Frage: Herr Reime, der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an terroristischen Vereinigungen geändert. Was genau hat der 3. Strafsenat entschieden?
Jens Reime: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass alle Handlungen, die ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung zur Unterstützung dieser Organisation vornimmt, grundsätzlich als eine einzige Tat gewertet werden. Das bedeutet, dass einzelne Vergehen, die bislang als eigenständige Straftaten behandelt wurden, nun unter dem Dach der mitgliedschaftlichen Beteiligung zusammengefasst werden. Man spricht von einer rechtlichen Handlungseinheit.
Frage: Was bedeutet das konkret für Fälle wie den der IS-Rückkehrerin?
Jens Reime: Im konkreten Fall der IS-Rückkehrerin, über den das Oberlandesgericht Hamburg entschieden hatte, wurden zunächst zwei getrennte Fälle der mitgliedschaftlichen Beteiligung angenommen. Der BGH hat diesen Schuldspruch dahingehend geändert, dass es sich nur um eine Tat handelt, die jedoch gleichzeitig andere Gesetzesverstöße, wie hier die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, umfasst. Die Strafe bleibt zwar gleich, aber das juristische Verständnis der Taten hat sich grundlegend verändert.
Frage: Welche Auswirkungen hat diese geänderte Rechtsprechung auf zukünftige Verfahren?
Jens Reime: Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen. Sie erleichtert die rechtliche Bewertung in solchen Fällen, da nun nicht mehr jede einzelne Unterstützungshandlung separat betrachtet wird. Gleichzeitig wird aber auch klargestellt, dass Verstöße gegen andere Strafgesetze, die im Kontext der Mitgliedschaft stehen, nicht ungestraft bleiben, sondern in Tateinheit abgeurteilt werden. Das schafft Klarheit und Effizienz in der Strafverfolgung.
Frage: Kritiker könnten argumentieren, dass dies eine mildernde Wirkung auf die Strafverfolgung hat. Wie sehen Sie das?
Jens Reime: Das sehe ich nicht so. Die geänderte Rechtsprechung führt nicht zu milderen Strafen, sondern zu einer kohärenteren rechtlichen Bewertung. Der BGH hat betont, dass die Einzelstrafe nicht geringer ausfallen würde. Es geht hier nicht um Nachsicht, sondern um eine klare und nachvollziehbare Anwendung des Strafrechts.
Frage: Der Fall betrifft auch die Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Wie wird dieser Aspekt bewertet?
Jens Reime: Dieser Punkt ist besonders schwerwiegend. Die Angeklagte hat ihre minderjährige Tochter in ein Kriegsgebiet gebracht und somit deren körperliche und psychische Entwicklung erheblich gefährdet. Das ist ein klarer Verstoß gegen § 171 StGB. Durch die Tateinheit wird dieser Verstoß jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern als Teil der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bewertet.
Frage: Was bedeutet das für die Praxis der Gerichte?
Jens Reime: Gerichte müssen künftig nicht mehr aufwendig prüfen, ob jede einzelne Handlung einer gesonderten Strafverfolgung bedarf. Das spart Zeit und Ressourcen, ohne die Schwere der Vergehen zu relativieren. Gleichzeitig wird das Risiko von Fehlern bei der Bewertung der Tatmehrheit verringert.
Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht noch offene Fragen zu dieser neuen Rechtsprechung?
Jens Reime: Sicherlich wird die Umsetzung in der Praxis einige Herausforderungen mit sich bringen, insbesondere in komplexen Fällen mit zahlreichen Beteiligungshandlungen. Es bleibt abzuwarten, wie Gerichte in der Praxis mit dieser neuen rechtlichen Handlungseinheit umgehen. Doch insgesamt sehe ich die Entscheidung als einen wichtigen Schritt hin zu mehr Rechtsklarheit und Effizienz im Umgang mit terroristischen Vereinigungen.
Frage: Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Reime.
Jens Reime: Sehr gerne.
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