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Interview mit Thomas Bremer über die aktuelle Finanzlage der ENERCON GmbH

dudu19 (CC0), Pixabay
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Journalist: Herr Bremer, die ENERCON GmbH hat kürzlich ihre Bilanz für das Geschäftsjahr 2023 veröffentlicht. Die Zahlen zeigen Licht und Schatten. Wie bewerten Sie die aktuelle Finanzlage des Unternehmens?

Thomas Bremer: Die Bilanz zeigt klar, dass sich ENERCON in einer finanziell herausfordernden Situation befindet. Einerseits ist der Umsatz um 16 % gestiegen, was ein positives Signal ist. Andererseits weist das Unternehmen trotz dieser Umsatzsteigerung einen Verlust von 204 Millionen Euro aus. Das zeigt, dass das operative Geschäft noch nicht nachhaltig profitabel ist. Besonders kritisch ist die Tatsache, dass der Fehlbetrag nur durch die Auflösung von Rückstellungen abgefedert wurde.

Journalist: Also bleibt das Unternehmen weiterhin in der Verlustzone?

Thomas Bremer: Ja, und das ist besorgniserregend. Der Jahresfehlbetrag hat sich zwar gegenüber dem Vorjahr (-514 Millionen Euro) verbessert, aber er bleibt hoch. Zudem sehen wir sinkende Finanzanlagen, was darauf hindeutet, dass das Unternehmen Vermögenswerte verkauft oder Wertberichtigungen vorgenommen hat.

Journalist: Ein wichtiger Punkt ist auch die Liquiditätslage. ENERCON hat ein WSF-Darlehen in Anspruch genommen. Wie bewerten Sie das?

Thomas Bremer: Das ist eine entscheidende Frage. Das Darlehen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) in Höhe von 443,9 Millionen Euro muss bis Juni 2026 zurückgeführt werden. Sollte ENERCON die Bedingungen nicht einhalten, könnte der WSF Sondertilgungen verlangen, was das Unternehmen massiv unter Druck setzen würde.

Die Unternehmensberatung Oliver Wyman warnt in ihrem Gutachten, dass ein Unterschreiten der Liquiditätsplanung existenzgefährdend sein könnte. ENERCON betont zwar, dass man die Bedingungen des WSF einhalten kann, aber angesichts der bisherigen Verluste ist das alles andere als sicher.

Journalist: Also besteht ein erhebliches Risiko für Investoren?

Thomas Bremer: Absolut. Besonders kritisch ist die starke Abhängigkeit von verbundenen Unternehmen. Die Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen sind von 336 Millionen auf 826 Millionen Euro gestiegen. Das kann darauf hindeuten, dass ENERCON Liquidität innerhalb der Unternehmensgruppe hin- und herschiebt, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken.

Gleichzeitig bleiben die Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen extrem hoch (1,32 Milliarden Euro). Das bedeutet, dass ein großer Teil der Finanzströme innerhalb des Konzerns zirkuliert, was für externe Investoren wenig Transparenz bietet.

Journalist: Wie bewerten Sie die Eigenkapitalquote? Immerhin liegt das Eigenkapital bei knapp 1,2 Milliarden Euro.

Thomas Bremer: Das Eigenkapital ist solide, aber es ist gesunken – der Bilanzgewinn ist von 603 Millionen auf 399 Millionen Euro gefallen. Zudem wurden keinerlei Ausschüttungen vorgenommen, was ein klares Signal dafür ist, dass das Unternehmen Kapitalreserven aufbauen muss.

Journalist: Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für ENERCON?

Thomas Bremer: Es gibt zwei Szenarien:

  1. Optimistisches Szenario: ENERCON schafft es, durch Effizienzsteigerungen, neue Projekte und eine Stabilisierung der Kostenstruktur wieder in die Gewinnzone zu kommen. Das würde voraussetzen, dass das operative Geschäft nachhaltig profitabel wird und die Abhängigkeit von konzerninternen Finanztransaktionen reduziert wird.
  2. Pessimistisches Szenario: Sollte ENERCON die WSF-Bedingungen nicht erfüllen können und keine zusätzlichen Kapitalmittel generieren, könnte es zu Liquiditätsproblemen und möglicherweise zu Sondertilgungen oder weiteren Restrukturierungen kommen.

Journalist: Ihr Fazit für Investoren?

Thomas Bremer: ENERCON ist aktuell ein Hochrisiko-Investment. Das Umsatzwachstum ist ein positives Signal, aber die anhaltenden Verluste, die hohe Abhängigkeit von verbundenen Unternehmen und das Liquiditätsrisiko durch das WSF-Darlehen stellen erhebliche Unsicherheiten dar. Ohne eine klare und nachhaltige Verbesserung der Ertragskraft bleibt das Unternehmen auf wackeligen Beinen.

Journalist: Herr Bremer, vielen Dank für das Gespräch.

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