Interviewer: Frau Bontschev, die Gläubiger der 7,50% Schuldverschreibung 2022/2027 (AOC Green Bond) wurden zu einer Gläubigerversammlung eingeladen. Was bedeutet diese Einladung konkret für die betroffenen Anleger?
Kerstin Bontschev: Die Einladung zur Gläubigerversammlung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ist ein klares Signal, dass sich die finanzielle Situation der Emittentin, in diesem Fall der AOC I DIE STADTENTWICKLER GmbH, dramatisch verschlechtert hat. Die Anleger müssen sich darauf einstellen, dass die Rückzahlung ihrer Anleihe sowie die Zahlung der vereinbarten Zinsen stark gefährdet sind. Die Gläubigerversammlung dient dazu, wichtige Beschlüsse für das weitere Verfahren zu fassen, insbesondere die Wahl eines gemeinsamen Vertreters, der die Rechte aller Gläubiger im Insolvenzverfahren wahrnimmt.
Interviewer: Welche Rolle spielt ein gemeinsamer Vertreter, und warum ist seine Wahl so wichtig?
Kerstin Bontschev: Der gemeinsame Vertreter ist eine zentrale Figur in Insolvenzverfahren, die Schuldverschreibungen betrifft. Er wird von der Gläubigerversammlung gewählt und vertritt alle Anleihegläubiger gebündelt. Dies hat mehrere Vorteile:
Effizienz: Statt dass jeder einzelne Gläubiger seine Ansprüche geltend macht, übernimmt der gemeinsame Vertreter diese Aufgabe für alle. Das spart Zeit und Kosten.
Stärkung der Gläubigerposition: Der gemeinsame Vertreter kann mit einer geeinten Stimme gegenüber dem Insolvenzverwalter oder der Geschäftsführung auftreten, was die Verhandlungsposition der Gläubiger stärkt.
Rechtliche Vertretung: Er prüft, ob die Interessen der Gläubiger im Verfahren gewahrt werden, und handelt entsprechend – etwa bei Vergleichsangeboten oder Sanierungsplänen.
Die Wahl eines geeigneten gemeinsamen Vertreters ist also entscheidend, da dieser die Interessen der Gläubiger in den kommenden Monaten oder sogar Jahren aktiv gestalten wird.
Interviewer: Was müssen Anleger beachten, wenn sie an der Gläubigerversammlung teilnehmen möchten?
Kerstin Bontschev: Anleger, die an der Versammlung teilnehmen möchten, müssen einige formale Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehören:
Nachweis der Inhaberschaft: Anleger müssen belegen, dass sie Inhaber der Schuldverschreibung sind. Dazu ist ein Nachweis des depotführenden Instituts oder Clearingsystems erforderlich.
Sperrvermerk: Der Nachweis muss gegebenenfalls mit einem Sperrvermerk versehen werden, der sicherstellt, dass die Teilschuldverschreibungen bis zum Ende der Versammlung nicht gehandelt werden.
Identitätsnachweis: Bei der Versammlung müssen Anleger ihre Identität durch einen gültigen Ausweis nachweisen.
Vollmacht: Wenn Anleger sich vertreten lassen möchten, muss der Vertreter eine schriftliche Vollmacht vorlegen.
Ich empfehle, alle Unterlagen im Voraus zu organisieren und sich rechtzeitig zur Versammlung anzumelden, auch wenn dies laut Einladung nicht zwingend erforderlich ist. Eine Anmeldung erleichtert den Ablauf vor Ort erheblich.
Interviewer: Was bedeutet es für Anleger, wenn sie einem gemeinsamen Vertreter zustimmen?
Kerstin Bontschev: Wenn die Gläubiger einem gemeinsamen Vertreter zustimmen, delegieren sie die Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren an diese Person oder Institution. Das bedeutet, dass sie selbst nicht mehr direkt in Verhandlungen oder Abstimmungen eingreifen können. Der gemeinsame Vertreter wird alle Entscheidungen für die Gläubiger fällen, die ihn gewählt haben, auch wenn einzelne Gläubiger mit seiner Vorgehensweise möglicherweise nicht einverstanden sind.
Die Abstimmung ist daher von großer Bedeutung, da die Beschlüsse der Versammlung für alle Gläubiger bindend sind – unabhängig davon, ob sie an der Versammlung teilgenommen haben oder nicht. Wer also eine abweichende Meinung hat, sollte unbedingt selbst anwesend sein oder einen Vertreter schicken, um seine Stimme einzubringen.
Interviewer: Was passiert, wenn die Gläubigerversammlung beschlussfähig ist?
Kerstin Bontschev: Die Versammlung ist bereits beschlussfähig, wenn nur ein Gläubiger anwesend oder vertreten ist. Das ist im Schuldverschreibungsgesetz (§ 19 SchVG) so geregelt. Beschlüsse, die mit der erforderlichen Mehrheit gefasst werden, sind für alle Gläubiger bindend, auch für diejenigen, die nicht anwesend waren oder gegen den Beschluss gestimmt haben.
Ein klassisches Beispiel für einen möglichen Beschluss wäre die Zustimmung zu einem Sanierungsplan oder die Entscheidung, wie viel Prozent der Forderungen in einem Vergleich ausgezahlt werden. Solche Beschlüsse können erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Gläubiger haben.
Interviewer: Welche Konsequenzen könnten die Beschlüsse für die Anleger haben?
Kerstin Bontschev: Die Konsequenzen hängen stark davon ab, welche Beschlüsse gefasst werden. Mögliche Szenarien sind:
Teilweiser Forderungsverzicht: Die Gläubiger könnten sich darauf einigen, einen Teil ihrer Forderungen abzuschreiben, um das Unternehmen zu sanieren.
Vergleichszahlung: Es könnte ein Vergleich angeboten werden, bei dem die Gläubiger einen bestimmten Prozentsatz ihrer Forderungen erhalten.
Liquidation: Sollte das Unternehmen nicht sanierungsfähig sein, kann es zur Abwicklung kommen, was in der Regel einen hohen Verlust für die Gläubiger bedeutet.
In jedem Fall sollten Anleger damit rechnen, dass sie möglicherweise nur einen Bruchteil ihres eingesetzten Kapitals zurückerhalten – oder im schlimmsten Fall gar nichts.
Interviewer: Was empfehlen Sie Anlegern, die von der Einladung betroffen sind?
Kerstin Bontschev: Ich empfehle den betroffenen Anlegern, die Einladung ernst zu nehmen und aktiv an der Gläubigerversammlung teilzunehmen oder sich vertreten zu lassen. Hier einige konkrete Schritte:
Unterlagen vorbereiten: Stellen Sie sicher, dass Sie die notwendigen Nachweise und Dokumente rechtzeitig organisieren.
Informationen einholen: Prüfen Sie vorab die Tagesordnungspunkte und überlegen Sie, wie Sie abstimmen möchten. Falls möglich, holen Sie rechtliche Beratung ein.
Vertretung sicherstellen: Wenn Sie selbst nicht teilnehmen können, beauftragen Sie einen Bevollmächtigten, der Ihre Interessen vertritt.
Langfristige Folgen bedenken: Überlegen Sie genau, ob Sie einem gemeinsamen Vertreter zustimmen möchten und welche Interessen dieser für Sie vertreten soll.
Die Teilnahme an der Gläubigerversammlung ist eine der wenigen Möglichkeiten, die Anleger in einem solchen Verfahren haben, um Einfluss zu nehmen und ihre Rechte zu wahren. Jede Stimme zählt.
Interviewer: Frau Bontschev, vielen Dank für Ihre klaren Erläuterungen und Handlungsempfehlungen!
Kerstin Bontschev: Sehr gerne. Anleger sollten in solchen Situationen aktiv bleiben und ihre Rechte wahrnehmen – das ist entscheidend, um mögliche Verluste zu minimieren.
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Amtsgericht Magdeburg340 IN 366/24 (371): In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der AOC I DIE STADTENTWICKLER GmbH, Liebknechtstraße 55, 39108 Magdeburg, Ankauf, Erstellung, Entwicklung, Vermietung, Verwaltung und Verkauf von Immobilien sowie Erwerb, Verwaltung und Veräußerung von Beteiligungen. (AG Stendal, HRB 30267), vertreten durch: Till Schwerdtfeger, Kleinkühnauer Straße 114, 06846 Dessau-Roßlau, (Geschäftsführer), Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwälte Aderhold Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Reichsstraße 15, 04109 Leipzig, hat das Amtsgericht Magdeburg durch die Rechtspflegerin Korb am 18.12.2024 beschlossen: Einberufung einer Gläubigerversammlung betreffend die 7,50% Schuldverschreibung 2022/2027 (AOC Green Bond) Das Amtsgericht Magdeburg -Insolvenzgericht- beruft hiermit gemäß § 19 Abs. 2 des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Schuldverschreibungsgesetz -SchVG) vom 31.07.2009 (verkündet als Art 1 des Gesetztes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom 31.07.2009) eine Gläubigerversammlung für die Inhaber der Schuldverschreibung 2022/2027 der AOC I DIE STADTENTWICKLER GmbH (die „Emittentin“) gehörenden Teilschuldverschreibungen ein, und zwar auf Mittwoch, 22.01.2025, 10:30 Uhr (Einlass ab 9.30 Uhr), Saal 1, Amtsgericht Magdeburg, Justizzentrum Magdeburg, Breiter Weg 203 – 206, 39104 Magdeburg. I. Tagesordnung 5. Die Teilnahme an der Gläubigerversammlung setzt ferner den Nachweis der Identität des Teilnehmers in geeigneter Weise (z.B. durch Vorlage eines gültigen Ausweispapieres) voraus.
Magdeburg, 18.12.2024 Amtsgericht |
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