansprüche durchzusetzen. Es ist entscheidend, frühzeitig alle Beweise zu sichern und sich umfassend beraten zu lassen. Nur so können Anleger ihre Rechte wahren und mögliche Verluste minimieren.

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