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Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime: „Urteil zum Online-Coaching ist ein wichtiges Signal für Verbraucherschutz“

Tumisu (CC0), Pixabay
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Frage: Herr Reime, das Landgericht München I hat eine Plattform für Online-Coaching zur Rückzahlung von 1.500 Euro an eine Kundin verurteilt und den Vertrag für nichtig erklärt. Was ist Ihr erster Eindruck zu diesem Urteil?

Jens Reime: Das Urteil ist ein klares Signal dafür, dass unser Rechtssystem Verbraucher – und in diesem Fall auch Existenzgründer – vor unseriösen Angeboten schützt. Der Fall zeigt deutlich, wie wichtig es ist, dass Anbieter von Fernunterricht die gesetzlichen Vorgaben, insbesondere das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG), einhalten. Dass die Plattform keine staatliche Zulassung für ihre Bildungsangebote hatte, ist ein gravierender Verstoß, der letztlich zur Nichtigkeit des Vertrages führte.

Frage: Können Sie kurz erläutern, warum das FernUSG in diesem Fall angewendet wurde, obwohl die Beklagte argumentierte, die Klägerin sei als Existenzgründerin keine Verbraucherin?

Reime: Das FernUSG wurde eingeführt, um Personen zu schützen, die durch räumliche Distanz und fehlende persönliche Prüfungsmaßnahmen von der Qualität eines Angebots abhängig sind. Das Gericht hat zurecht festgestellt, dass die Klägerin trotz ihres Status als angehende Existenzgründerin schutzwürdig ist. Sie befand sich in einer wirtschaftlich schwierigen Lage und wurde von der Plattform nicht ausreichend über ihre Rechte belehrt. Selbst wenn sie theoretisch wie eine Unternehmerin behandelt werden könnte, greift der Schutzzweck des FernUSG, da die Plattform ohne die notwendige staatliche Zulassung operiert hat.

Frage: Die Beklagte argumentierte, die Klägerin habe aktiv auf ihr Widerrufsrecht verzichtet. Wie hat das Gericht diese Aussage bewertet?

Reime: Das Gericht hat diese Behauptung klar zurückgewiesen. Es stellte fest, dass die Klägerin während des Bestellprozesses nicht ausreichend über ihr Widerrufsrecht belehrt wurde. Ohne eine korrekte Belehrung kann ein Verzicht auf das Widerrufsrecht nicht wirksam sein. Das ist ein grundlegendes Prinzip im Verbraucherschutzrecht, das hier offenbar missachtet wurde.

Frage: Was bedeutet das Urteil für betroffene Verbraucher? Können sich jetzt weitere Geschädigte Hoffnung machen?

Reime: Absolut. Dieses Urteil macht deutlich, dass Anbieter von Online-Coachings oder Fernunterricht nicht über den gesetzlichen Vorgaben stehen. Verbraucher, die in ähnlichen Situationen von Plattformen ohne Zulassung geschädigt wurden, sollten unbedingt rechtlichen Rat einholen. Es gibt gute Chancen, dass auch ihre Verträge als nichtig erklärt werden können und sie ihr Geld zurückerhalten.

Frage: Was können Verbraucher tun, um sich vor solchen Fällen zu schützen?

Reime: Verbraucher sollten vor Abschluss eines Vertrags genau prüfen, ob der Anbieter eine staatliche Zulassung hat. Informationen dazu sind oft schwer zugänglich, aber eine einfache Möglichkeit ist, beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) oder direkt bei der zuständigen Aufsichtsbehörde nachzufragen. Außerdem rate ich, niemals voreilig auf ein Widerrufsrecht zu verzichten und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gründlich zu lesen. Wenn ein Angebot zu schön klingt, um wahr zu sein – etwa schnelle finanzielle Erfolge ohne großen Aufwand – sollte man besonders skeptisch sein.

Frage: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Erwarten Sie, dass die Betreiberin der Plattform in Berufung geht?

Reime: Das ist durchaus möglich, gerade wenn es um Grundsatzfragen wie die Anwendbarkeit des FernUSG geht. Allerdings ist die Argumentation des Landgerichts München I aus meiner Sicht sehr fundiert, sodass ich die Erfolgsaussichten einer Berufung eher kritisch sehe. Die Betreiberin würde mit einer Berufung vor allem Zeit gewinnen, was für die Geschädigten natürlich ärgerlich wäre.

Frage: Was ist Ihr abschließender Rat an Verbraucher, die sich bereits in ähnlichen Situationen befinden?

Reime: Wenn Sie das Gefühl haben, durch ein Online-Coaching oder einen Fernunterrichtsvertrag überrumpelt worden zu sein, lassen Sie sich nicht entmutigen. Holen Sie sich rechtlichen Beistand und prüfen Sie, ob der Anbieter die gesetzlichen Vorgaben eingehalten hat. Oft sind diese Verträge angreifbar, gerade wenn es um fehlende Widerrufsbelehrungen oder mangelnde Zulassungen geht. Der Fall zeigt: Es lohnt sich, für seine Rechte zu kämpfen.

Frage: Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre Einschätzungen und Tipps!

Reime: Sehr gerne! Ich hoffe, dieses Urteil wird viele Verbraucher sensibilisieren und weitere Anbieter dazu bringen, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten.

1 Komment

  • Inbesondere sollten Verträge gemieden werden mit Firmen oder Personen ohne ladungsfähige Anschrift in Deutschland oder der EU. Wer sich der deutschen Rechtsordnung glaubt entziehen zu können, sollte nicht zum Vertragspartner werden.

    Weder ist Dubai für Verbraucherschutz bekannt, noch sind Anbeiter aus der Schweiz oder den USA besonders seriös.

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