Interviewer: Herr Högel, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Beginnen wir direkt mit der Frage, die viele Anleger interessiert: Welche Arten von Investments können für Kapitalanleger mit einem Totalverlustrisiko verbunden sein?
Maurice Högel: Vielen Dank für die Einladung. Die Frage nach dem Totalverlustrisiko ist für Anleger extrem wichtig, insbesondere in Zeiten, in denen Investitionen in neue und oft riskante Finanzprodukte immer beliebter werden. Grundsätzlich ist ein Totalverlustrisiko bei fast jeder Anlageform möglich, aber es gibt bestimmte Arten von Investments, die von Natur aus mit einem besonders hohen Risiko behaftet sind. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen:
1. Aktien von Start-ups oder hochspekulativen Unternehmen
Aktien von Start-ups oder jungen Unternehmen, die noch keine stabile Gewinnhistorie vorweisen können, sind ein klassisches Beispiel. Diese Unternehmen können in kurzer Zeit scheitern, was dazu führt, dass die Aktien wertlos werden. Auch in Krisenzeiten oder bei wirtschaftlichen Problemen eines etablierten Unternehmens besteht ein Totalverlustrisiko, wenn dieses in die Insolvenz geht.
2. Genussrechte
Genussrechte sind eine spezielle Anlageform, die häufig bei Kapitalbeschaffungen von Unternehmen genutzt wird. Anleger erhalten durch Genussrechte eine Beteiligung an den Gewinnen eines Unternehmens, tragen aber auch die Risiken mit. Im Insolvenzfall stehen Genussrechte an letzter Stelle bei der Auszahlung von Ansprüchen – das bedeutet in der Regel, dass der Anleger leer ausgeht. Das macht Genussrechte besonders riskant.
3. Nachrangdarlehen
Nachrangdarlehen sind Darlehen, bei denen der Anleger im Insolvenzfall hinter den regulären Gläubigern zurücksteht. Das heißt: Zuerst werden Banken und andere vorrangige Gläubiger bedient, und falls dann noch Geld übrig ist – was selten der Fall ist – könnte der Anleger bedient werden. In der Praxis bedeutet das oft einen Totalverlust.
4. Crowdinvesting und Crowdfunding
Crowdinvesting, insbesondere in Immobilien- oder Unternehmensprojekte, ist mittlerweile sehr populär. Doch viele Anleger unterschätzen die Risiken. Wenn das Projekt scheitert oder das Unternehmen Insolvenz anmeldet, können die Anleger ihre gesamte Investition verlieren. Zudem fehlt oft eine Einlagensicherung oder eine rechtlich abgesicherte Rückzahlungsgarantie.
5. Kryptowährungen
Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum bieten enorme Renditechancen, sind aber auch hochspekulativ. Der Markt ist extrem volatil, und wenn die Nachfrage nach einer bestimmten Kryptowährung einbricht oder eine Plattform gehackt wird, können Anleger einen Totalverlust erleiden. Hinzu kommt, dass es bei vielen kleineren Kryptowährungen kaum Regulierung gibt.
6. Zertifikate und Derivate
Zertifikate und Derivate, wie beispielsweise Optionsscheine oder Futures, sind oft spekulative Finanzprodukte, die stark vom Marktgeschehen abhängen. Wenn sich die Marktentwicklung anders entwickelt als vom Anleger erwartet, kann die Investition schnell wertlos werden.
7. Geschlossene Fonds
Geschlossene Fonds, etwa im Bereich Immobilien oder Schiffsbeteiligungen, bergen ein hohes Risiko, da sie oft von einem einzigen Projekt abhängen. Wenn dieses Projekt scheitert, geht auch das investierte Kapital verloren. Anleger können in solchen Fällen weder aussteigen noch ihr Geld zurückfordern.
8. Private Equity und Venture Capital
Investitionen in Private-Equity- oder Venture-Capital-Fonds können große Renditen abwerfen, sind jedoch ebenfalls sehr risikoreich. Wenn das finanzierte Unternehmen scheitert, verliert der Anleger oft sein gesamtes eingesetztes Kapital.
Interviewer: Was raten Sie Anlegern, die in solche Produkte investieren möchten?
Maurice Högel: Mein erster Rat wäre, sich vor jeder Investition umfassend zu informieren. Anleger sollten verstehen, wohin ihr Geld fließt, wie das Geschäftsmodell funktioniert und welche Risiken konkret bestehen. Außerdem ist es wichtig, nur Geld zu investieren, auf das man im schlimmsten Fall verzichten kann – also keine Lebensersparnisse oder Gelder, die für wichtige Ausgaben reserviert sind.
Zweitens empfehle ich dringend, die Vertragsbedingungen sorgfältig zu prüfen. Bei Genussrechten, Nachrangdarlehen und anderen spekulativen Anlagen sollten Anleger genau wissen, dass sie im Insolvenzfall praktisch ganz hinten in der Schlange stehen.
Drittens: Diversifikation ist das A und O. Wer sein Geld auf verschiedene Anlageklassen und Projekte verteilt, minimiert das Risiko eines Totalverlustes. Und schließlich ist eine unabhängige Beratung durch einen Fachanwalt oder einen seriösen Finanzberater oft eine gute Idee.
Interviewer: Gibt es Anzeichen oder Warnsignale, die auf ein besonders hohes Risiko hinweisen?
Maurice Högel: Ja, absolut. Anleger sollten besonders vorsichtig sein, wenn:
Extrem hohe Renditen versprochen werden. Eine hohe Rendite geht immer mit einem hohen Risiko einher.
Das Geschäftsmodell oder die Struktur der Anlage undurchsichtig ist.
Die Anlage kaum reguliert ist, etwa bei Kryptowährungen oder exotischen Finanzprodukten.
Die Finanzierung auf Nachrangdarlehen oder ähnlichen Modellen basiert.
Der Anbieter aggressiv und drängend auf einen Vertragsabschluss besteht.
Interviewer: Herr Högel, vielen Dank für diese ausführlichen und wichtigen Hinweise. Haben Sie einen abschließenden Tipp für unsere Leser?
Maurice Högel: Gerne. Mein wichtigster Tipp lautet: Gier darf niemals Verstand ersetzen. Lassen Sie sich nicht von Versprechungen blenden und prüfen Sie jede Anlage gründlich. Manchmal ist es besser, eine Chance auszuschlagen, als ein unkalkulierbares Risiko einzugehen.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Högel, für dieses aufschlussreiche Gespräch!
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