Redaktion: Herr Reime, viele Privatanleger berichten heute, dass sie ihre Depots bei Trade Republic oder Scalable nicht öffnen konnten – gerade in einer Phase, in der die Kurse rasant gefallen sind. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben betroffene Trader, wenn sie dadurch Verluste erlitten haben?
Jens Reime: Grundsätzlich ist ein Anbieter wie Trade Republic oder Scalable verpflichtet, eine stabile technische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen – gerade in Marktphasen mit hoher Volatilität. Wenn Nutzer nicht handeln konnten, weil die App nicht erreichbar war oder falsche Daten angezeigt wurden, kann das – je nach Einzelfall – eine Schadensersatzpflicht des Anbieters nach sich ziehen.
Redaktion: Aber beide Anbieter sagen, dass der Handel zu jeder Zeit möglich gewesen sei. Gilt das dann nicht als ausreichende Absicherung?
Reime: Das ist juristisch nicht ganz so einfach. Entscheidend ist nicht nur, ob ein Handel technisch möglich war, sondern ob er für den durchschnittlichen Nutzer auch praktisch zugänglich war. Wenn ich mich nicht einloggen kann oder nur eine leere Seite sehe, ist das ein faktisches Hindernis. Wenn dann ausgerechnet in dieser Zeit ein Kursabsturz stattfindet, der mich zum Handeln zwingt – und ich das nicht kann – dann kann das ein haftungsbegründender Mangel der App-Leistung sein.
Redaktion: Was sollten betroffene Nutzer konkret tun?
Reime: Zunächst: Screenshots oder Bildschirmaufnahmen sichern, die die Störung belegen. Auch der Zeitpunkt der versuchten Nutzung ist wichtig. Dann: den Support kontaktieren und eine schriftliche Beschwerde einreichen. Wer konkrete Verluste beziffern kann, sollte eine rechtliche Prüfung vornehmen lassen – idealerweise durch einen Fachanwalt für Bank- oder Kapitalmarktrecht.
Redaktion: Wie realistisch ist es, dass ein Anbieter wie Trade Republic tatsächlich haftet?
Reime: Das hängt vom Einzelfall ab. In den AGB sind oft Haftungsbeschränkungen enthalten – aber diese sind nicht immer wirksam, vor allem nicht bei grober Fahrlässigkeit oder technischen Versäumnissen, die vorhersehbar waren. Wenn ein Anbieter regelmäßig in der Kritik steht oder schon zuvor Probleme bei stark schwankenden Märkten hatte, kann sich daraus eine Pflicht zur technischen Aufrüstung ergeben haben.
Redaktion: Was können Anleger generell tun, um sich künftig besser abzusichern?
Reime: Wer regelmäßig mit großen Summen handelt oder auf schnelle Reaktionszeiten angewiesen ist, sollte nicht alles auf eine einzige App setzen. Es ist absolut sinnvoll, ein zweites Depot bei einer klassischen Bank oder einem stabileren Anbieter zu führen – oder wenigstens einen webbasierten Zugang als Ausweichlösung zu haben. Und: Im Zweifel auch mal darüber nachdenken, ob ein telefonischer Handel möglich ist.
Redaktion: Ist das Börsenbeben vom Montag Ihrer Meinung nach überstanden?
Reime: Ich fürchte, wir sehen gerade nur die Spitze des Eisbergs. Die US-Zollpolitik unter Trump treibt Anleger weltweit um, und die Unsicherheit ist enorm. Was viele unterschätzen: Auch vermeintlich moderne FinTechs sind anfällig, wenn es zu Panikverkäufen kommt. Deshalb: Ruhe bewahren, diversifizieren – und gegebenenfalls rechtliche Schritte prüfen, wenn man durch technische Mängel echte Schäden erlitten hat.
Redaktion: Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Reime!
Jens Reime: Sehr gerne – und allen Anlegern: starke Nerven und gute Technik!
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