Interviewer: Herr Wieder, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Sie haben sich ja mittlerweile aus dem operativen Tagesgeschäft zurückgezogen, aber verfolgen die Entwicklungen in der Gründerszene sicherlich weiterhin intensiv. Beginnen wir mit einer zentralen Frage: Braucht Deutschland Ihrer Meinung nach neue Ideen und Gründer?
Alfred Wieder: Absolut. Obwohl ich mich aus dem operativen Tagesgeschäft zurückgezogen habe, verfolge ich die Entwicklungen in der deutschen Start-up- und Investmentlandschaft nach wie vor mit großem Interesse. Deutschland ist in vielen Bereichen führend, aber wir laufen Gefahr, hinter anderen Ländern zurückzufallen, wenn es um Innovationen geht. Besonders im Bereich der Digitalisierung, der grünen Technologien und der Künstlichen Intelligenz haben wir noch einiges aufzuholen. Unser Mittelstand ist stark, aber die disruptiven Innovationen, die wirklich globalen Einfluss haben, entstehen oft anderswo – vor allem im Silicon Valley oder in Asien. Hier müssen wir dringend aufholen, und das geht nur mit neuen Gründern, die frische Ideen in den Markt bringen.
Interviewer: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe, warum Deutschland in puncto Innovation hinterherhinkt?
Alfred Wieder: Es gibt mehrere Gründe. Einer der zentralen Punkte ist, dass wir eine sehr starke und erfolgreiche Industriekultur haben, die auf Bewährtes setzt. Natürlich ist es positiv, auf Traditionen und Stärken wie den Maschinenbau oder die Automobilindustrie zu setzen, aber das kann auch eine gewisse Trägheit erzeugen. Wenn du auf das Bekannte setzt, verpasst du manchmal die Chance, radikal neue Wege zu gehen. Außerdem gibt es hierzulande immer noch einen Mangel an Risikokapital, vor allem in den frühen Phasen eines Start-ups. Viele Investoren sind sehr konservativ und scheuen sich, in unsichere, aber potenziell bahnbrechende Ideen zu investieren.
Interviewer: Wie können private Investoren Ihrer Meinung nach dazu beitragen, das Start-up-Ökosystem in Deutschland zu stärken?
Alfred Wieder: Private Investoren spielen eine Schlüsselrolle. Sie müssen mehr Risikobereitschaft zeigen und langfristiger denken. In Deutschland herrscht oft die Erwartung, dass sich Investitionen sehr schnell auszahlen – idealerweise innerhalb von zwei bis drei Jahren. Aber Innovation braucht Zeit. Große, transformative Ideen brauchen fünf bis zehn Jahre, um richtig zu reifen. Private Investoren sollten daher geduldiger sein und nicht nur auf schnelle Gewinne spekulieren. Es braucht eine Mentalität, die langfristig in das Potenzial von Start-ups investiert.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit mit anderen Investoren und institutionellen Akteuren. Private und öffentliche Gelder können kombiniert werden, um ein größeres Risikokapitalvolumen zu schaffen und den Gründern mehr finanzielle Sicherheit zu bieten.
Interviewer: Welche Maßnahmen sollte der Staat ergreifen, um neue Gründer und Ideen zu fördern?
Alfred Wieder: Der Staat kann und muss viel tun. Es beginnt schon bei der Bildung. Wir müssen eine Kultur des Unternehmertums frühzeitig in den Schulen und Universitäten verankern. Junge Menschen sollten ermutigt werden, eigene Ideen zu entwickeln und unternehmerisch zu denken. Gleichzeitig braucht es eine deutliche Entbürokratisierung. Der Weg zur Gründung ist in Deutschland immer noch viel zu kompliziert und langwierig. Gerade bei technologiegetriebenen Start-ups zählt oft Geschwindigkeit, und da sind wir im internationalen Vergleich zu langsam.
Auch steuerliche Anreize sind wichtig. Start-ups sollten in den ersten Jahren steuerlich entlastet werden, damit sie mehr Kapital für Wachstum und Innovation haben. Darüber hinaus könnte der Staat mehr Kapital bereitstellen, zum Beispiel durch Co-Investments mit privaten Investoren. So könnte man das Risiko für private Investoren senken und gleichzeitig mehr Geld in junge Unternehmen lenken.
Interviewer: Was halten Sie von der Idee, dass der Staat stärker in Risikokapital investiert?
Alfred Wieder: Das kann eine gute Lösung sein, wenn es richtig gemacht wird. Der Staat sollte allerdings nicht der alleinige Geldgeber sein. Was besser funktioniert, sind Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Investoren. Der Staat kann etwa über staatliche Fonds wie den High-Tech Gründerfonds oder über Programme wie EXIST gemeinsam mit privaten Akteuren investieren. Das mindert das Risiko und sorgt für eine breitere Kapitalbasis. Wichtig ist dabei, dass solche Programme unbürokratisch und leicht zugänglich sind, sonst kommen sie nicht bei den Start-ups an, die sie am dringendsten brauchen.
Ein weiteres Modell, das gut funktionieren könnte, wäre die Förderung bestimmter Schlüsselindustrien, etwa im Bereich Künstliche Intelligenz oder erneuerbare Energien. Hier könnte der Staat gezielt Anreize setzen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich sichern.
Interviewer: Gibt es internationale Vorbilder, an denen sich Deutschland orientieren könnte?
Alfred Wieder: Absolut. Ein sehr gutes Beispiel ist Israel. Dort gibt es eine beeindruckende Start-up-Kultur, die stark von der Regierung unterstützt wird. Israel investiert massiv in Bildung, Forschung und Entwicklung und hat eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Militär, Wissenschaft und der Wirtschaft etabliert. Dadurch entstehen immer wieder innovative Start-ups, die global erfolgreich sind.
Auch in den USA, speziell im Silicon Valley, gibt es ein ausgeprägtes Netzwerk aus Venture-Capital-Gebern, Inkubatoren und Mentoren, das Start-ups fördert. Die amerikanische Risikokultur ist ein weiterer Punkt: Scheitern wird dort als Teil des unternehmerischen Prozesses gesehen, während in Deutschland das Scheitern oft stigmatisiert wird. Wir müssen lernen, Misserfolge als wertvolle Erfahrung zu betrachten.
China ist ein weiteres Beispiel. Dort hat der Staat in den letzten Jahren massiv in Zukunftstechnologien investiert und das Land in vielen Bereichen an die Weltspitze gebracht. Natürlich sind die politischen Systeme sehr unterschiedlich, aber in Bezug auf Geschwindigkeit und Kapitalmobilisierung könnte Deutschland einiges von China lernen.
Interviewer: Was raten Sie jungen Menschen, die überlegen, ein eigenes Unternehmen zu gründen?
Alfred Wieder: Mein wichtigster Rat wäre: Seid mutig und scheut euch nicht vor Risiken. Der Weg zum Erfolg ist selten gerade und fast immer von Rückschlägen begleitet. Aber das ist Teil des Lernprozesses. Wichtig ist, ein starkes Netzwerk aufzubauen – sucht den Austausch mit anderen Gründern, Investoren und Experten. Deutschland hat viele großartige Netzwerke und Förderprogramme, die genutzt werden sollten.
Ein weiterer Punkt: Fangt einfach an. In Deutschland haben wir oft die Tendenz, alles perfekt machen zu wollen, bevor wir ein Produkt oder eine Idee auf den Markt bringen. Aber in der Start-up-Welt geht es darum, schnell zu testen, zu lernen und dann weiterzuentwickeln. Je schneller ihr Feedback von euren Nutzern bekommt, desto besser könnt ihr euch anpassen.
Interviewer: Herr Wieder, vielen Dank für dieses spannende Gespräch. Gibt es zum Abschluss noch etwas, das Sie den Lesern mit auf den Weg geben möchten?
Alfred Wieder: Ja, ich würde sagen: Deutschland hat enormes Potenzial, aber wir müssen mutiger werden. Es liegt an uns allen – Investoren, Gründern und der Politik – die Voraussetzungen zu schaffen, dass neue Ideen gedeihen können. Wir brauchen eine Kultur des Machens, nicht des Abwartens. Nur so können wir international mithalten und die Zukunft mitgestalten.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Wieder, für Ihre Zeit und Ihre Einblicke!
Alfred Wieder: Sehr gern, es war mir eine Freude!
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