Interviewer: Herr Reime, im Fall der „WSW“ und ihres Gründers Frank-Peter Evertz wird deutlich, wie aus Genossenschaften ein lukratives Geschäftsmodell werden kann. Wie schätzen Sie diese Praxis ein?
Jens Reime: Das ist ein Paradebeispiel dafür, wie rechtliche Grauzonen ausgenutzt werden können. Genossenschaften sollen eigentlich eine solidarische Wirtschaftsform sein, die ihren Mitgliedern Vorteile verschafft. Doch hier haben wir es mit einem System zu tun, das offenbar primär der persönlichen Bereicherung einiger weniger dient. Wenn jemand in 20 Genossenschaften verwickelt ist und daraus ein Geschäftsmodell entwickelt, sollte das Kontrollsystem frühzeitig Alarm schlagen.
Interviewer: Die WSW hat offenbar durch vermögenswirksame Leistungen Millionenbeträge eingesammelt. Wie konnte das geschehen?
Jens Reime: Das ist leider eine bekannte Schwachstelle im System. Eine Genossenschaft kann erst nach drei Jahren vermögenswirksame Leistungen von Arbeitgebern einsammeln. Sobald diese Zeit verstrichen ist, besteht oft nur noch eine sehr oberflächliche Kontrolle darüber, wie die Gelder verwendet werden. Hier wurde das Geld laut Anklage nicht kapitalbildend für Immobilien verwendet, sondern für den Vertrieb. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Vermögensanlagegesetz. Doch wenn Prüfberichte manipuliert oder kritische Passagen einfach entfernt werden, kann das lange unentdeckt bleiben.
Interviewer: Im Fall der WSW sitzt der Gründer Frank-Peter E. sogar im Prüfverband, der die Genossenschaften kontrollieren soll. Wie problematisch ist das?
Jens Reime: Das ist natürlich ein klarer Interessenkonflikt. Es ist absurd, dass jemand einerseits Genossenschaften gründet und verkauft und andererseits in einem Verband sitzt, der diese Genossenschaften prüfen soll. Hier zeigt sich ein grundlegendes Problem: Solche Strukturen laden Missbrauch geradezu ein. Wenn der Prüfungsverband seinen eigenen Mitgliedern nicht unabhängig auf die Finger schaut, dann bleibt von der Kontrollfunktion nicht viel übrig.
Interviewer: Der Prüfbericht zur WSW war ursprünglich kritisch, aber die Rüge verschwand später. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Jens Reime: Das ist äußerst besorgniserregend. Ein verheerender Prüfbericht verschwindet plötzlich oder wird abgeschwächt – das wirft massive Fragen auf. Wer hat diese Änderungen veranlasst? Warum wurde der ursprüngliche Bericht nicht berücksichtigt? Hier könnte durchaus der Verdacht der Manipulation im Raum stehen. Dass die Staatsanwaltschaft nun Nachermittlungen anstellt und den verantwortlichen Prüfer befragt, ist absolut notwendig.
Interviewer: Auch die BaFin gerät in die Kritik. Welche Rolle spielt sie in solchen Fällen?
Jens Reime: Die BaFin hat eine zentrale Rolle bei der Kontrolle solcher Strukturen, insbesondere wenn es um die Prospektpflicht für Vermögensanlagen geht. Im Fall der WSW scheint die BaFin die Unterlagen geprüft, aber dann nichts weiter unternommen zu haben. Laut Frank-Peter E. sei das sogar üblich – ein gravierendes Problem. Wenn die BaFin als Kontrollinstanz nicht konsequent handelt, können solche dubiosen Machenschaften weiterlaufen. Es braucht hier dringend mehr Transparenz und Durchgriffsmöglichkeiten.
Interviewer: Am nächsten Prozesstag sollen zwei Rechtsanwälte aus Weiden als Zeugen aussagen, die die WSW rechtlich beraten haben. Was erwarten Sie davon?
Jens Reime: Das könnte spannend werden. Die Vorständin hat sich offenbar stark auf deren anwaltlichen Rat verlassen. Die Frage wird sein: Haben die Anwälte aktiv an problematischen Konstruktionen mitgewirkt oder waren sie selbst getäuscht? Falls sie tatsächlich über kritische Punkte hinweggesehen haben, könnte das auch rechtliche Konsequenzen für sie haben. Es ist jedoch nicht unüblich, dass in solchen Fällen versucht wird, Verantwortung auf externe Berater abzuwälzen.
Interviewer: Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um solche Fälle in Zukunft zu verhindern?
Jens Reime: Zunächst einmal braucht es strengere Prüfmechanismen. Prüfungsverbände müssen unabhängiger agieren, und Interessenkonflikte wie im Fall von Frank-Peter E. dürfen gar nicht erst entstehen. Zudem muss die BaFin ihre Kontrollfunktion konsequenter ausüben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aufklärung der Mitglieder: Viele Betroffene wissen gar nicht, worauf sie sich einlassen, wenn sie Genossenschaftsanteile kaufen. Hier müssen klare, transparente und verständliche Informationen bereitgestellt werden. Letztlich zeigt dieser Fall aber auch, dass das Vertrauen in Kontrollinstanzen wie die BaFin oder die Prüfungsverbände nur dann erhalten bleibt, wenn diese wirklich unabhängig und effektiv arbeiten.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre Einschätzungen.
Jens Reime: Sehr gerne. Ich hoffe, dass dieser Fall dazu beiträgt, die bestehenden Schwachstellen aufzudecken und zukünftig zu schließen.
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