Frage: Frau Bontschev, laut der Finanzmarktaufsicht (FMA) ist Finanzbetrug mittlerweile eine „Wachstumsbranche“. Können Sie uns erklären, was damit gemeint ist?
Kerstin Bontschev: Leider ist es so, dass Finanzbetrug in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Die Zahlen sprechen für sich: 2024 wurden Verluste durch Finanzbetrug in Höhe von rund 15,5 Millionen Euro gemeldet, im Jahr zuvor waren es noch 12,8 Millionen. Das zeigt einen deutlichen Anstieg – und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Viele Fälle werden gar nicht erst gemeldet, weil die Betroffenen sich schämen oder denken, sie hätten ohnehin keine Chance, ihr Geld zurückzubekommen.
Frage: Besonders auffällig ist der Bereich Kryptobetrug. Wieso gerade dort?
Kerstin Bontschev: Kryptobetrug ist der perfekte Spielplatz für Betrüger. Die Technologie ist für viele Menschen schwer verständlich, und das macht es leicht, mit falschen Versprechungen zu locken. Die Anzahl der gemeldeten Fälle hat sich 2024 von 244 auf 409 fast verdoppelt. Betrüger nutzen die Unwissenheit vieler Anleger aus und präsentieren Kryptowährungen als „Wunderinvestition“. Dazu kommen oft gefälschte Plattformen, auf denen die Opfer denken, sie hätten Gewinne erzielt – bis plötzlich das Geld und die Plattform verschwinden. Der höchste gemeldete Verlust einer Einzelperson lag 2024 bei fast einer Million Euro. Das zeigt, wie verheerend die Folgen sein können.
Frage: Die FMA spricht auch von einem Rekordniveau bei Warnmeldungen. Was hat es damit auf sich?
Kerstin Bontschev: 2024 gab es 145 Investorenwarnungen, was einen Höchststand bedeutet. Diese Warnungen betreffen vor allem Firmen und Personen, die Finanzdienstleistungen anbieten, obwohl sie dazu keine Lizenz haben. Besonders häufig sehen wir betrügerische Handelsplattformen, die scheinbar professionelle Dienstleistungen im Bereich von Finanzprodukten anbieten. Die FMA veröffentlicht diese Warnungen auf ihrer Website und auf der Plattform EVI, aber leider schauen viele Menschen erst nach, wenn es schon zu spät ist.
Frage: Sie erwähnten neue Technologien. Wie beeinflussen diese den Finanzbetrug?
Kerstin Bontschev: Betrüger sind unglaublich schnell darin, neue Technologien zu nutzen – oft schneller als der Gesetzgeber oder die Aufsichtsbehörden reagieren können. 2024 hat es vermehrt Fälle gegeben, in denen Deepfake-Technologie eingesetzt wurde. Das sind computergenerierte Videos oder Bilder, die so täuschend echt aussehen, dass sie die Opfer überlisten. Besonders beliebt sind sogenannte „Promischmähs“. Hier tauchen beispielsweise gefälschte Videos oder Postings in sozialen Netzwerken auf, in denen bekannte Persönlichkeiten angeblich von einem Geheimtipp für Investitionen schwärmen. Diese „Geheiminvestments“ versprechen hohe Gewinne bei minimalem Risiko – und das ist genau der Köder, auf den viele Menschen reinfallen.
Frage: Wie wirken diese „Promischmähs“?
Kerstin Bontschev: Die Masche ist simpel, aber effektiv. Menschen sehen in sozialen Netzwerken ein Video oder eine Anzeige, in der ein Prominenter – oder besser gesagt, ein Deepfake von ihm – erklärt, wie er mit einem angeblich geheimen Investment reich geworden ist. Es wird suggeriert, dass nur wenige Eingeweihte von dieser Möglichkeit wissen und man schnell handeln müsse, bevor die Chance vorbei ist. Das Opfer klickt auf den Link, registriert sich auf einer gefälschten Plattform und überweist Geld – oft gleich größere Summen. Was die Opfer nicht wissen: Das Geld verschwindet direkt auf die Konten der Betrüger.
Frage: Die FMA sagt, die Geschichten der Betrüger seien immer gleich. Stimmen Sie dem zu?
Kerstin Bontschev: Absolut. Egal, wie modern die Methoden der Betrüger sind – die Versprechen sind immer die gleichen: hoher Gewinn, minimales Risiko, geheime Tricks, die angeblich die Banken nicht verraten. Es klingt immer zu gut, um wahr zu sein – und genau das ist es auch. Es gibt keine garantierten Wunderinvestitionen. Wer das verspricht, ist mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Betrüger.
Frage: Was können Menschen tun, um sich zu schützen?
Kerstin Bontschev: Der wichtigste Schritt ist, skeptisch zu bleiben und sich gut zu informieren. Prüfen Sie immer die Glaubwürdigkeit eines Angebots und recherchieren Sie gründlich. Die FMA veröffentlicht regelmäßig Warnmeldungen über betrügerische Anbieter – diese sollten Sie vor jeder Investition lesen. Auch einfache Grundregeln helfen:
Niemals Geld an Unbekannte überweisen.
Vorsicht bei Angeboten, die Zeitdruck ausüben.
Keine persönlichen Daten auf unbekannten Websites eingeben.
Bei ungewöhnlich hohen Renditenversprechen immer stutzig werden.
Wenn Sie sich unsicher sind, sprechen Sie mit einem Anwalt oder einem unabhängigen Finanzberater, bevor Sie investieren. Und ganz wichtig: Vertrauen Sie nicht blind auf Social-Media-Werbung oder vermeintliche Promi-Tipps.
Frage: Was passiert mit den Opfern solcher Betrugsfälle? Gibt es eine Chance, das Geld zurückzubekommen?
Kerstin Bontschev: Das hängt vom Einzelfall ab. Oft ist es schwierig, das Geld zurückzubekommen, da die Betrüger ihre Spuren gut verwischen und das Geld schnell ins Ausland transferieren. In einigen Fällen können Ermittlungen oder Sammelklagen helfen, aber das ist zeitaufwendig und teuer. Deshalb gilt hier leider der Grundsatz: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Je früher man einen Betrug erkennt, desto größer die Chance, den Schaden zu minimieren.
Frage: Was raten Sie Betroffenen, die Opfer eines solchen Betrugs geworden sind?
Kerstin Bontschev: Betroffene sollten so schnell wie möglich handeln. Kontaktieren Sie Ihre Bank und versuchen Sie, Zahlungen rückgängig zu machen. Sammeln Sie Beweise, etwa E-Mails, Screenshots oder Überweisungsbelege, und erstatten Sie Anzeige bei der Polizei. Informieren Sie auch die Finanzmarktaufsicht oder andere zuständige Behörden. Und vor allem: Schämen Sie sich nicht. Betrug kann jedem passieren, egal wie vorsichtig man ist. Wichtig ist, sich Hilfe zu holen und konsequent gegen die Täter vorzugehen.
Frage: Abschließend: Was können wir aus dieser Entwicklung lernen?
Kerstin Bontschev: Finanzbetrug ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein hochentwickeltes kriminelles Geschäftsfeld. Wir müssen als Gesellschaft lernen, kritischer mit vermeintlichen „Wunderangeboten“ umzugehen und mehr Bewusstsein für die Risiken zu schaffen. Es braucht stärkere Kontrollen, schärfere Gesetze und bessere Aufklärung – sowohl für junge Menschen, die mit digitalen Technologien aufwachsen, als auch für ältere Generationen, die oft im Fokus solcher Betrügereien stehen. Und am wichtigsten: Vertrauen Sie nie blind – weder einer Plattform noch einem vermeintlichen Promi in einem Internetvideo.
Vielen Dank, Frau Bontschev, für diese aufschlussreichen Einblicke!
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