Frage: Herr Blazek, der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die im Rahmen der Rechtshilfe erlangten AnomChat-Daten im Strafverfahren verwertbar sind. Wie bewerten Sie dieses Urteil?
Blazek: Das Urteil ist von enormer rechtlicher und praktischer Bedeutung. Es zeigt, dass der Bundesgerichtshof bereit ist, innovative Ermittlungsansätze zur Aufklärung schwerer Straftaten zu akzeptieren, selbst wenn diese aus rechtshilfeweisen Maßnahmen stammen, die teilweise auf fremden rechtlichen Grundlagen basieren. Dies ist insbesondere relevant im Kontext der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität.
Frage: Der Angeklagte argumentierte, dass die Daten unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze erlangt wurden. Warum konnte diese Argumentation aus Ihrer Sicht nicht durchdringen?
Blazek: Der BGH hat klargestellt, dass die Beurteilung der Verwertbarkeit von Beweismitteln nach deutschem Recht erfolgt. Es ist unerheblich, ob die Maßnahmen im Ausland nach ausländischem Recht möglicherweise nicht zulässig gewesen wären. Entscheidend war, dass die Maßnahmen keine menschenrechtlichen Grundwerte verletzten und zielgerichtet gegen kriminelle Netzwerke eingesetzt wurden. Der „ordre public“ – also grundlegende rechtsstaatliche Anforderungen – wurde nicht verletzt.
Frage: Die Anom-Handys wurden vom FBI gezielt an kriminelle Organisationen vertrieben. Begründet das nicht ein moralisches Dilemma oder gar Bedenken hinsichtlich eines „staatlich initiierten Täuschungsmanövers“?
Blazek: Das moralische Dilemma besteht, aber es ist juristisch nur dann relevant, wenn dadurch rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden. Der BGH hat anerkannt, dass die Maßnahme spezifisch auf Personen abzielte, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für organisierte Kriminalität bestanden. Der auf kriminelle Kreise beschränkte Vertrieb der Geräte begründete automatisch einen Anfangsverdacht gegen die Nutzer. Die gerichtlichen Kontrollen und die zeitliche Begrenzung der Maßnahme waren hier entscheidend.
Frage: Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass die Anom-Server in einem EU-Mitgliedstaat standen?
Blazek: Das war juristisch von zentraler Bedeutung, da es eine rechtliche Grundlage innerhalb der EU für das Kopieren der Server und die Übermittlung der Daten an das FBI gab. Der Drittstaat erließ hierzu einen Gerichtsbeschluss, wodurch die Maßnahme legitimiert wurde. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer internationalen Kooperation bei der Bekämpfung transnationaler Kriminalität.
Frage: Kritiker könnten einwenden, dass der Zugang der deutschen Behörden zu den Daten über eine internetbasierte Plattform informatorisch war. Ist das ein Schwachpunkt?
Blazek: Das könnte tatsächlich ein Schwachpunkt sein, allerdings nicht von entscheidender Relevanz für die Verwertbarkeit der Beweise. Wichtig war, dass die deutsche Generalstaatsanwaltschaft ein Rechtshilfeersuchen stellte und die Daten mit Zustimmung der US-Behörden übermittelt wurden. Die informatorische Nutzung ist ein pragmatischer Ansatz, der die Effektivität der Strafverfolgung gewährleistet.
Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht Aspekte dieses Urteils, die in Zukunft zu Diskussionen führen könnten?
Blazek: Ja, vor allem die Frage, wie weit der Einsatz solcher technisch ausgeklügelten Ermittlungsmethoden gehen darf und ob die deutschen Gerichte weiterhin so großzügig bei der Verwertung von Beweismitteln aus internationalen Rechtshilfeverfahren agieren. Auch der Umgang mit Daten, die ohne unmittelbare gerichtliche Kontrolle erlangt wurden, bleibt ein kritischer Punkt.
Frage: Abschließend: Was bedeutet dieses Urteil für zukünftige Strafverfahren, in denen Daten aus ähnlichen Quellen eine Rolle spielen?
Blazek: Es schafft einen Präzedenzfall, der zeigt, dass die deutsche Justiz offen für international koordinierte Maßnahmen ist, solange grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden. Für Ermittlungsbehörden ist das eine Stärkung, da sie auf solche Daten zurückgreifen können. Für Angeklagte bedeutet es jedoch, dass sie weniger Spielraum haben, die Verwertbarkeit solcher Beweise anzufechten.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Blazek!
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