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Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek über die Gefahren von Geschäften mit bilanziell überschuldeten Unternehmen

Tumisu (CC0), Pixabay
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Moderator: Herr Blazek, Sie sind ein erfahrener Rechtsanwalt im Wirtschaftsrecht. Heute möchten wir über ein heikles Thema sprechen: die Risiken von Geschäftsbeziehungen mit bilanziell überschuldeten Unternehmen. Können Sie uns zunächst erklären, was es bedeutet, wenn ein Unternehmen bilanziell überschuldet ist?

Daniel Blazek: Gerne. Ein Unternehmen gilt als bilanziell überschuldet, wenn seine Verbindlichkeiten das vorhandene Eigenkapital und die Vermögenswerte übersteigen. In der Bilanz bedeutet dies, dass das Eigenkapital aufgebraucht oder negativ ist, und der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag offen ausgewiesen wird. Ein solcher Zustand weist darauf hin, dass das Unternehmen nicht genügend Vermögenswerte besitzt, um seine Schulden vollständig zu decken, was für Geschäftspartner ein erhebliches Risiko darstellt.

Moderator: Warum kann es gefährlich sein, mit einem solchen Unternehmen Geschäfte zu machen?

Daniel Blazek: Es gibt mehrere Risiken, die mit der Zusammenarbeit mit einem bilanziell überschuldeten Unternehmen verbunden sind. Das größte Risiko ist die Zahlungsunfähigkeit. Wenn ein Unternehmen überschuldet ist, besteht die Gefahr, dass es seine Rechnungen und Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen kann. Als Geschäftspartner könnten Sie am Ende in der Reihe der Gläubiger stehen, die möglicherweise nur einen Bruchteil der Forderungen erhalten – oder gar nichts, wenn das Unternehmen Insolvenz anmeldet.

Ein weiteres Risiko betrifft die Zahlungsverzögerungen. Ein überschuldetes Unternehmen könnte in Liquiditätsschwierigkeiten geraten, was bedeutet, dass es Rechnungen immer später bezahlt, weil es versucht, den Betrieb aufrechtzuerhalten, indem es Gelder von verschiedenen Gläubigern hin- und herschiebt.

Moderator: Können Sie erklären, was im Falle einer Insolvenz passieren würde, wenn man Forderungen gegenüber einem überschuldeten Unternehmen hat?

Daniel Blazek: Bei einer Insolvenz wird das Vermögen des Unternehmens liquidiert, um die Schulden zu begleichen. Dabei werden die Gläubiger in einer bestimmten Rangfolge bedient. Zuerst erhalten die sogenannten besicherten Gläubiger ihr Geld, also diejenigen, die Sicherheiten für ihre Forderungen haben, wie z.B. Banken mit Hypotheken. Die ungesicherten Gläubiger, zu denen die meisten Geschäftspartner gehören, kommen weiter unten in der Rangfolge. Das bedeutet, dass Sie als Geschäftspartner, der Waren oder Dienstleistungen auf Kredit erbracht hat, häufig am Ende der Kette stehen und oft nur einen geringen Prozentsatz Ihrer Forderungen oder gar nichts zurückbekommen.

Darüber hinaus kann sich ein Insolvenzverfahren über Jahre hinziehen, was bedeutet, dass Sie lange Zeit auf eine mögliche Zahlung warten müssen.

Moderator: Welche rechtlichen Vorsichtsmaßnahmen können Geschäftspartner treffen, um sich zu schützen, wenn sie mit einem bilanziell überschuldeten Unternehmen in Kontakt kommen?

Daniel Blazek: Eine der besten Vorsichtsmaßnahmen ist, vorausschauend zu handeln und sich genau über den finanziellen Zustand eines potenziellen Geschäftspartners zu informieren. Unternehmen sind in vielen Fällen verpflichtet, Jahresabschlüsse zu veröffentlichen, und ein Blick in die Bilanz kann aufschlussreich sein. Wenn Sie feststellen, dass das Unternehmen überschuldet ist, sollten Sie vorsichtig sein.

Weitere Schutzmaßnahmen umfassen Vorauszahlungen oder Teilzahlungen, bevor eine Leistung vollständig erbracht wird. Alternativ können Sie auf Sicherheiten bestehen, wie z.B. Bürgschaften oder Pfandrechte. Eine andere Möglichkeit wäre, eine Kreditversicherung abzuschließen, um sich vor möglichen Zahlungsausfällen zu schützen.

Wichtig ist auch, Vertragsklauseln zu verwenden, die Ihnen ermöglichen, Zahlungen früher zu fordern oder Lieferungen zu stoppen, falls Zahlungsausfälle drohen.

Moderator: Gibt es bestimmte rechtliche Fallstricke, wenn man trotz der Kenntnis von der Überschuldung eines Unternehmens Geschäfte macht?

Daniel Blazek: Ja, das gibt es. Wenn man trotz Kenntnis der Überschuldung Geschäfte mit einem Unternehmen eingeht und es zur Insolvenz kommt, könnten Fragen zur Insolvenzanfechtung aufkommen. Das bedeutet, dass bestimmte Zahlungen, die das überschuldete Unternehmen vor der Insolvenz an Sie geleistet hat, vom Insolvenzverwalter zurückgefordert werden können. Dies gilt insbesondere, wenn Sie wussten oder hätten wissen müssen, dass das Unternehmen zahlungsunfähig ist.

Ein weiterer Punkt ist die Geschäftsführungshaftung. Wenn die Unternehmensleitung bei bestehender Überschuldung keine Insolvenz anmeldet, kann sie persönlich haftbar gemacht werden. Für Geschäftspartner kann das bedeuten, dass es rechtliche Komplikationen gibt, wenn man mit einem insolvenzgefährdeten Unternehmen weiter Geschäfte macht, insbesondere wenn die Geschäftsführung rechtswidrig handelt.

Moderator: Was raten Sie Unternehmen oder Geschäftspartnern, wenn sie feststellen, dass ihr Geschäftspartner bilanziell überschuldet ist?

Daniel Blazek: Zunächst einmal rate ich dazu, die Beziehung sorgfältig zu prüfen. In einigen Fällen könnte eine Krisenvereinbarung getroffen werden, um den finanziellen Druck zu mindern, indem z.B. Zahlungspläne aufgestellt werden. In anderen Fällen kann es sinnvoll sein, die Geschäftsbeziehung zu beenden oder Lieferungen auf Vorkasse umzustellen, um weitere Verluste zu vermeiden.

Es ist auch wichtig, mit einem Anwalt oder einem Finanzexperten zu sprechen, um Ihre Rechte und Optionen zu klären. Letztendlich geht es darum, das Risiko zu minimieren und Ihre Forderungen bestmöglich abzusichern.

Moderator: Vielen Dank, Herr Blazek, für diese wertvollen Einblicke. Es ist klar, dass Geschäfte mit einem bilanziell überschuldeten Unternehmen erhebliche Risiken bergen, die jeder Geschäftspartner ernsthaft in Betracht ziehen sollte.

Daniel Blazek: Vielen Dank, es war mir eine Freude.

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